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21.04.2022
Internationales Steuerrecht

BFH: Beschränkte Steuerpflicht bei zeitlich unbegrenzter Überlassung von Know-how

Die zeitlich unbegrenzte Überlassung von Know-how durch einen ausländischen Vergütungsgläubiger kann zu beschränkt steuerpflichtigen Einkünften im Sinne des § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG führen. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt voraus, dass die tatsächliche Nutzung des überlassenen Know-how im Inland im Zeitpunkt der Zahlung beabsichtigt war. Nicht erforderlich ist es, dass das Know-how auch den vereinbarten Umfang und/oder Qualität hatte, um die im Inland verfolgten Zwecke zu erfüllen. 

Sachverhalt

Die Klägerin, eine GmbH mit Sitz im Inland, hat von einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in Ungarn (P) das exklusive Recht zur Nutzung des durch P erarbeiteten Know-how zur Herstellung pharmazeutischer Wirkstoffe gegen Entgelt erworben. Von der GmbH wurde keine Abzugsteuer angemeldet, einbehalten oder abgeführt. Nach Unstimmigkeiten zwischen der GmbH und P über die Qualität der von P produzierten Wirkstoffe wurde das Vertragsverhältnis vorzeitig beendet.

Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass die GmbH zum Steuerabzug nach § 50a Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG (a.F.) verpflichtet war und erließ gegenüber der GmbH einen entsprechenden Haftungsbescheid nach § 50a Abs. 5 S. 5 EStG. P habe durch den Technologietransfer beschränkt steuerpflichtige Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG erzielt. Auch das FG gab dem Finanzamt recht.

Entscheidung

 Der BFH schließt sich der Auffassung des FG an und kommt zu dem Ergebnis, dass die GmbH für die den Technologietransfer betreffende Zahlung an P eine Abzugsteuer nach § 50a EStG hätte einbehalten, anmelden und abführen müssen, da P gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG der beschränkten Steuerpflicht in Deutschland unterlag.

Gesetzliche Grundlagen

Hinweis: Die Entscheidung ist zwar zu einer alten Rechtslage (EStG 2002 vom 19.07.2006) ergangen. Allerdings ist die Entscheidung auch bei der Beurteilung der aktuellen Rechtslage heranzuziehen, da sich die Gesetzeslage hinsichtlich der im Streitfall relevanten Fragestellungen nicht wesentlich geändert hat.

Die Einkommensteuer wird gemäß § 50a Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG (a.F.) (vgl. § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG aktuelle Fassung) bei beschränkt Steuerpflichtigen im Wege des Steuerabzugs erhoben, wenn es sich um Einkünfte handelt, die aus Vergütungen für die Überlassung der Nutzung oder des Rechts auf Nutzung von Rechten, insbesondere von Urheberrechten und gewerblichen Schutzrechten, von gewerblichen, technischen, wissenschaftlichen und ähnlichen Erfahrungen, Kenntnissen und Fertigkeiten, z.B. Plänen, Mustern und Verfahren, herrühren (§ 49 Abs. 1 Nr. 2, 3, 6 und 9 EStG).

Der Steuerabzug beträgt 20 % (ab VZ 2008: 15%; vgl. § 50a Abs. 2 S. 1 EStG aktuelle Fassung) der Einnahmen (§ 50a Abs. 4 S. 4 EStG (a.F.)). Die Steuer entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Vergütung dem Gläubiger zufließt (§ 50a Abs. 5 S. 1 EStG).

§ 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG erfasst sonstige Einkünfte nach § 22 Nr. 3 EStG, auch wenn sie bei Anwendung dieser Vorschrift einer anderen Einkunftsart zuzurechnen wären, soweit es sich um Einkünfte aus der Überlassung der Nutzung oder des Rechts auf Nutzung von gewerblichen, technischen, wissenschaftlichen und ähnlichen Erfahrungen, Kenntnissen und Fertigkeiten, z.B. Plänen, Mustern und Verfahren, handelt, die im Inland genutzt werden oder worden sind; nach der Subsidiaritätsklausel des § 49 Abs. 1 Nr. 9 HS. 2 EStG gilt dies nicht, soweit es sich um steuerpflichtige Einkünfte i.S. der Nr. 1 bis 8 handelt.

(Zeitlich unbegrenzte) Überlassung von Know-how

Nach dem BFH erzielt P inländische Einkünfte i.S. des § 8 Abs. 1 S. 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG.

Der BFH beruft sich auf seine bisherige Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil vom 19.12.2012, I R 81/11) und folgert, dass auch die Überlassung von Know-how unter § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG fällt. Dies gelte auch dann, wenn das Know-how zeitlich unbegrenzt überlassen werde. Im Gegensatz zur Regelung über inländische Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG, die wegen des Verweises auf § 21 EStG ausdrücklich nur die zeitlich begrenzte Überlassung von Rechten und gewerblichen Erfahrungen erfasst, enthalte § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG keine solche Einschränkung. Die zeitlich unbegrenzte Überlassung sei jedoch dann nicht (mehr) von § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG erfasst, wenn der bisherige Inhaber des Know-how dieses nicht nur einem Dritten zur Nutzung überlässt, sondern veräußert (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 16.05.2001, I R 64/99). Es müsse sich um Einkünfte aus der „Überlassung“ der Nutzung oder des Rechts auf Nutzung handeln. Komme es zu einer Veräußerung des Nutzungsrechts, werde es aber nicht mehr (nur) überlassen (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 24.10.2018, I R 69/16).

