EuGH: Niederländische Zinsabzugsbeschränkung mit EU-Recht vereinbar
Die Regelung zur Begrenzung des Zinsabzugs in Art. 10a der niederländischen Körperschaftssteuervorschriften ist mit dem EU-Recht vereinbar. Die Zinsabzugsbeschränkung steht der Niederlassungsfreiheit nicht entgegen, wenn der Zinsabzug bei einer Schuld verweigert wird, die als eine rein künstliche Vereinbarung angesehen wird oder Teil einer solchen Vereinbarung ist.
EuGH, Urteil vom 04.10.2024, C‑585/22
Sachverhalt
Die Klägerin X, eine Gesellschaft niederländischen Rechts, ist Teil einer multinationalen Unternehmensgruppe, welcher auch A und C, jeweils Gesellschaften nach belgischem Recht, angehören. A ist der einzige Aktionär von X und hielt die Mehrheit der Stimmrechte an der C. Die X und die A erwarben von Dritten Anteile an der F, eine Gesellschaft niederländischen Rechts. X finanzierte den Erwerb dieser Anteile durch einen Darlehensvertrag mit C, die dafür Eigenmittel verwendete, die sie durch eine Kapitaleinlage von A erhalten hatte.
Die niederländische Finanzverwaltung verweigerte der X den Abzug des Zinsaufwands aufgrund des gruppeninternen Darlehens. Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos. Nach Einlage von Rechtsmitteln gegen diese Entscheidung, legte das oberste Gericht der Niederlande dem EuGH die Rechtsfrage zur Vorabentscheidung vor, ob die niederländische Zinsabzugsbeschränkung mit EU-Recht vereinbar ist. Konkret ging es insbesondere um die Frage, ob die Verweigerung des Zinsabzugs in der o.g. Konstellation aufgrund der Einordnung der betreffenden Schuld als rein künstliche Konstruktion (und zwar unabhängig davon, ob diese Schuld als solche unter Bedingungen des freien Wettbewerbs eingegangen wurde) mit dem EU-Recht vereinbar ist.
Entscheidung
Der EuGH kommt zu dem Ergebnis, dass die niederländische Zinsabzugsbeschränkung aufgrund des legitimen Ziels der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug mit dem Grundsatz der Niederlassungsfreiheit vereinbar ist.
Zinsabzugsbeschränkung nach niederländischem Recht (vereinfacht)
Nach Art. 10a der niederländischen Körperschaftsteuervorschriften sind Zinsen nicht abzugsfähig, die einem verbundenen Unternehmen geschuldetes Darlehen betreffen, wenn das Darlehen mit einem Anteilserwerb zusammenhängt. Zinsen, die sich auf die Finanzierung solcher Transaktionen beziehen, sind nur dann abzugsfähig, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass dem Darlehen und der zugrundeliegenden Transaktion überwiegend wirtschaftlichen Erwägungen zugrunde liegen oder wenn die erhaltenen Zinsen nach niederländischen Maßstäben effektiv und ausreichend besteuert werden (Besteuerung von mind. 10% des steuerpflichtigen Gewinns).
Die o.g. Rechtsvorschrift soll verhindern, dass die niederländische Steuerbemessungsgrundlage durch die künstliche Schaffung von Zinslasten innerhalb einer Unternehmensgruppe ausgehöhlt wird.
Niederländische Zinsabzugsbeschränkung fällt in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit
Zunächst hält der EuGH fest, dass die o.g. niederländische Regelung unter den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit i.S.d. Art. 49 AEUV fällt.
Zinsabzugsbeschränkung führt zu einer Ungleichbehandlung von vergleichbaren steuerlichen Situationen
Der EuGH stellt mithin fest, dass eine Ungleichbehandlung vorliegt, da die Zinsabzugsbeschränkung im Streitfall nicht zur Anwendung gekommen wäre, wenn C (also das darlehensgewährende Unternehmen) in den Niederlanden ansässig gewesen wäre. Weiter liegen auch sog. vergleichbare Situationen (Darlehensgeber in den Niederlanden vs. Darlehensgeber im Ausland unter sonst gleichen Bedingungen) vor.
