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16.08.2023
Private Einkommensteuer

BFH: Gezielte Herbeiführung von Verlusten bei der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften

Die auch bei den Einkünften aus § 17 EStG erforderliche Gewinnerzielungsabsicht muss sich auf die gesamte Beteiligung des Steuerpflichtigen an der Kapitalgesellschaft beziehen. Eine auf den einzelnen veräußerten Geschäftsanteil bezogene Betrachtung ist ausgeschlossen. Nach der bis zum 31.07.2019 geltenden Rechtslage erhöht das für einen bestimmten Geschäftsanteil gezahlte Aufgeld (Agio) die Anschaffungskosten dieses Anteils, auch wenn die Summe aus dem Nennbetrag und dem Agio den Verkehrswert des Anteils übersteigt. Die gezielte Herbeiführung eines Verlusts durch die Veräußerung eines GmbH-Geschäftsanteils, dessen Anschaffungskosten aufgrund eines Aufgelds seinen Verkehrswert übersteigen, ist nicht ohne Weiteres rechtsmissbräuchlich i.S. von § 42 AO.

BFH, Urteil vom 03.05.2023, IX R 12/22 

Sachverhalt

Die Klägerin gründete 2015 als Alleingesellschafterin die A-GmbH (GmbH). Das Stammkapital betrug zunächst 25.000 Euro (25.000 Geschäftsanteile im Nennbetrag von jeweils 1 Euro).

Ebenfalls in 2015 beschloss die Gesellschafterversammlung der GmbH eine Kapitalerhöhung um 1.000 Euro und schuf hierzu einen weiteren Geschäftsanteil im Nennbetrag von 1.000 Euro, den ebenfalls die Klägerin übernahm. Sie zahlte hierfür neben dem Nennbetrag ein Aufgeld von 500.000 Euro in die freie Kapitalrücklage der GmbH.

Ende 2015 veräußerte die Klägerin 300 Geschäftsanteile im Nennwert von je 1 Euro sowie den neuen Geschäftsanteil zum Kaufpreis von 26.300 Euro.

Aus der Veräußerung dieser GmbH-Geschäftsanteile erklärte die Klägerin einen nach § 17 EStG zu berücksichtigenden Verlust.

Veräußerungspreis 26.300 Euro
./. Anschaffungskosten 501.300 Euro (300 Euro (Altanteile) + 501.000 Euro)
= Veräußerungsverlust 475.000 Euro
Teileinkünfteverfahren (60%) 285.000 Euro

Das Finanzamt folgte dieser Berechnung nicht, sondern nahm eine separierende Betrachtung vor. Es erkannte den aus der Veräußerung des neu geschaffenen Geschäftsanteils herrührenden Verlust mangels Gewinnerzielungsabsicht nicht an. Das FG gab der dagegen erhobenen Klage statt. Zwecks Feststellung der Gewinnerzielungsabsicht dürfe nicht auf den einzelnen, sondern müsse auf alle veräußerten Anteile abgestellt werden.

Entscheidung

Auch der BFH kommt zu dem Ergebnis, dass die erfolgte Veräußerung von Geschäftsanteilen an der GmbH zu Einkünften aus Gewerbebetrieb gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 EStG und einem hieraus resultierenden Verlust führte, der nach Maßgabe des Teileinkünfteverfahrens mit 285.000 Euro anzusetzen war. Ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten lag nach Ansicht des BFH nicht vor.

Gesetzliche Grundlage

Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört nach § 17 Abs. 1 S. 1 EStG auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt war, wobei nach § 17 Abs. 1 S. 3 EStG zu den Anteilen an einer Kapitalgesellschaft unter anderem die Anteile an einer GmbH zählen.

Gewinnerzielungsabsicht

Der Steuerpflichtige muss die Anteile an der Gesellschaft mit der Absicht, Gewinne zu erzielen, erwerben und halten. Von einer solchen Gewinnerzielungsabsicht geht die höchstrichterliche Rechtsprechung bei den Einkünften aus § 17 EStG im Regelfall aus, selbst wenn die Beteiligung nur kurze Zeit gehalten wurde. Denn § 17 Abs. 1 S. 1 EStG gibt keine Mindestdauer für das Halten der Beteiligung vor, sondern lässt es genügen, dass der Steuerpflichtige zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung tatbestandsmäßig an der Kapitalgesellschaft beteiligt war.

Veräußerungsverluste, die generiert werden, um steuerliche Vorteile zu erzielen, stellen im Regelfall nicht die Gewinnerzielungsabsicht in Frage, sondern sind dahin zu würdigen, ob rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 AO missbraucht wurden.

