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27.05.2021
Internationales Steuerrecht

FG Köln: EuGH-Vorlage zur Erstattung von Kapitalertragsteuer bei Streubesitzdividenden

Das FG Köln hat dem EuGH Fragen zur europarechtlichen Vereinbarkeit der in § 32 Abs. 5 KStG aufgestellten Anforderungen für die Erstattung von Kapitalertragsteuer bei Streubesitzdividenden vorgelegt. 

Sachverhalt

Streitig ist, ob der Klägerin in den Streitjahren 2006-2008 im Hinblick auf sog. Streubesitzdividenden ein Anspruch auf Kapitalertragsteuer-Erstattung gem. § 32 Abs. 5 KStG zusteht. Die Klägerin ist eine in Großbritannien ansässige Kapitalgesellschaft, die zu weniger als 6% an einer deutschen Tochtergesellschaft beteiligt war. 100%iger Anteilseigner der Klägerin war eine börsennotierte ausländische Kapitalgesellschaft. Die Klägerin hatte von ihrer Tochtergesellschaft Gewinnausschüttungen erhalten, für die Kapitalertragsteuer (KapESt) und Solidaritätszuschlag einbehalten und abgeführt wurden. Das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) gewährte der Klägerin nur eine anteilige Erstattung der Kapitalertragsteuer gem. § 50d Abs. 1 EStG i.V.m. dem einschlägigen DBA. Die darüber hinausgehende Erstattung der KapESt lehnte es mit der Begründung ab, dass die Klägerin die hierfür nach § 32 Abs. 5 KStG erforderlichen Nachweise nicht erbracht habe.

Entscheidung

Das FG legt dem EuGH die Frage vor, ob die in § 32 Abs. 5 KStG aufgestellten Voraussetzungen mit dem EU-Recht vereinbar und folglich anwendbar sind.

Gesetzliche Grundlage

Für an im Ausland ansässige Körperschaften ausgeschüttete Dividenden aus einer sog. Streubesitzbeteiligung sieht § 32 Abs. 5 KStG unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit einer Erstattung der KapESt vor. Allerdings weichen die Voraussetzungen von denen ab, die für die Anrechnung der KapESt an inländische Gesellschaften gelten.

Geltungserhaltende Reduktion des § 32 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 KStG

Zunächst ist das FG der Überzeugung, dass die Voraussetzung des § 32 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 KStG, wonach sich der Sitz (§ 10 AO) und der Ort der Geschäftsleitung (§ 11 AO) innerhalb des Hoheitsgebiets eines EU-Mitgliedstaates oder eines EWR-Staates befinden muss, gegen die auch im Verhältnis zu Drittstaaten geltende Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 Abs. 1, Art. 65 AEUV) verstößt. § 32 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 KStG sei daher im Hinblick auf die Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit dahingehend geltungserhaltend auszulegen, dass die Regelung auch auf Gesellschaften mit Sitz und/oder Sitz der Geschäftsleitung in Drittstaaten Anwendung findet. Denn die vom EuGH verbindlich formulierten gemeinschaftsrechtlichen Erfordernisse sind in geeigneten Fällen durch die sog. „geltungserhaltende Reduktion“ in die betreffenden Normen hineinzulesen (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 13.06.2018, I R 94/15).

Erbringung der Beweisanforderungen des § 32 Abs. 5 S. 2 Nr. 5 KStG praktisch unmöglich

Der Erstattungsanspruch wird gem. § 32 Abs. 5 S. 2 Nr. 5 KStG nur gewährt, wenn die einbehaltene KapESt bei dem Gläubiger oder dem am Gläubiger unmittelbar oder mittelbar beteiligten Anteilseigner nicht angerechnet oder als Betriebsausgabe oder als Werbungskosten abgezogen werden kann; bereits die Möglichkeit eines Anrechnungsvortrags ist insoweit schädlich. Nach § 32 Abs. 5 S. 5 KStG muss die ausländische Steuerbehörde zudem bescheinigen, dass die deutsche KapESt nicht angerechnet, nicht abgezogen oder nicht vorgetragen werden kann und inwieweit eine Anrechnung, ein Abzug oder Vortrag auch tatsächlich nicht erfolgt ist. Die Bescheinigung ist aus Sicht des FG sowohl für den Gläubiger der Kapitalerträge sowie für sämtliche unmittelbar und mittelbar beteiligten Anteilseigner vorzulegen. Dies ergebe sich sowohl aus dem Wortlaut als auch aus dem systematischen Zusammenhang der Regelung. 

Im zugrundeliegenden Streitfall ist es nach Auffassung des FG indes nicht möglich, festzustellen, ob die Voraussetzung des § 32 Abs. 5 S. 2 Nr. 5 KStG erfüllt ist. Die Anteile an der Klägerin werden zu 100% von einer ausländischen börsennotierten Kapitalgesellschaft gehalten. Bei dieser und insbesondere bei deren Gesellschaftern sei die Behandlung der Kapitalertragsteuer nicht konkret nachvollziehbar und durch die Beibringung von Bescheinigungen ausländischer Steuerbehörden nachzuweisen. 

