Stadtkarte als Gutschein
Handelt es sich bei einer Karte, die den Inhaber berechtigt, verschiedene Dienstleistungen an einem bestimmten Ort für einen begrenzten Zeitraum und bis zu einem bestimmten Wert in Anspruch zu nehmen, um einen Gutschein und dabei um einen Mehrzweckgutschein?
Hintergrund
Gutscheine unterschiedlicher Art sind heutzutage auf dem Markt gebräuchlich (z.B. Geschenkgutscheine oder Guthabenkarten, die bei unterschiedlichen Verkaufsstellen verwendet werden können). Obwohl die Verwendung von Gutscheinen aus Verbrauchersicht relativ einfach ist, ist ihre mehrwertsteuerliche Behandlung, auch noch nach der Einführung der unionsrechtlichen Neuregelungen durch die Richtlinie (EU) 2016/1965 aus dem Jahr 2016 (Umsetzung in nationales Recht mit Wirkung zum 01.01.2019, § 3 Abs. 13-15 UStG) kompliziert (siehe z.B. working paper 983, MwSt-Ausschuss).
Der EuGH hat sich nun erstmals mit der Behandlung von Gutscheinen auseinandergesetzt. Dabei war fraglich, ob jedes Instrument, das die Voraussetzungen des Art. 30a Nr. 1 MwStSystRL erfüllt, zwangsläufig als Gutschein zu behandeln ist. Die Besonderheit im vorliegenden Fall bestand darin, dass es sich um eine sogenannte Stadtkarte handelte, die den jeweiligen Inhaber berechtigte, verschiedene Dienstleistungen an einem bestimmten Ort während eines begrenzten Zeitraums und bis zu einem bestimmten Wert in Anspruch zu nehmen. Der Inhaber der Karte muss kein Eintritts- oder Nutzungsentgelt zahlen. Aufgrund der begrenzten Gültigkeitsdauer kann der Karteninhaber der Karte nicht alle angebotenen Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Die beteiligten Unternehmer müssen dem Karteninhaber lediglich einmalig den Zugang zu den touristischen Attraktionen gewähren, während Beförderungsleistungen mehrfach in Anspruch genommen werden können.
Sachverhalt
Die Klägerin, DSAB, vertreibt an Besucher der Stadt Stockholm eine „Stadtkarte“, die ihrem Inhaber während eines bestimmten Zeitraums und bis zu einem bestimmten Wert Zugang zu 60 Attraktionen, Sehenswürdigkeiten und Museen gewährt. Zudem können Hop-on-Hop-off-Busse und bestimmte Boote genutzt werden. Die Karte berechtigt zur Inanspruchnahme von unterschiedlichen Steuersätzen unterliegenden wie auch steuerfreien Dienstleistungen. Der Karteninhaber verwendet die Karte als alleiniges Zahlungsmittel in diesem Zusammenhang. Sofern die Wertgrenze der Karte erreicht ist, kann sie von ihrem Inhaber nicht mehr verwendet werden. Die Dienstleistungserbringer sind nicht verpflichtet dem Inhaber der Karte mehr als einmal Zugang der jeweiligen Attraktion zu gewähren. Die Dienstleistungserbringer erhalten ihre Vergütung von DSAB.
Entscheidung des EuGH
Ein Instrument, das seinen Inhaber berechtigt, verschiedene Dienstleistungen an einem bestimmten Ort während eines begrenzten Zeitraums und bis zu einem bestimmten Wert in Anspruch zu nehmen, kann einen „Gutschein“ i.S.v. Art. 30a Nr. 1 MwStSystRL darstellen, auch wenn ein Durchschnittsverbraucher aufgrund der begrenzten Gültigkeitsdauer dieses Instruments nicht alle angebotenen Dienstleistungen in Anspruch nehmen kann. Dieses Instrument stellt einen „Mehrzweck-Gutschein“ i.S.v. Art. 30a Nr. 3 MwStSystRL dar, da die auf diese Dienstleistungen geschuldete Mehrwertsteuer zum Zeitpunkt seiner Ausstellung nicht feststeht.
Anmerkung
Der EuGH prüft die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen nach Art. 30a Nr. 1 und 2 MwStSystRL (§ 3 Abs. 13 Nr. 1 und 2 UStG), die für das Vorliegen eines Gutscheins erfüllt sein müssen und gelangt zu dem Ergebnis, dass die Einstufung der Stadtkarte als Gutschein möglich ist. Damit folgt der EuGH den Schlussanträgen der Generalanwältin, die allerdings deutlicher formulierte, indem sie ausführte, dass alle Instrumente, die die Voraussetzungen nach Art. 30a Nr. 1 und 2 MwStSystRL erfüllen, stets als Gutscheine zu behandeln sind. Die Stadtkarten beinhalten die Verpflichtung der an dem System teilnehmenden Lieferer oder Dienstleistungserbringer, diese als Gegenleistung anzunehmen. Keine Auswirkungen auf die Einordnung der Stadtkarte als Gutschein im Sinne der Richtlinie hat demnach, dass es dem Durchschnittsverbraucher aufgrund der begrenzten Gültigkeitsdauer der Karte nicht möglich ist, alle angebotenen Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Eine solche Einschränkung läuft der Voraussetzung in Art. 30a Nr. 1 MwStSystRL nicht entgegen.
Auch die zweite Voraussetzung, wonach die Angabe der zu liefernden Gegenstände oder der zu erbringenden Dienstleistungen oder der Identität der möglichen Lieferer oder Dienstleister auf dem Instrument selbst oder in damit zusammenhängenden Unterlagen notwendig ist, ist bei Stadtkarten, wie der vorliegenden, erfüllt. Auf der Karte sind die teilnehmenden Dienstleister sowie Dienstleistungen, wofür die Karte eingelöst werden kann, ausdrücklich aufgeführt. Über den vorliegenden Fall hinausgehend, lässt sich feststellen, dass es für die Einordnung eines Instruments als Gutschein ausschließlich auf das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ankommt. Über den Wortlaut hinausgehende Voraussetzungen müssen nicht erfüllt sein.
Betroffene Normen
Art. 30a Nr. 1, 2 MwStSystRL; § 3 Abs. 13-15 UStG
Fundstelle
EuGH, Urteil vom 28.04.2022, C-637/20