Außerdem kommt der BFH zu dem Ergebnis, dass sich die Gewinnerzielungsabsicht auf die gesamte Beteiligung an der Kapitalgesellschaft beziehen muss. Eine Einzelbetrachtung jedes veräußerten Geschäftsanteils sei ausgeschlossen.

Zwar sei es zutreffend, dass bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns die Anschaffungskosten für den jeweiligen Anteil jedenfalls dann isoliert zu bestimmen seien, wenn sie jeweils unterschiedlich hoch ausgefallen sind. Darüber hinaus sei auch das in § 17 Abs. 2 S. 6 EStG geregelte Verlustberücksichtigungsverbot anteilsbezogen ausgestaltet.

Für nicht zutreffend hält der BFH allerdings die Auffassung des Finanzamtes, diese Betrachtung auf die Gewinnerzielungsabsicht auszudehnen. Die Gewinnerzielungsabsicht sei vielmehr an der gesamten Beteiligung des Steuerpflichtigen zu messen.

Denn bei der Prüfung, ob eine Gewinnerzielungsabsicht vorliegt, sei nicht abschnittsbezogen ein Periodengewinn (oder -verlust) in Bezug zu nehmen, sondern der Totalgewinn als Ergebnis der steuerrelevanten Tätigkeit oder Nutzung von Kapitalvermögen. Gewinne oder Verluste aus einzelnen Geschäftsanteilsveräußerungen haben für sich betrachtet somit keine Aussagekraft darüber, ob der Steuerpflichtige die (gesamte) Beteiligung an der Kapitalgesellschaft in der Absicht erworben und gehalten hat, hieraus einen Totalgewinn zu erzielen, so der BFH.

Darüber hinaus werden für das Streben nach einem Totalgewinn neben der Wertsteigerung der Beteiligung auch die laufenden Erträge aus Ausschüttungen einbezogen. Eine solche Gesamtbetrachtung gebiete es, bei dieser Beurteilung auf die Kapitalbeteiligung als Ganzes abzustellen.

Soweit das FG ausgeführt hat, für die Beurteilung der Gewinnerzielungsabsicht sei auf die Gesamtheit der veräußerten Geschäftsanteile abzustellen, korrigiert der BFH dies lediglich dahingehend, dass die Gesamtheit der gehaltenen Anteile an der jeweiligen Kapitalgesellschaft maßgebend ist. Dies ändert aber am Ergebnis, dass der von der Klägerin geltend gemachte Verlust im Streitfall anzuerkennen ist, nichts.

Ermittlung der Anschaffungskosten bei Überpari-Emission

Hat der Steuerpflichtige Anteile an einer Kapitalgesellschaft zu verschiedenen Zeiten und zu unterschiedlichen Anschaffungskosten erworben, ist eine Zusammenrechnung der einzelnen Anteile und die Bildung eines durchschnittlichen Anschaffungspreises nicht zulässig. Dementsprechend ist der Gewinn beziehungsweise Verlust aus der Veräußerung von Geschäftsanteilen an einer Kapitalgesellschaft sowohl hinsichtlich des Veräußerungspreises als auch der Anschaffungskosten anteilsbezogen zu bestimmen.

Wie der BFH bereits mehrfach entschieden hat, ist ein Aufgeld, das ein Erwerber neuer Geschäftsanteile über den Nennbetrag der Einlage hinaus an eine Kapitalgesellschaft zu leisten hat und welches in der Bilanz der Gesellschaft als Kapitalrücklage auszuweisen ist, Bestandteil der Gegenleistung ist, die der Erwerber aufbringen muss, um die Beteiligungsrechte zu erwerben. Das Aufgeld ist nur demjenigen Anteil als Anschaffungskosten zuzurechnen, für deren Erwerb es aufzubringen war. Dies gilt nach Ansicht des BFH selbst dann, wenn die Summe aus dem Nennbetrag des neuen Anteils und des Aufgelds den Verkehrswert des neuen Anteils übersteigt, sogenannte Überpari-Emission. Bei dem den Verkehrswert übersteigenden Teilbetrag (im Streitfall 500.000 Euro) handelt es sich – mangels Unentgeltlichkeit – nicht um eine verdeckte Einlage des Gesellschafters, die als nachträgliche Anschaffungskosten für sämtliche Geschäftsanteile zu berücksichtigen wäre.

