BFH: Zur Anwendung abkommensrechtlicher Aktivitätsvorbehalte auf ausländische Betriebsstätteneinkünfte
Sieht eine abkommensrechtliche "Switch over"-Klausel vor, dass die Anwendung der Freistellungsmethode bei Betriebsstätteneinkünften unter einem Aktivitätsvorbehalt steht und wird hierfür auf § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AStG verwiesen, erfüllen ausländische Betriebsstätten das dortige Tatbestandsmerkmal "ausländische Gesellschaft". Die Verweisung betrifft nicht nur die Regelung der aktiven (Grund-)Tätigkeiten, sondern bezieht die in § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AStG vorgesehenen Einschränkungen ein.
BFH, Urteil vom 03.07.2024, I R 4/21
Sachverhalt
Die Beteiligten streiten darüber, ob für im Jahr 2004 erzielte Einkünfte aus ausländischen Betriebsstätten unter Berücksichtigung abkommensrechtlicher Aktivitätsvorbehalte und § 20 Abs. 2 AStG die Freistellungs- oder die Anrechnungsmethode anzuwenden ist.
Die Klägerin, eine KG, ist Rechtsnachfolgerin der X GmbH, die im Streitjahr ihren Sitz und Ort der Geschäftsleitung im Inland hatte und an der zu Beginn des Streitjahres A zu 70 % (ab 28.2.2004: 95 %) und B zu 30 % (ab 28.2.2004: 5 %) beteiligt waren.
Aufgrund von Consultingverträgen war die X-GmbH unter anderem in Russland und Rumänien tätig. Dort wurden ihr Geschäftsräume zur Verfügung gestellt oder von ihr selbst auf eigene Rechnung angemietet, in denen eigenes Personal darunter auch A beratend tätig wurde.
Die X-GmbH vertrat die Auffassung, dass die Einkünfte aus den ausländischen Betriebsstätten nach dem jeweils anwendbaren Doppelbesteuerungsabkommen der Freistellungsmethode unterfallen. Nach dem Finanzamt und dem FG kommt hingegen aufgrund des in dem jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen vereinbarten Aktivitätsvorbehalts die Anrechnungsmethode zur Anwendung.
Entscheidung
Das BFH bestätigt die Ansicht des FG, dass die Betriebsstätteneinkünfte nicht der Freistellungs- sondern der Anrechnungsmethode unterliegen.
Gesetzliche Grundlage
Die Einkünfte aus den ausländischen Betriebsstätten der X-GmbH sind nach dem DBA Russland und dem DBA Rumänien grundsätzlich von der inländischen Besteuerung freizustellen (Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Art. 23 Abs. 2 Buchst. a DBA Russland; Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Art. 23 Abs. 2 Buchst. a und d DBA Rumänien). Allerdings sind die Einkünfte nur dann von der deutschen Steuer ausgenommen, wenn die in Deutschland ansässige Person nachweist, dass die Betriebsstätte in dem Wirtschaftsjahr, in dem sie den Gewinn erzielt hat, ihre Bruttoerträge ausschließlich oder fast ausschließlich aus unter § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AStG fallenden Tätigkeiten bezogen hat (vgl. Art. 23 Abs. 2 Buchst. c DBA-Russland/DBA-Rumänien).
Nach dem in Bezug genommenen § 8 Abs. 1 Nr. 5a AStG, gehören Dienstleistungen zu den aktiven Tätigkeiten, soweit sich die ausländische Gesellschaft für die Dienstleistung nicht eines unbeschränkt Steuerpflichtigen, der gemäß § 7 AStG an ihr beteiligt ist, oder einer einem solchen Steuerpflichtigen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG nahestehenden Person bedient, die mit ihren Einkünften aus der von ihr beigetragenen Leistung im Geltungsbereich des Außensteuergesetzes steuerpflichtig ist.
Betriebsstätten als „ausländische Gesellschaft“
Nach dem BFH gilt für die Betriebsstätteneinkünfte abkommensrechtlich die Anrechnungsmethode. Die Klägerin könne sich insbesondere nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Aktivitätsvorbehalte des DBA-Russland und des DBA-Rumänien unzulässig ausgeweitet würden, wenn die Bezugnahme in § 8 Abs. 1 Nr. 5a AStG auf eine "ausländische Gesellschaft" auch auf Betriebsstätten angewendet werden sollte. Vielmehr sei § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AStG im Rahmen der abkommensrechtlichen Prüfung der Aktivitätsvorbehalte so auszulegen, dass als "ausländische Gesellschaft" unter anderem auch die ausländischen Betriebsstätten (hier: in Russland und Rumänien) einer inländischen Kapitalgesellschaft (hier: X-GmbH) anzusehen sind.
