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20.10.2022
Internationales Steuerrecht

EuGH: Strafzuschlag wegen Verletzung von Dokumentationspflichten mit EU-Recht vereinbar

Der Strafzuschlag bei Verletzung der Verrechnungspreis-Dokumentationsvorschriften ist nach dem EuGH grundsätzlich mit dem EU-Recht vereinbar. 

Sachverhalt

Die Klägerin, eine KG mit Sitz im Inland, zahlte in den Streitjahren sog. Management Fees an die in den Niederlanden ansässige Y N.V., die über die alleinige Kommanditistin der KG mittelbar 100% der Anteile an der Klägerin hielt. Im Gegenzug erbrachte die Y N.V. Dienstleistungen an die inländischen Tochtergesellschaften der KG.

Im Rahmen der Betriebsprüfung wurde um Vorlage einer Verrechnungspreisdokumentation gemäß § 90 Abs. 3 AO a.F. i.V.m. § 1 ff. GAufzV a.F. gebeten. Da die vorgelegte Dokumentation aus Sicht der Betriebsprüfung nicht verwertbar war (u.a. fehlte eine Angemessenheitsdokumentation), setzte die Betriebsprüfung einen Zuschlag gemäß § 162 Abs. 4 AO a.F. in Höhe von 5% des Mehrbetrags der Einkünfte pro Jahr fest.

Die KG war der Auffassung, dass der festgesetzte Zuschlag gemäß § 162 Abs. 4 AO a.F. europarechtswidrig sei, da dieser nur bei Steuerpflichtigen, die Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen im Ausland unterhalten, zur Anwendung kommt.

Das FG Bremen weist mit Beschluss vom 07.07.2021 (2K 187/17 (3), siehe Deloitte Tax News) daraufhin, dass der BFH mit Urteil vom 10.04.2013 (I R 45/11, siehe Deloitte Tax News) zwar entschieden hat, dass die Dokumentationsverpflichtung in § 90 Abs. 3 AO a.F. nicht gegen die unionsrechtlichen Grundfreiheiten verstößt. Der BFH habe allerdings keine Entscheidung darüber getroffen, ob ein Strafzuschlag, der bei einem Verstoß gegen diese Pflicht verhängt werden könne, mit dem Unionsrecht vereinbar sei. Folglich hat das FG Bremen dem EuGH diese Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Entscheidung

Der EuGH kam zu dem Schluss, dass (grundsätzlich) sowohl die Dokumentationspflicht als solche als auch der Strafzuschlag bei Verletzung der Verrechnungspreis-Dokumentationspflichten mit dem EU-Recht vereinbar ist.

EU-Rechtskonformität der Dokumentationspflichten

Die steuerliche Dokumentationspflicht bezieht sich auf grenzüberschreitende Geschäftsvorfälle zwischen einer gebietsansässigen und einer im Sinne des § 1 Abs. 2 AStG a.F. nahestehenden, nicht gebietsansässigen Gesellschaft. Für Geschäftsvorfälle mit anderen gebietsansässigen Gesellschaften besteht keine vergleichbare Dokumentationspflicht.

Folglich liegt nach dem EuGH eine Ungleichbehandlung vor, die eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit im Sinne von Art. 49 AEUV darstellen könnte. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine steuerliche Maßnahme, die geeignet ist, die Niederlassungsfreiheit zu beschränken, allerdings statthaft, wenn sie Situationen betrifft, die objektiv nicht miteinander vergleichbar sind, oder wenn sie durch vom Unionsrecht anerkannte zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. In diesem Fall muss die Beschränkung außerdem geeignet sein, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.

Nach dem EuGH lässt sich die steuerliche Dokumentationspflicht durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses, nämlich der Wirksamkeit der Steueraufsicht zur Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten, rechtfertigen.

Die Regelungen zur steuerlichen Dokumentationspflicht gehen nach dem EuGH nicht über das hinaus, was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich ist, wenn sie nicht zu übermäßigem Verwaltungszwängen für den Steuerpflichtigen führen. Dies habe das vorlegende Gericht (also FG Bremen) zu prüfen.

Unter dem Vorbehalt der dem vorlegenden Gericht obliegenden Prüfungen kommt der EuGH zu dem Schluss, dass die Niederlassungsfreiheit der steuerlichen Dokumentationspflicht nicht entgegensteht.

EU-Rechtskonformität des Strafzuschlags bei Verletzung der Dokumentationspflichten

Im Hinblick auf die EU-Rechtskonformität des Strafzuschlags bei Verletzung der Dokumentationspflichten ist auch insbesondere zu prüfen, ob dieser durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist und auch nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des Ziels erforderlich ist.