Europarechtliche Zweifel

Aus diesem Grund sieht das FG Zweifel an der Vereinbarkeit der Regelung mit der Kapitalverkehrsfreiheit (Vorlagefrage 1) sowie mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Prinzip des Effet utile (Vorlagefrage 2).

Vorlagefrage 1: Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 Abs. 1, Art. 65 AEUV)

Insbesondere ergeben sich aus Sicht des FG europarechtliche Bedenken, ob der durch die Regelung bewirkte Eingriff in den Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit gerechtfertigt ist. Die Klägerin habe wegen § 32 Abs. 5 S. 2 Nr. 5 und S. 5 KStG keine Möglichkeit einer Anrechnung oder Erstattung von KapESt. Demgegenüber werde unbeschränkt steuerpflichtigen deutschen Gesellschaften die KapESt in vollem Umfang auf ihre Körperschaftsteuerschuld angerechnet und ggf. erstattet. Es sei nicht ersichtlich, dass im Inland ansässige Empfängergesellschaften von Streubesitzdividenden mit im Ausland ansässigen Empfängergesellschaften von Streubesitzdividenden nicht vergleichbar wären. Insoweit erscheinen unterschiedliche Voraussetzungen für die Erlangung der Erstattung bzw. Anrechnung der Kapitalertragsteuer nicht nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV gerechtfertigt, so das FG.

Vorlagefrage 2: Verletzung des Effektivitätsgrundsatzes und des Prinzips des Effet utile

Selbst wenn die Voraussetzung des § 32 Abs. 5 S. 2 Nr. 5 KStG mit der Kapitalverkehrsfreiheit vereinbar sein sollte, stellt laut FG das Erfordernis, das Vorliegen dieser Voraussetzung bezüglich sämtlicher unmittelbarer und mittelbarer Gesellschafter durch Vorlage entsprechender Bescheinigungen der ausländischen Steuerbehörden gem. § 32 Abs. 5 S. 5 KStG nachzuweisen, den die KapESt-Erstattung begehrenden Steuerpflichtigen vor erhebliche Schwierigkeiten. Das Beibringen dieser Bescheinigungen erfordere einen unverhältnismäßigen Ermittlungsaufwand oder könne – wie im Streitfall – sogar praktisch unmöglich sein. In diesem Fall werde die Ausübung der Kapitalverkehrsfreiheit für den die KapESt-Erstattung begehrenden Steuerpflichtigen praktisch unmöglich gemacht.

Das Gesetz sehe auch keinerlei Ausnahmen von diesem Nachweiserfordernis vor. Nach der gesetzlichen Regelung sei es unbeachtlich, dass es dem Gläubiger faktisch unmöglich ist, die Nachweise oder die Bescheinigungen der ausländischen Finanzverwaltung vorzulegen, oder dass dies für ihn unzumutbar ist. Nach Ansicht des FG erscheint es daher zweifelhaft, ob das Nachweiserfordernis mit rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsaspekten und insbesondere mit dem unionsrechtlich anerkannten Grundsatz des Effet utile vereinbar ist.  

Betroffene Normen

​​§ 32 Abs. 5 KStG, Art. 63 Abs. 1, Art. 65 AEUV​

Streitjahr 2006-2008​ 

Anmerkungen

Bisherige Rechtsprechung des FG Köln zu Dividendenausschüttungen an im Ausland ansässige Gesellschaften

Die EuGH-Vorlage ergeht auf einer Linie mit der bisherigen Rechtsprechung des FG Köln zu Dividendenausschüttungen an im Ausland ansässige Gesellschaften. Soweit diese über beherrschende Beteiligungen verfügen, findet für sie § 50d Abs. 1 bzw. 2 EStG und insbesondere die diesbezüglich geltende Missbrauchsregelung des § 50d Abs. 3 EStG Anwendung. Auch diese Norm gab dem FG Köln Anlass zu europarechtlichen Zweifeln, um deren Klärung das FG Köln den EuGH im Wege von drei Vorabentscheidungsersuchen bezüglich verschiedener Konstellationen ersuchte. Die Zweifel wurden mittlerweile vom EuGH bestätigt (EuGH-Urteil vom 20.12.2017, Rs. C-504/16 und Beschluss vom 14.06.2018, Rs. C-440/17). Allerdings hat der Gesetzgeber bislang noch nicht reagiert und die Regelung nicht korrigiert.

Nun hat das FG Köln dem EuGH die Konstellation vorgelegt, in dem die ausländische Gesellschaft über eine Streubesitzbeteiligung verfügt.

Fundstelle

Finanzgericht Köln, Beschluss vom 20.05.2020, 2 K 283/16, EuGH-anhängig: C-572/20

Weitere Fundstellen

​BFH, Urteil vom 13.06.2018, I R 94/15, BFHE 262, S. 79, siehe Deloitte Tax-News

EuGH, Beschluss vom 14.06.2018, C-440/17, siehe Deloitte Tax-News

EuGH, Urteil vom 20.12.2017, C-504/16, siehe Deloitte Tax-News

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