Zinsabzugsbeschränkung ist gerechtfertigt
Der EuGH hebt hervor, dass die niederländischen Rechtsvorschriften allerdings damit gerechtfertigt werden können, dass sie das legitime Ziel der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug verfolgen. Mit ihnen soll nämlich verhindert werden, dass das Eigenkapital einer Unternehmensgruppe künstlich als von einem niederländischen Gruppenmitglied aufgenommene Kreditmittel erscheint und die Darlehenszinsen vom steuerbaren Ergebnis in den Niederlanden abgezogen werden. Diese Rechtfertigung gilt nach dem EuGH ausdrücklich auch dann, wenn das Unternehmen (hier: F) erst nach dem Erwerb oder der Erweiterung mit dem Steuerpflichtigen verbunden ist.
Zinsabzugsbeschränkung ist auch verhältnismäßig
Der EuGH weist auch darauf hin, dass die Vermutung rein künstlicher Gestaltungen vom Steuerpflichtigen widerlegt werden kann. In diesem Zusammenhang hebt der EuGH hervor, dass sich die Prüfung, ob der Transaktion überwiegend wirtschaftliche Erwägungen zugrunde liegen, insbesondere auf die wirtschaftliche Realität der Transaktionen beziehen muss.
Wenn sich der künstliche Charakter eines Geschäfts aus einem ungewöhnlich hohen Zinssatz auf ein solches Darlehen ergebe, das ansonsten die wirtschaftliche Realität widerspiegle, verlange der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, den Teil dieser gezahlten Zinsen, der über dem marktüblichen Zinssatz liegt, auszunehmen.
Wenn hingegen das in Rede stehende Darlehen selbst wirtschaftlich ungerechtfertigt sei und es ohne eine besondere Beziehung zwischen den betreffenden Gesellschaften und den angestrebten steuerlichen Vorteil niemals aufgenommen worden wäre, stehe es mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Einklang, den Abzug dieser Zinsen vollständig zu verweigern.
Folglich ist die niederländische Zinsabzugsbeschränkung, die im Streitfall den Zinsabzug in vollem Umfang ablehnt, da das gruppeninterne Darlehen als eine rein künstliche Vereinbarung angesehen wird oder Teil einer solchen Gestaltung ist, verhältnismäßig und somit auch mit dem EU-Recht vereinbar. Dies gilt ausdrücklich auch dann, wenn die Schuld unter Bedingungen des freien Wettbewerbs eingegangen wurde und die Höhe dieser Zinsen nicht über das hinausgeht, was zwischen unabhängigen Unternehmen vereinbart worden wäre.
Betroffene Norm
Art. 10a des niederländischen Körperschaftsteuerrechts
Streitjahr 2007
Anmerkungen
Einordnung in die Rechtsprechung
Mit dem o.g. Urteil hebt der EuGH hervor, dass gruppeninterne Darlehen trotz marktüblicher Konditionen dennoch als rein künstliche Gestaltungen angesehen werden können. Liegt eine rein künstliche Gestaltung vor (z.B. weil das Darlehen ohne eine besondere Beziehung zwischen den betreffenden Gesellschaften und ohne den angestrebten steuerlichen Vorteil nicht aufgenommen worden wäre), kann der Zinsabzug auch in vollem Umfang verweigert werden.
Entgegen der Entscheidung in der Rechtssache Lexel (vgl. EuGH-Urteil vom 20.01.2021, C-484/19, siehe Deloitte Tax-News) bejaht der EuGH in dem o.g. Urteil die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung durch Gründe der Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerumgehung.
Englischsprachiger Beitrag
Für weitere Informationen, siehe auch den englischsprachigen Beitrag zum Urteil.
Fundstellen
EuGH, Urteil vom 04.10.2024, C‑585/22 (noch nicht in deutscher Fassung verfügbar)
Pressemitteilung Nr. 161/24 vom 04.10.2024
Weitere Fundstelle
EuGH, Urteil vom 20.01.2021, C-484/19, Lexel, siehe Deloitte Tax-News