BFH: Ausländische Betriebsstättenverluste ausnahmsweise im Finalitätsjahr abzugsfähig
Ausländische Betriebsstättenverluste werden final, wenn z.B. die ausländische Betriebsstätte aufgegeben wird. Der ausnahmsweise Abzug der Betriebsstättenverluste ist in jenem Veranlagungszeitraum vorzunehmen, in welchem sie final geworden sind (ebenso wie BMF-Schreiben vom 13.07.2009). Die in den Gewinn einbezogenen finalen Betriebsstättenverluste sind auch in die Ermittlung des Gewerbeertrages einzubeziehen. Lässt der Betriebsstättenstaat nur einen zeitlich begrenzten Verlustvortrag zu, liegt dagegen keine Finalität vor.
Sachverhalt
Der I. Senat des BFH hat in zwei Urteilen vom 09.06.2010 (I R 100/09 und I R 107/09) darüber entschieden, wann ausländische Betriebsstättenverluste „final“ sind und deshalb im Inland abgezogen werden können. Die Sachverhalte, die den Urteilen zugrunde lagen, sind wie folgt ausgestaltet.
BFH (I R 100/09): Die Klägerin (GmbH) machte im Veranlagungszeitraum 1999 Verluste aus einer französischen Betriebsstätte geltend. Der französische Verlustvortrag ist auf fünf Jahre begrenzt, die Betriebsstätte wurde im Jahre 2005 aufgegeben. Die Klägerin begründete ihre Klage damit, dass die Nichtberücksichtigung ausländischer Betriebsstättenverluste im Inland nicht EG-rechtskonform sei. Nachdem der BFH entschieden hatte (Urteil vom 17.07.2008), dass ausnahmsweise ein phasengleicher Verlustabzug in Betracht kommen soll, sofern und soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass die Verluste im Betriebsstättenstaat unter keinen Umständen verwertbar sind, beantragte die Klägerin, den Verlust aus der französischen Betriebsstätte in die steuerliche Bemessungsgrundlage des inländischen Stammhauses einzubeziehen, da er definitiv geworden sei.
BFH (I R 107/09): Die Klägerin (GmbH) unterhielt französische Betriebsstätten, die in den Jahren 1998 bis 2001 Verluste erwirtschafteten. Zum 30.09.2001 sind die Betriebsstätten eingestellt und endgültig aufgegeben worden. Die Klägerin beantragte, die definitiv gewordenen Verluste aus den französischen Betriebsstätten zu berücksichtigen, da nach der EuGH-Entscheidung Lidl Belgium (C-414/06) und dem BFH-Urteil vom 17.07.2008 Betriebsstättenverluste im Inland phasengleich zum Abzug zuzulassen seien, soweit eine künftige Verlustberücksichtigung im Betriebsstättenstaat ausscheide.
Entscheidung
Erwirtschaftet ein inländischer Steuerpflichtiger aus einer ausländischen Betriebsstätte Verluste, dann kann er diese negativen Einkünfte im Inland mit steuerpflichtigen positiven Einkünften regelmäßig nicht ausgleichen. Hat Deutschland mit dem Betriebsstättenstaat ein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) mit Freistellung der ausländischen Einkünfte von der inländischen Bemessungsgrundlage abgeschlossen, sind die betreffenden negativen Einkünfte ebenso wie positive ausländische Einkünfte im Inland steuerfrei. Diese Steuerfreiheit führt bei negativen ausländischen Einkünften zu dem Nachteil, sie im Inland nicht steuermindernd geltend machen zu können.
Die Benachteiligung von Auslands- gegenüber Inlandsverlusten verstößt nach feststehender Rechtsprechung des EuGH im Grundsatz nicht gegen die gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbote. Denn es ist auch innerhalb der Europäischen Union grundsätzlich allein Sache des Betriebsstättenstaats, die freigestellten Auslandsverluste steuerlich zu berücksichtigen. Nur dann, wenn diese Verluste „final“ werden, im Ausland m.a.W. endgültig nicht berücksichtigt werden könnten, tritt der Ansässigkeitsstaat insoweit ausnahmsweise an die Stelle des Betriebsstättenstaats.
Eine „Finalität“ der Verluste ist dann gegeben, wenn diese aus tatsächlichen Gründen im Ausland nicht mehr berücksichtigt werden können. Tatsächliche Gründe dieser Art sind etwa die Umwandlung der Auslandsbetriebsstätte in eine Kapitalgesellschaft, eine Übertragung der Betriebsstätte oder deren Aufgabe. Für diese Fälle sind die Verluste im Inland sowohl bei der Bemessungsgrundlage für die Einkommen- und Körperschaftsteuer als auch die Gewerbesteuer abzuziehen. Ein Abzug kann jedoch nicht schon im Verlustentstehungsjahr („Entstehungs-Erhebungszeitraum“) erfolgen, sondern erst in jenem Veranlagungs- oder Erhebungszeitraum, in dem die „Finalität“ feststeht („Finalitäts-Erhebungszeitraum“). Im Umkehrschluss sind Verluste daher dann nicht „final“, wenn sie im Betriebsstättenstaat aufgrund dessen Steuergesetze vollständig oder nach Ablauf eines Verlustvortragszeitraums vom Abzug ausgeschlossen sind.