Keine gesetzlichen Verlustberücksichtigungsverbote

Gesetzliche Verlustberücksichtigungsverbote bestehen nicht. § 17 Abs. 2 S. 6 Buchst. b S. 1 EStG bestimmt zwar, dass ein Veräußerungsverlust nicht zu berücksichtigen ist, soweit er auf Anteile entfällt, die entgeltlich erworben worden sind und – wie im Streitfall – nicht innerhalb der gesamten letzten fünf Jahre zu einer § 17 EStG-Beteiligung des Steuerpflichtigen gehört haben. Dies gilt nach § 17 Abs. 2 S. 6 Buchst. b S. 2 Alt. 2 EStG aber nicht für innerhalb der letzten fünf Jahre erworbene Anteile, die nach der Begründung einer tatbestandlich relevanten Beteiligung erworben worden sind. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Die Klägerin hat den mit Verlust veräußerten Geschäftsanteil zu einem Zeitpunkt erworben, zu dem sie bereits relevant im Sinne von § 17 Abs. 1 S. 1 EStG beteiligt war.

Kein Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten

Der BFH kommt weiterhin zu dem Schluss, dass die Zahlung eines Aufgelds für den Erwerb des neu geschaffenen Geschäftsanteils sowie dessen kurzfristig spätere verlustauslösende Veräußerung nicht als Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten zu werten ist.

Es steht einem Steuerpflichtigen grundsätzlich frei, ob, wann und an wen er seine Anteile veräußert. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Veräußerung zu einem Verlust führt. Denn die Berücksichtigung eines Veräußerungsverlusts ist nicht von vornherein rechtsmissbräuchlich (zuletzt BFH-Urteil vom 20.09.2022, IX R 18/21).

Abweichendes kann gelten, wenn ein "Verlust" nur dadurch entsteht, dass die Beteiligten einen unzutreffenden, die Wertverhältnisse des zur Veräußerung bestimmten Kapitalgesellschaftsanteils in krasser Weise verfehlenden Kaufpreis vereinbaren; denn in diesem Fall ist der "Verlust" nicht durch eine den Kapitalgesellschaftsanteilen innewohnende Wertminderung, sondern durch einen Verkauf von Anteilen weit unter Wert zustande gekommen (BFH-Urteil vom 20.09.2022, IX R 18/21).

Der BFH hält den Einwand des Finanzamtes, dass im Streitfall die Veräußerung der Geschäftsanteile der GmbH keinen wirtschaftlich beachtlichen Grund habe, für unerheblich. Die Veräußerung von Anteilen zu fremdüblichen Bedingungen bedürfe keines wirtschaftlichen Grunds.

Auch das Motiv des Gesetzgebers zur Einfügung des § 17 Abs. 2a S. 5 EStG (dazu siehe unter Anmerkung) zwinge nicht zu dem Schluss, dass die Zahlung eines Aufgelds im Rahmen einer Kapitalerhöhungsmaßnahme mit Blick auf anstehende Veräußerungen als Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 AO anzusehen sei.

Betroffene Normen

§17 EStG

Streitjahr 2015 

Anmerkungen

Rechtslage nach dem 31.07.2019

Das von der Klägerin für den Erwerb des Geschäftsanteils gezahlte Aufgeld von 500.000 Euro war jedenfalls für das Streitjahr nicht auf sämtliche von ihr gehaltenen Anteile zu verteilen. Die mit dem Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12.12.2019 (siehe Deloitte Tax-News) eingeführte Regelung des § 17 Abs. 2a S. 5 EStG, die diese Rechtsfolge anordnet, gilt erstmals für Veräußerungen nach dem 31.07.2019 (§ 52 Abs. 25a S. 1 EStG). Zwar heißt es in der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf dieses Gesetzes, die Neuregelung habe lediglich deklaratorischen Charakter, da sie inhaltlich der bisherigen Verwaltungsauffassung entspreche. Unerwähnt bleibt in der Begründung allerdings, dass die Neuregelung die Rechtsprechung des BFH, wonach Aufgelder im Zuge einer Kapitalerhöhung ausschließlich dem neu erworbenen Anteil zuzuordnen sind, überschreibt und daher insoweit konstitutiv wirkt.

Hinweis: Zivilrechtlich sind die Anschaffungskosten eines GmbH-Geschäftsanteils nach § 255 Abs. 1 S. 1 HGB und § 15 Abs. 2 GmbH-Gesetz einem konkreten Geschäftsanteil zuzuordnen sind. Vor diesem Hintergrund könnte die gesetzliche Neuregelung in § 17 Abs. 2a S. 5 EStG fraglich bzw. angreifbar erscheinen.

Vorinstanz

Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 21.06.2022, 13 K 1149/20 E, EFG 2022, S. 1363

Fundstelle

BFH, Urteil vom 03.05.2023, IX R 12/22, lt. BMF zur Veröffentlichung im BStBl. II vorgesehen

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 20.09.2022, IX R 18/21, BStBl. II 2023, S. 315, siehe Deloitte Tax-News 

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