BFH: Aufgelaufene Zinsen beim Erwerb gebrauchter Lebensversicherungen
Sachverhalt
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erwarb zum 01.03.2005 die Rechte und Pflichten aus einer „gebrauchten“ Kapitallebensversicherung; die Laufzeit der Versicherung war vom 01.12.1985 bis zum 30.11.2017. Die Klägerin machte die zum Stichtag 01.03.2005 aufgelaufenen Zinsanteile von insgesamt 13.451,03 Euro als Werbungskosten bzw. negative Einnahmen aus Kapitalvermögen entsprechend § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG geltend. Das Finanzamt erkannte den aufgelaufenen Zinsanteil nicht als negative Einnahmen oder Werbungskosten aus Kapitalvermögen an. Einspruch und Klage waren erfolglos.
Entscheidung
Das Finanzamt hat rechtsfehlerfrei den von der Klägerin geltend gemachten aufgelaufenen Zinsanteil in Höhe von 13.451,03 Euro weder als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen noch als negative Einnahmen aus Kapitalvermögen berücksichtigt, sondern diesen als Teil der Anschaffungskosten beurteilt.
Im Rahmen der Überschusseinkünfte bleiben sowohl positive als auch negative Wertveränderungen grds. außer Betracht. Anschaffungskosten oder Anschaffungsnebenkosten einer Kapitalanlage betreffen die Vermögenssphäre und können nicht als Werbungskosten gemäß § 9 EStG berücksichtigt werden (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 17.04.1997, 30.10.2001, 23.02.2000, BFH-Beschlüsse vom 12.10.2005, 06.11.2009 und 28.10.2010). Ob ein Aufwand den Anschaffungskosten zuzurechnen ist oder, wie z.B. Verwaltungsgebühren, den sofort abziehbaren Werbungskosten (BFH-Urteil vom 04.05.1993), bestimmt sich nicht nach der Bezeichnung des Entgelts durch die Vertragsparteien, sondern nach dem tatsächlichen wirtschaftlichen Gehalt der in Frage stehenden Leistung (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 30.10.2001).
Dass sich der Kaufpreis rein rechnerisch aufteilen lässt in bis zur Übertragung aufgelaufene rechnungsmäßige und außerrechnungsmäßige Zinsen sowie in einen auf das Versicherungsstammrecht entfallenden Betrag, ändert an der Beurteilung als Anschaffungskosten nichts, denn letztlich handelt es sich um einen einheitlichen Kaufvertrag, der es dem Erwerber ermöglichen soll, ab einem im Vertrag festgelegten Stichtag die Ansprüche des Veräußerers einschließlich der bis dahin aufgelaufenen (rechnungsmäßigen und außerrechnungsmäßigen) Zinsen zu erlangen. Diese Auffassung wird auch von der Finanzverwaltung geteilt (vgl. BMF-Schreiben vom 12.12.2005).
Die im Zeitpunkt der Übertragung von der Versicherungsgesellschaft bescheinigten rechnungsmäßigen und außerrechnungsmäßigen Zinsen können nicht wie Stückzinsen als negative Einnahmen aus Kapitalvermögen Berücksichtigung finden. Zwar stellen Stückzinsen, die ein Erwerber festverzinslicher Wertpapiere zu entrichten hat, im Jahr der Zahlung vorab entstandene negative Einnahmen dar (BFH-Urteil vom 27.07.1999). Zu Recht weist das FG aber darauf hin, dass die Berücksichtigung der Stückzinsen beim Erwerber als vorab entstandene negative Einnahmen darauf beruht, dass der Veräußerer die Stückzinsen gemäß § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 EStG i.d.F. des AltEinkG als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu versteuern hat. Diese gesetzliche Grundentscheidung kann auf den Fall des Erwerbs einer Kapitallebensversicherung nicht übertragen werden. Zum einen unterliegen die im Übertragungszeitpunkt in der Person des Verkäufers bereits entstandenen und im Kaufpreis mit vergüteten rechnungsmäßigen und außerrechnungsmäßigen Zinsen auf Seiten des Erwerbers im Streitjahr nicht der Steuerpflicht; nämliches gilt für den Veräußerer, der lediglich ein nicht steuerpflichtiges privates Veräußerungsgeschäft vornimmt. Vielmehr muss allein der Erwerber die Zinsen im Zeitpunkt der Auszahlung der Versicherungssumme versteuern. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die außerrechnungsmäßigen Zinsen - anders als Stückzinsen beim Erwerber festverzinslicher Wertpapiere - keine von vornherein fest kalkulierbare Größe darstellen, da ungewiss ist, ob und in welcher Höhe diese bei einer späteren Auszahlung entstanden sein werden.
Betroffene Norm
§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG
Streitjahr 2005
Vorinstanz
Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 14.09.2009, 4 K 1900/07
Fundstelle
BFH, Urteil vom 24.05.2011, VIII R 46/09, BStBl II 2011, S. 1942
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 17.04.1997, VIII R 47/95, BStBl II 1998, S. 102
BFH, Urteil vom 30.10.2001, VIII R 29/00, BStBl II 2006, S. 223
BFH, Urteil vom 23.02.2000, VIII R 40/98, BStBl II 2001, S. 24
BFH, Beschluss vom 12.10.2005, VIII B 38/04, BFH/NV 2006, S. 288
BFH, Beschluss vom 06.11.2009, VIII B 186/09, BFH/NV 2010, S. 235
BFH, Beschluss vom 28.10.2010, VIII B 90/10, BFH/NV 2011, S. 254
BFH, Urteil vom 04.05.1993, VIII R 89/90, BFH/NV 1994, S. 225
BMF, Schreiben vom 12.12.2005, IV C 1 -S 2252- 337/05, BStBl I 2006, S. 92
BFH, Urteil vom 27.07.1999, VIII R 36/98, BStBl II 1999, S. 769
