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25.03.2021
Internationales Steuerrecht

BMF: Reichweite der Kapitalverkehrsfreiheit bei Hinzurechnungsbesteuerung

Mit Schreiben vom 17.03.2021 hat sich das BMF zur Reichweite der Kapitalverkehrsfreiheit im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7 - 14 AStG unter Berücksichtigung der BFH-Rechtsprechung geäußert. Das BMF formuliert Anforderungen, die an den Entlastungsbeweis gemäß § 8 Abs. 2 AStG zu stellen sind, und verfügt zudem, dass der Maßstab des § 8 Abs. 2 AStG sowohl für EU/EWR- als auch für Drittstaatenfälle gelten soll.  

Hintergrund: BFH-Rechtsprechung

Keine Anwendung der Standstill-Klausel

Mit Urteil vom 22.05.2019 (I R 11/19 (vormals I R 80/14), siehe Deloitte Tax-News) hat der BFH entschieden, dass die sog. Standstill-Klausel des Artikels 57 Abs. 1 EG (jetzt: Artikel 64 Abs. 1 AEUV) keine Anwendung mehr findet. 

Kapitalverkehrsfreiheit

Dem zufolge ist nach der BFH-Rechtsprechung sowohl die sog. erweiterte Hinzurechnung von Einkünften mit Kapitalanlagecharakter nach § 7 Abs. 6 und 6a AStG (Urteil vom 22.05.2019, I R 11/19 (vormals I R 80/14), siehe Deloitte Tax-News) als auch die allgemeine Hinzurechnungsbesteuerung nach § 7 Abs. 1 AStG (Urteil vom 18.12.2019, I R 59/17, siehe Kurzdarstellung Intranet https://mydeloittenet.de.deloitte.com/sites/TaxandLegal/Pages/BFH-Allgemeine-Hinzurechnungsbesteuerung-im-Dritt.aspx siehe Deloitte Tax-News https://www.deloitte-tax-news.de/steuern/internationales-steuerrecht/bfh-allgemeine-hinzurechnungsbesteuerung-im-drittstaatenfall.html) auch im Zusammenhang mit Direktinvestitionen in Drittstaatenkonstellationen an der Kapitalverkehrsfreiheit zu messen.

Entlastungsbeweis nach § 8 Abs. 2 AStG

Steuerpflichtige müssen nach der BFH-Rechtsprechung nachweisen, dass es sich bei der gewählten Gestaltung nicht um eine künstliche Gestaltung handelt, um damit die Anwendung der §§ 7 - 14 AStG auszuschließen. Im Fall der Beteiligung an Gesellschaften, die in der EU ansässig sind, wird diese Nachweismöglichkeit durch § 8 Abs. 2 AStG konkretisiert.

Bei Beteiligungen an Gesellschaften, die in Drittstaaten ansässig sind, kommt ein Entlastungsbeweis nach § 8 Abs. 2 AStG in Betracht, wenn vertragliche Verpflichtungen des Drittstaates gegenüber den deutschen Steuerbehörden bestehen, die es tatsächlich ermöglichen, ggfs. die Richtigkeit dieser Angaben zu überprüfen. 

Dies gilt auch für in der EU ansässige Kapitalanlagegesellschaften nach § 7 Abs. 6 AStG.

Möglichkeit zur Überprüfung

Der Rechtsprechung zufolge beschränkt die Hinzurechnungsbesteuerung im Zusammenhang mit Direktinvestitionen hinsichtlich einer in einem Drittstaat ansässigen Zwischengesellschaft zwar die Kapitalverkehrsfreiheit, ist aber grundsätzlich gerechtfertigt. Eine Rechtfertigung sei allerdings dann nicht gegeben, wenn zwischen den beiden Staaten vertragliche Verpflichtungen bestehen, die es den deutschen Steuerbehörden tatsächlich ermöglichen, die Richtigkeit der Informationen in Bezug auf die Drittstaatengesellschaft zu überprüfen, die zum Nachweis dafür vorgelegt werden, dass die Beteiligung nicht auf einer künstlichen Gestaltung beruht.

Verwaltungsanweisung

Das BMF schließt sich nun der Rechtsprechung des BFH an und formuliert Anforderungen, die an den Nachweis einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit gemäß § 8 Abs. 2 AStG zu stellen sind.

Entlastungsbeweis

  • gezielte Nutzziehung der Ressourcen im Aufnahmestaat (z. B. gut ausgebildetes Personal, günstige Produktionsbedingungen im Rahmen der Beschaffungsmarktaktivität, besondere Kundennähe im Rahmen der Absatzmarktaktivität); die Ausübung der Geschäftstätigkeit im Aufnahmestaat erfordert und erreicht hierbei einen relevanten Umfang; die Teilnahme am dortigen Marktgeschehen ist aktiv, ständig und nachhaltig
  • die Zwischengesellschaft ist nicht nur personell, sondern auch sachlich angemessen ausgestattet, so dass sie in der Lage ist, die angestrebten wirtschaftlichen Kernfunktionen selbständig auszuüben 
  • die wesentlichen unternehmerischen Entscheidungen werden durch die ausländische Gesellschaft selbst getroffen

Substanzerfordernisse

Die Substanzerfordernisse des § 8 Abs. 2 AStG müssen im Hinblick auf die jeweiligen passiven Einkünfte (§ 8 Abs. 1 AStG) erfüllt werden.