Im Streitfall gäbe es keine Anhaltspunkte, dass sich P von ihrem Know-how endgültig und in seiner Substanz entledigen wollte. Folglich läge nach den Feststellungen des FG eine zeitlich unbegrenzte Überlassung von Know-how im Sinne von § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG und kein Veräußerungstatbestand im Sinne des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG vor. Ob es sich bei dem Know-how überhaupt um ein Recht im Sinne des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG handelt, könne unter diesen Umständen dahingestellt bleiben.

Tatsächliche Nutzung des Know-how im Inland…

Für die Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG sei es erforderlich, dass das Recht im Inland genutzt wird oder worden ist. Dies setze eine bestimmungsgemäße Verwendung des Know-how im Inland voraus. Das Know-how müsse durch die GmbH tatsächlich im Inland verwendet oder eingesetzt worden sein (vgl. BFH-Urteil vom 10.04.2013, I R 22/12). Allerdings müsse die Verwendung des Know-how nicht zu dem vom Vergütungsschuldner beabsichtigten Erfolg geführt haben. Nach dem BFH kann die beschränkte Steuerpflicht nicht allein deshalb entfallen, weil das überlassene Know-how nicht den Erwartungen des Vergütungsschuldners (insbesondere nicht dem vereinbarten Umfang und/oder nicht der vereinbarten Qualität) entspricht oder von vorneherein nicht für die von ihm verfolgten Zwecke geeignet war. Im Streitfall sollte das von P überlassene Know-how in einer inländischen Betriebsstätte der Schwestergesellschaft der GmbH genutzt werden. Dies reiche für die von § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG vorausgesetzte Nutzung im Inland aus.

…im Zeitpunkt der Zahlung beabsichtigt

Nach dem BFH ist es für die Verpflichtung zum Steuerabzug unerheblich, ob der Tatbestand des § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG bereits zum Zeitpunkt der Zahlung vollständig erfüllt war. So sei es für die Verpflichtung zum Steuerabzug nach § 50a EStG ausreichend, wenn die tatsächliche Nutzung im Inland zum Zeitpunkt des Zuflusses beim Gläubiger beabsichtigt war. Im Streitfall sei dies aufgrund der beabsichtigten Verwendung des Know-how in der inländischen Betriebsstätte einer Schwestergesellschaft der GmbH erfüllt.

Betroffene Normen

§ 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG, § 50a Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG (a.F.)

Streitjahr 2007

Anmerkungen

Einordnung der Entscheidung

Unter den Stichworten „Registerfälle“ oder den Begriffen „ETT (Extraterritorial Tax)“ bzw. „ORIP (Offshore Receipts in respect of Intangible Property) hat die im o.g. Streitfall angesprochene, aber nicht angewandte Regelung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f (und Nr. 6) EStG in den letzten Jahren in der Fachwelt für erheblichen Wirbel gesorgt. In einem (ersten) BMF-Schreiben vom 06.11.2020 wurde bestätigt, dass es bei der Rechteüberlassung zwischen nicht im Inland ansässigen Gesellschaften – abgesehen von der Überlassung von Rechten, die in ein inländisches Register eingetragen sind – keines weitergehenden oder zusätzlichen Inlandsbezugs bedarf, um die beschränkte Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f oder Nr. 6 EStG zu begründen (siehe Deloitte Tax News). Zwei weitere BMF-Schreiben (BMF-Schreiben vom 11.02. und vom 14.07.2021 folgten (siehe Deloitte Tax News).

Der BFH hat sich nun in der oben dargestellten Entscheidung zum ersten Mal mit der Frage beschäftigt, wie bei Know-how-Übertragungen die Abgrenzung zwischen sonstigen Einkünften nach § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG und Einkünften aus Veräußerungsvorgängen nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG zu erfolgen hat.

Weitere Ausführungen zur Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids

Im o.g. Urteil hat der BFH noch weitere Ausführungen zur Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids gemacht. Nach dem BFH steht der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids nämlich weder entgegen, dass die zugrundeliegenden Einkünfte der P nach dem DBA Deutschland-Ungarn von der inländischen Besteuerung freizustellen sind, noch, dass aufgrund der Insolvenz der P ein Erstattungsverfahren nach § 50d Abs. 1 S. 2 ff. EStG nicht mehr durchgeführt werden kann. Das Zusammenwirken dieser Umstände könnte ggfs. im Rahmen eines gesonderten Billigkeitsverfahrens nach § 227 AO berücksichtigt werden.

Zur Ermittlung der Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid, siehe auch Ausführungen des BFH in den Rz. 34-39.

Vorinstanz

Finanzgericht München, Urteil vom 14.05.2018, 7 K 1440/17 

Fundstelle

BFH, Urteil vom 13.10.2021, I R 18/18, BStBl. II 2022, S. 376

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 19.12.2012, I R 81/11, BFH/NV 2013, S. 698

BFH, Urteil vom 16.05.2001, I R 64/99, BStBl. II 2003, S. 641

BFH, Urteil vom 24.10.2018, I R 69/16, BStBl. II 2019, S. 401, siehe Deloitte Tax News 

BFH, Urteil vom 10.04.2013, I R 22/12, BStBl. II 2013, S. 728

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