Passive Tätigkeiten
Der BFH führt aus, dass im Streitfall aufgrund der in § 8 Abs. 1 Nr. 5a AStG geregelten Ausnahme (Mitwirkung eines gemäß § 7 AStG an der Gesellschaft beteiligten, unbeschränkt Steuerpflichtigen an der Dienstleitung) passive Tätigkeiten vorliegen, für die als Rechtsfolge ein abkommensrechtlicher Wechsel der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode vorgesehen ist. A, der im Streitjahr an der X-GmbH überwiegend beteiligter Gesellschafter war, habe in den jeweiligen Betriebsstätten mitgearbeitet.
Der BFH hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass die Aktivitätsvorbehalte sich ausdrücklich auf die unter § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AStG „fallenden Tätigkeiten“ beziehen. Daraus werde deutlich, dass nur solche Tätigkeiten gemeint sind, die auch unter Berücksichtigung der in diesen Vorschriften vorgesehenen Einschränkungen und der konkreten Umstände des Einzelfalls zu den aktiven Tätigkeiten gehören.
Weiter weist der BFH auf das „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ der abkommensrechtlichen Aktivitätsvorbehalte hin. So sehen die die abkommensrechtlichen Aktivitätsvorbehalte des DBA-Russland und des DBA-Rumänien als Rechtsfolge eine Anwendung der Anrechnungsmethode auf sämtliche Einkünfte aus der ausländischen Betriebsstätte vor. Eine Aufteilung der Einkünfte wie in § 20 Abs. 2 S. 2 AStG n.F. ("soweit") bzw. § 20 Abs. 2 AStG und § 20 Abs. 2 S. 1 AStG n.F. ("insoweit") scheidet daher aus, so der BFH.
Keine Anwendung der (Rück-)Ausnahme des § 20 Abs. 2 S. 2 AStG i.d.F. des JStG 2010
Nach § 20 Abs. 2 S. 1 AStG kommt für Einkünfte aus ausländischen Betriebsstätten, die aufgrund eines DBAs der Freistellungsmethode unterliegen, dennoch die Anrechnungsmethode zur Anwendung, wenn die Einkünfte ungeachtet des § 8 Abs. 2 AStG als Zwischeneinkünfte steuerpflichtig wären (unilaterale „Umschalt“- oder „Switch over“-Klausel). Durch das Jahressteuergesetz 2010 ist ein neuer Satz 2 in § 20 Abs. 2 AStG angefügt worden, der hierfür eine (Rück-)Ausnahme vorsieht. Danach gilt der Wechsel der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode nicht, soweit in der ausländischen Betriebsstätte Einkünfte anfallen, die nach § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a AStG als Zwischeneinkünfte steuerpflichtig wären.
Nach dem BFH kann im Streitfall dahingestellt bleiben, ob § 20 Abs. 2 S. 2 AStG n.F. schon für das Streitjahr anwendbar war. Denn § 20 Abs. 2 S. 2 AStG n.F. stellt (nur) eine (Rück-)Ausnahme von dem in § 20 Abs. 2 S. 1 AStG n.F. vorgesehenen Wechsel der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode dar. Sofern wie im Streitfall schon wegen eines abkommensrechtlichen Aktivitätsvorbehalts die Anrechnungsmethode gilt, kommt § 20 Abs. 2 S. 1 AStG (bzw. insgesamt § 20 Abs. 2 AStG) hingegen nicht zur Anwendung, so dass § 20 Abs. 2 S. 2 AStG n.F. ins Leere läuft.
Betroffene Normen
Art. 23 Abs. 2 Buchst. c DBA-Russland/DBA-Rumänien, § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AStG, § 20 Abs. 2 AStG
Streitjahr 2004
Vorinstanz
Sächsisches Finanzgericht, Urteil vom 15.12.2020, 1 K 1469/16
Fundstelle
BFH, Urteil vom 03.07.2024, I R 4/21