In Berufung auf bisherige Rechtsprechung (vgl. EuGH-Urteil vom 03.03.2020, C-482/18, Google Ireland) führt der EuGH aus, dass die Verhängung von Sanktionen einschließlich solcher strafrechtlicher Art als erforderlich angesehen werden kann, um die wirksame Einhaltung einer nationalen Regelung zu gewährleisten, allerdings unter der Voraussetzung, dass Art und Höhe der verhängten Sanktion gemessen an der Schwere der mit ihr geahndeten Zuwiderhandlung in jedem Einzelfall verhältnismäßig sind.

Weiter erscheine die Anwendung eines ausreichend hohen Aufschlags geeignet, Steuerpflichtige, die der steuerlichen Dokumentationspflicht unterliegen, von deren Missachtung abzuhalten und somit zu verhindern, dass dem Besteuerungsmitgliedstaat die Möglichkeit genommen wird, grenzüberschreitende Transaktionen zwischen verflochtenen Unternehmen wirksam zu kontrollieren, um eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu gewährleisten.

Der EuGH kommt zu dem Schluss, dass der Strafzuschlag bei Verletzung der Dokumentationspflichten nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des Ziels erforderlich ist. Dabei berücksichtigt der EuGH insbesondere folgende Gesichtspunkte:

  • Es gibt eine Korrelation zwischen dem Betrag der Geldbuße (Strafzuschlag) und der Schwere des Verstoßes (Mehrbetrags der Einkünfte), da der Strafzuschlag anhand eines Prozentsatzes des Mehrbetrags der Einkünfte bemessen wird.
  • Der Ansatz einer Mindeststrafe von 5.000 Euro ermögliche es, die abschreckende Wirkung des Steuerzuschlags aufrechtzuerhalten.
  • Die Festsetzung einer Obergrenze von 10% stelle sicher, dass der Zuschlag nicht übermäßig hoch ausfalle.
  • Der Strafzuschlag finde keine Anwendung, wenn der Verstoß gegen die steuerliche Dokumentationspflicht entschuldbar oder das Verschulden nur geringfügig sei.

Auch der Umstand, dass bei einem Verstoß gegen die Dokumentationspflicht eine Berichtigung der steuerbaren Einkünfte zu Ungunsten des Steuerpflichtigen vorgesehen ist (sog. Schätzung), könne keine andere Auslegung rechtfertigen, so der EuGH. Diese Regeln sind nicht mit denjenigen zum Steuerzuschlag vergleichbar, da sie nicht darauf gerichtet sind, eine Missachtung der steuerlichen Dokumentationspflicht zu sanktionieren, sondern darauf, die steuerbaren Einkünfte des Steuerpflichtigen zu berichtigen.

Folglich stehe die Niederlassungsfreiheit auch der Festsetzung eines Strafzuschlags bei Verletzung der Dokumentationspflichten nicht entgegen.

Betroffene Normen

§ 162 Abs. 4 AO (a.F.), § 90 Abs. 3 AO a.F., § 1 Abs. 2 AStG a.F.

Streitjahre 2007-2010

Anmerkungen

Gesetzliche Grundlagen

Gemäß § 162 Abs. 4 S. 1 AO ist ein Zuschlag von 5.000 Euro festzusetzen, wenn ein Steuerpflichtiger Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Abs. 3 AO nicht vorlegt oder vorgelegte Aufzeichnungen unverwertbar sind. Der Zuschlag beträgt nach § 162 Abs. 4 S. 2 AO mindestens 5 Prozent des Mehrbetrags der Einkünfte, der sich nach einer Berichtigung auf Grund der Anwendung des § 162 Abs. 3 AO, also einer Schätzung der Einkünfte durch die Finanzverwaltung ergibt, wenn sich danach ein Zuschlag von mehr als 5.000 Euro ergibt.

Gemäß § 90 Abs. 3 AO a.F. hat ein Steuerpflichtiger bei Sachverhalten, die Vorgänge mit Auslandsbezug betreffen, über die Art und Inhalt seiner Geschäftsbeziehungen mit nahe stehenden Personen im Sinne des § 1 Abs. 2 AStG a.F. Aufzeichnungen zu erstellen.

Gemäß § 1 Abs. 2 AStG a.F. ist dem Steuerpflichtigen eine Person (u.a.) nahestehend, wenn die Person an dem Steuerpflichtigen mindestens zu einem Viertel unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist oder auf den Steuerpflichtigen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder umgekehrt der Steuerpflichtige an der Person wesentlich beteiligt ist oder auf diese Person unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann.

Aktuelle Rechtslage

Auch wenn sich die zugrundeliegenden Normen über die Jahre hinweg im Wortlaut teilweise geändert haben, ist das EuGH-Urteil auch für den aktuellen Rechtsstand von grundsätzlicher Relevanz.

Vorinstanz

FG Bremen, Beschluss vom 07.07.2021, 2 K 187/17 (3), siehe Deloitte Tax News

Fundstelle

EuGH, Urteil vom 13.10.2022, C-431/21 

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 10.04.2013, I R 45/11, siehe Deloitte Tax News 

EuGH, Urteil vom 03.03.2020, C-482/18, Google Ireland
 

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