Vor diesem Hintergrund können im ersten Streitfall die in Rede stehenden Verluste der französischen Betriebsstätte nicht berücksichtigt werden. Die im Streitjahr entstandenen Verluste sind nicht wegen der Einstellung der Betriebsstättentätigkeit in Frankreich im Jahre 2005 "endgültig" geworden, sondern deswegen, weil das französische Steuerrecht einen auf fünf Jahre begrenzten Verlustvortrag vorsah und dieser Zeitraum für die Verluste aus 1999 spätestens im Jahre 2004, also bereits vor der Aufgabe der Betriebsstätte, abgelaufen war. Prinzipiell stand der GmbH der Verlustabzug also in anderen Jahren als dem Verlustjahr zu, er verbot sich lediglich konkret aus Gründen der verwirklichten Gegebenheiten des Einzelfalles.
Im zweiten Streitfall sind die in Rede stehenden Verluste der französischen Betriebsstätten zu berücksichtigen. Die im Streitjahr entstandenen Verluste konnten zwar nach Maßgabe französischen Steuerrechts unter bestimmten - und von der Klägerin prinzipiell erfüllten - Voraussetzungen für maximal drei Jahre rück- und für maximal fünf Jahre vorgetragen werden. Ein hiernach grundsätzlich möglicher Verlustrücktrag scheiterte jedoch angesichts der Ertragssituation der Klägerin in den Vorjahren. Ebenso wenig konnte sie in den nachfolgenden Veranlagungszeiträumen den Verlustvortrag wahrnehmen. Ein solcher Verlustvortrag ist dadurch faktisch "unterlaufen" worden, dass die Betriebsstätten bereits im September 2001 - einem weiteren Verlustjahr - endgültig aufgegeben worden sind. Es sind also nicht die Verlustabzugsregelungen des französischen Steuerrechts, die die "Finalität" des Verlustabzugs endgültig herbeiführen, sondern die tatsächliche Gegebenheit der Betriebsstättenaufgabe.
Betroffene Normen
Art. 43, Art. 48 EGV; Art. 2 Abs. 1 Nr. 7, Art. 4 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 Buchst. a DBA-Frankreich; § 2a Abs. 4 S. 1, § 10d Abs. 4 EStG 1997
Streitjahre:1999 bzw. 2000 – 2001
Anmerkungen
Der BFH hat mit Urteil vom 05.02.2014, I R 48/11, seine Auffassung aus dem Urteil vom 09.06.2010, I R 107/09) bestätigt, wonach Betriebsstättenverluste, die aufgrund tatsächlicher Gegebenheiten „final“ sind, trotz (grundsätzlicher) Freistellung für Betriebsstätteneinkünfte im Inland abzugsfähig sind. Vorliegend ergab sich die „Finalität“ aus einer konzerninternen Veräußerung einer in Belgien belegenen Betriebsstätte im Jahr 1999. Der BFH lehnte die Annahme eines Missbrauchs durch eine „willkürliche“ oder „freiwillige“ Gestaltung ab. Die Berücksichtigung „finaler Verluste“ könne nicht unter einen allgemeinen Missbrauchsvorbehalt gestellt werden. Der Verkauf der Betriebstätte an eine konzernverbundene Gesellschaft ändere daran nichts, zumal bei der Veräußerung der Betriebsstätte die sich später entwickelnde Spruchpraxis des EuGH zu den sog. finalen Verlusten nicht zu antizipieren gewesen sei.
BFH, Urteil vom 05.02.2014, I R 48/11
Vorinstanzen
Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 08.09.2009, 6 K 308/04 K, EFG 2010, S. 389, siehe Deloitte Tax-News (zu BFH: I R 100/09)
Finanzgericht Hamburg, Urteil vom 18.11.2009, 6 K 147/08, EFG 2010, S. 265, siehe Deloitte Tax-News (zu BFH: I R 107/09)
Fundstellen
BFH, Urteil vom 09.06.2010, I R 100/09, BStBl II 2010, S. 1065.
BFH, Urteil vom 09.06.2010, I R 107/09.
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 05.02.2014, I R 48/11
BMF, Schreiben vom 13.07.2009, IV B 5 -S 2118-a/07/10004
EuGH, Urteil vom 15.05.2008, C-414/06 „Lidl Belgium“
BFH, Urteil vom 17.07.2008, I R 84/04
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