Keine rein künstliche Gestaltung

Eine schädliche rein künstliche Gestaltung liege darin, Gewinne künstlich in Drittstaaten oder Gebiete mit niedrigem Besteuerungsniveau zu transferieren (vgl. EuGH, Urteile vom 26.02.2019, C-135/17 und C-115/16, C-118/16, C-119/16, C-299/16 sowie C-116/16 und C-117/16). Zum Nachweis für triftige wirtschaftliche Gründe für die Beteiligung an der ausländischen Gesellschaft gehöre, dass keiner der Hauptzwecke der Beteiligung die Erlangung eines steuerlichen Vorteils ist.

Anforderungen an die Amtshilfe in Drittstaatenfällen

Ist der Nachweis einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit im o.g. Sinn erbracht, könne eine Anwendung der §§ 7 - 14 AStG in Drittstaatensachverhalten nur dann unterbleiben, wenn darüber hinaus rechtliche, insbesondere vertragliche Verpflichtungen des Drittstaates gegenüber den deutschen Steuerbehörden bestehen, die es tatsächlich ermöglichen, gegebenenfalls die Richtigkeit dieser Angaben zu überprüfen.

Da innerhalb der EU durch die Amtshilferichtlinie ein hinreichender Informationsaustausch gewährleistet ist, befasst sich das Schreiben nur mit den Anforderungen an den Informationsaustausch in Drittstaatenfällen (dies gilt insoweit einschließlich EWR, da die Amtshilferichtlinie hier nicht anwendbar ist).

Vertragliche Verpflichtungen eines Drittstaates seien nur dann als hinreichend anzusehen, wenn diese

  • einen rechtlichen Rahmen für die Zusammenarbeit begründen, aus denen ein Informationsanspruch zugunsten der Bundesrepublik Deutschland folgt, der sich inhaltlich auf die Anwendung des deutschen Ertragsteuerrechts (Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuerrecht) bezieht und
  • es den deutschen Steuerbehörden tatsächlich ermöglichen, gegebenenfalls die Richtigkeit der Informationen im Einzelfall zu überprüfen (tatsächliche Verifikationsmöglichkeit).

Der sog. kleine Informationsaustausch im Rahmen von DBA erfülle diese Voraussetzung nicht.

Nicht schädlich sei, wenn dem ersuchten Staat punktuelle, abstrakt existierende Auskunftsverweigerungsrechte (wie z. B. Artikel 26 Abs. 2 und 3 OECD-MA 2017, Artikel 21 Abs. 2 und 3 des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen) zustehen.

Als nicht ausreichende Verifikation sieht das BMF eine Aussage des Inhalts an, dass im Hinblick auf für die Nachweisführung notwendige Aspekte der zuständigen Behörde des anderen Staates keine abweichenden Erkenntnisse vorliegen.

Anwendung

Das Schreiben ist in allen noch nicht bestandskräftigen Fällen anzuwenden.

Anmerkungen

ATAD-Umsetzung

Im Rahmen der Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie („ATAD“) soll das bisherige Konzept der Inländerbeherrschung aufgegeben und durch ein Beherrschungskonzept ersetzt werden (siehe Deloitte Tax News). Nach der Begründung zum Regierungsentwurf zum ATAD-Umsetzungsgesetz hat dieses Beherrschungskonzept zur Folge, dass die Hinzurechnungsbesteuerung im Drittstaatenfall keinen europarechtlichen Bedenken ausgesetzt ist, da in derartigen Beherrschungssachverhalten Prüfungsmaßstab allein die Niederlassungsfreiheit ist, deren Geltung auf EU- und EWR-Sachverhalte beschränkt ist (vgl. Regierungsentwurf, S. 78).

Folglich könnte die „allgemeine“ Hinzurechnungsbesteuerung nach § 7 Abs. 1 AStG aufgrund des Beherrschungskonzepts nach erfolgter ATAD Umsetzung in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit fallen. Da die Niederlassungsfreiheit nicht auf Drittstaaten Anwendung findet, könnte die „allgemeine“ Hinzurechnungsbesteuerung im Drittstaatenfall mit dem Unionsrecht vereinbar sein und zur Anwendung kommen, auch wenn nachweisbar (und von den Steuerbehörden überprüfbar) die Beteiligung an der Zwischengesellschaft nicht auf einer künstlichen Gestaltung beruht. 

Betroffene Normen

​§ 8 Abs. 2 AStG 

Fundstelle

BMF, Schreiben vom 17.03.2021, IV B 5 - S 1351/19/10002 :001

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 22.05.2019 (I R 11/19 (I R 80/14), siehe Deloitte Tax-News

BFH, Urteil vom 18.12.2019, I R 59/17, siehe Deloitte Tax-News 

EuGH, Urteile vom 26.02.2019, C-135/17, siehe Deloitte Tax-News und C-115/16, C-118/16, C-119/16, C-299/16 sowie C-116/16 und C-117/16 

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