BFH: Verzinsung von unionsrechtswidrig nicht erstatteter Kapitalertragsteuer
Ist Kapitalertragsteuer auf Dividenden an ausländische Anteilseigner unionsrechtswidrig einbehalten worden, sind entsprechende Erstattungsbeträge zur Kapitalertragsteuer nach dem Unionsrecht (für Verzinsungszeiträume vor dem 01.01.2019) mit 0,5% pro Monat zu verzinsen. Der Zinslauf beginnt drei Monate nach der Einreichung eines formal ordnungsgemäßen Erstattungsantrags.
BFH, Urteil vom 25.02.2025, VIII R 32/21
Sachverhalt

Eine inländische Aktiengesellschaft (B-AG) schüttet Dividenden an eine in Österreich ansässige Kapitalgesellschaft (Klägerin) aus.
Für drei der Gewinnausschüttungen wurde die Erstattung der von der B-AG einbehaltenen Kapitalertragsteuer vom Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) unter Berufung auf § 50d Abs. 3 EStG a.F. (2007) abgelehnt. Für eine weitere Gewinnausschüttung war der österreichischen Muttergesellschaft zunächst eine sog. Freistellungsbescheinigung erteilt worden, später war diese aber unter Berufung auf § 50d Abs. 3 EStG a.F. (2007) widerrufen worden. Nachdem der EuGH die Vorschrift des § 50d Abs. 3 EStG a.F. (2007) als unvereinbar mit dem Europarecht eingestuft hatte (vgl. EuGH, Urteil vom 20.12.2017, C 504/16 und C 613/16, siehe Deloitte Tax-News), wurde die Kapitalertragsteuer auf die o.g. Gewinnausschüttungen erstattet.
Allerdings hatte das BZSt Anträge auf Verzinsung der erstatteten Kapitalertragsteuerbeträge der österreichischen Muttergesellschaft abgelehnt. Hingegen vertrat das FG die Auffassung, dass die Kapitalertragsteuer-Erstattungsansprüche zu verzinsen sind. Nach dem FG beginnt der Zinslauf vier Monate und zehn Arbeitstage nach Stellung des Erstattungsantrages. Lag eine Freistellungsbescheinigung vor, die unter Berufung auf eine rechtswidrige Vorschrift widerrufen wurde, beginnt der Zinslauf mit dem Zeitpunkt des Steuereinbehalts, so das FG.
Entscheidung
Auch der BFH kommt zu dem Ergebnis, dass die Erstattungsbeträge zur Kapitalertragsteuer gemäß § 50d Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 43b EStG und Art. 5 der Mutter-Tochter-Richtlinie nach dem Unionsrecht zu verzinsen sind. Allerdings beginnt der Zinslauf im Fall eines Erstattungsantrags nach dem BFH bereits drei Monate nach der Einreichung des Antrags.
Verzinsungsanspruch
Der BFH bestätigt, dass die Erstattungsbeträge zur Kapitalertragsteuer und zum Solidaritätszuschlag nach dem aus dem Unionsrecht abzuleitenden Verzinsungsanspruch zu verzinsen sind, wenn dem Anteilseigner vom BZSt die Erstattung der Kapitalertragsteuer unter Bezugnahme auf § 50d Abs. 3 EStG a.F. (2007) ohne Anhaltspunkte, die auf eine missbräuchliche Gestaltung im Einzelfall hindeuten, vorenthalten wird. Dies folge nach der Rechtsprechung des EuGH.
Verzinsungszeitraum
Im Gegensatz zum FG hält der BFH einen Bearbeitungszeitraum von drei Monaten nach Eingang eines formal ordnungsgemäßen Erstattungsantrags beim BZSt für ausreichend und sachgerecht. Folglich beginnt nach dem BFH der Zinslauf im Fall eines Erstattungsantrags (ohne ein vorheriges Freistellungsbescheinigungsverfahren) drei Monate nach der Einreichung des Antrags. Der Zinslauf endet mit dem Tag der Auszahlung des Erstattungsbetrags.
In Fällen, in denen eine zunächst erteilte Freistellungsbescheinigung unter Bezugnahme auf § 50d Abs. 3 EStG a.F. (2007) vom BZSt widerrufen wird, ohne dass Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Gestaltung vorliegen, beginnt der Zinslauf mit dem Tag des Einbehalts der Kapitalertragsteuer und endet mit dem Tag der Auszahlung des Erstattungsbetrags.
Zinshöhe und Berechnungsmethode
In Ermangelung einer unionsrechtlichen Regelung komme es der innerstaatlichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten zu, die Bedingungen für die Zahlung solcher Zinsen insbesondere den Zinssatz und die Berechnungsmethode für die Zinsen festzulegen. Der Zinssatz bestimme sich nach § 238 Abs. 1 S. 1 AO (für Verzinsungszeiträume vor dem 01.01.2019 mit 0,5% pro Monat bzw. 6% p.a.). Die Zinsen seien taggenau zu berechnen (vgl. auch Regelung in § 187 Abs. 1 BGB). Der Zinslauf beginne mit dem Tag, der auf den Ablauf des dreimonatigen Bearbeitungszeitraums nach Eingang des Erstattungsantrags folgt.
Betroffene Normen
§ 233a AO, § 43b EStG, § 50d Abs. 3 EStG a.F.
Streitjahr: 2018
Anmerkung
Auswirkungen der o.g. Entscheidung
In der Vergangenheit hatte das BZSt vielen ausländischen Anteilseignern die Erstattung von Kapitalertragsteuer unter Berufung auf § 50d Abs. 3 EStG a.F. (2007) verweigert, was nach den Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen Deister Holding und Juhler Holding (vgl. EuGH, Urteil vom 20.12.2017, C 504/16 und C 613/16, siehe Deloitte Tax-News), jedoch gegen das Unionsrecht verstieß. In all diesen Fällen kann es nun zur Festsetzung von Zinsen kommen.
Hintergrundinformationen zu § 50d Abs. 3 EStG
Die Vorschrift des § 50d Abs. 3 EStG wurde bereits mehrfach geändert, hatte aber seit ihrer erstmaligen Aufnahme in den § 50d EStG im Jahr 2000 zum Ziel, zu verhindern, dass beschränkt Steuerpflichtige durch Zwischenschaltung funktionsloser oder -schwacher (Auslands-)Gesellschaften und anderer Körperschaften unberechtigterweise in den Genuss von Steuerfreistellungen kommen.
Gemäß § 50d Abs. 3 S. 1 EStG a.F. (2007) hat eine ausländische Gesellschaft keinen Anspruch auf völlige oder teilweise Entlastung (von der Kapitalertragsteuer), soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und (Nr. 1) für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder (Nr. 2) die ausländische Gesellschaft nicht mehr als 10 Prozent ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt oder (Nr. 3) die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt.
Mit den Urteilen vom 20.12.2017 (C 504/16 und C 613/16 (Deister Holding und Juhler), siehe Deloitte Tax-News) bestätigte der EuGH, dass die Missbrauchsvorschrift in § 50d Abs. 3 EStG a.F. (2007), die bis 2011 anwendbar war, gegen EU-Recht verstößt. Kritisiert wurde insbesondere, dass ein Missbrauch bei Vorliegen einer der in Abs. 3 vorgesehenen Voraussetzungen pauschal vermutet wurde und von der ausländischen Muttergesellschaft nicht mehr widerlegt werden konnte. Zur Feststellung eines Missbrauchs ist nach dem EuGH vielmehr eine individuelle Prüfung erforderlich. Daran anknüpfend entschied der EuGH mit Urteil vom 14.06.2018 (C-440 (GS), siehe Deloitte Tax-News), dass auch § 50d Abs. 3 EStG in der seit dem 01.01.2012 geltenden Fassung gegen EU-Recht verstößt.
Auf die Rechtsprechung des EuGH reagierte der Gesetzgeber erst durch das Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz vom 02.06.2021 (BGBl. I 2021, S. 1259, siehe Deloitte Tax-News), indem die Vorschrift des § 50d Abs. 3 EStG neu ausgestaltet worden ist und die Möglichkeit eines Gegenbeweises eingeführt wurde. Der neu gestaltete § 50d Abs. 3 EStG ist in allen offenen Fällen anzuwenden, es sei denn, § 50d Abs. 3 in der Fassung, die zu dem Zeitpunkt galt, in dem die Einkünfte zugeflossen sind, steht dem Anspruch auf Entlastung nicht entgegen.
Vorinstanz
Finanzgericht Köln, Urteil vom 17.11.2021, 2 K 1544/20
Fundstellen
BFH, Urteil vom 25.02.2025, VIII R 32/21
BFH, Pressemitteilung vom 15.05.2025, Nr. 30/25
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 13.03.2024, I R 1/20, BStBl. II 2025, S. 193, siehe Deloitte Tax-News
EuGH, Urteil vom 20.12.2017, C 504/16 und C 613/16 (Deister Holding und Juhler), siehe Deloitte Tax-News
EuGH, Urteil vom 14.06.2018, C-440/17 (GS), siehe Deloitte Tax-News
