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29.06.2012
Private Einkommensteuer

BFH: Nachweis der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall

Die vom Gesetzgeber im Rahmen des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 eingeführten formellen Anforderungen an den Nachweis bestimmter Krankheitskosten für deren Anerkennung als außergewöhnliche Belastung sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch der Umstand, dass die neuen Nachweisregelungen rückwirkend in allen noch offenen Fällen anzuwenden sind, ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Darin liegt keine unzulässige Rückwirkung.

Sachverhalt

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob Aufwendungen für einen Kuraufenthalt, Kosten für Wassergymnastik und Bewegungsbäder sowie für Stärkungsmittel und Einlegesohlen, die ohne ärztliche Verordnung erworben wurden, als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind.

Die Kläger (Eheleute) machten im Streitjahr 2006 in ihrer Einkommensteuererklärung Aufwendungen als Krankheitskosten bei den außergewöhnlichen Belastungen geltend. Sie machten u.a. die Kosten für einen Kuraufenthalt als außergewöhnliche Belastungen geltend, hatten die medizinische Notwendigkeit der Kur jedoch nicht durch ein vor Kurbeginn ausgestelltes amtsärztliches oder vergleichbares Attest belegt. Finanzamt und FG ließen die Aufwendungen deshalb nicht zum Abzug als außergewöhnliche Belastungen zu.

Entscheidung

Das FG hat die streitigen Aufwendungen zu Recht nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt. 

Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. In ständiger Rechtsprechung geht der BFH davon aus, dass Krankheitskosten - ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung - dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit (z.B. Medikamente, Operation) oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglich zu machen, beispielsweise Aufwendungen für einen Rollstuhl (z.B. BFH-Urteil vom 20.03.1987). Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf (z.B. BFH-Urteil vom 01.02.2001).

In einer Reihe von Fällen allerdings hat der Steuerpflichtige die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall formalisiert nachzuweisen. Eine entsprechende gesetzliche Regelung (§ 33 Abs. 4 EStG und § 64 EStDV) hat der Gesetzgeber durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 (StVereinfG 2011) eingeführt. Der Gesetzgeber hat damit auf die Änderung einer langjährigen Rechtsprechung reagiert. Der BFH hatte 2010 dem seit jeher verlangten formellen Nachweis mangels einer gesetzlichen Grundlage eine Absage erteilt (BFH Urteile vom 11.11.2010, VI R 17/09 und VI R 16/09).

Bei krankheitsbedingten Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel ist der Nachweis nach § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers zu führen; bei Aufwendungen für Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können und deren medizinische Indikation deshalb schwer zu beurteilen ist, verlangt § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 ein vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines medizinischen Dienstes der Krankenversicherung. Ein solcher qualifizierter Nachweis ist beispielsweise bei Bade- und Heilkuren (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011) sowie bei medizinischen Hilfsmitteln, die als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 Buchst. e EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011), erforderlich.

Auf die strenge Art des Nachweises kann nach geltendem Recht nicht (mehr) verzichtet werden. Die nun vom Gesetzgeber geregelten Anforderungen an den Nachweis bestimmter Krankheitskosten sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch der Umstand, dass die neuen Nachweisregelungen rückwirkend in allen noch offenen Fällen anzuwenden sind, ist verfassungsrechtlich unbedenklich; darin liegt keine unzulässige Rückwirkung. 

Ob und inwieweit anderes für die Zeit nach dem Ergehen der Urteile des BFH vom 11.11.2010, VI R 17/09 und VI R 16/09 bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss am 01.11.2011 bzw. der Verkündung des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 am 04.11.2011 oder jedenfalls bis zur entsprechenden Gesetzesinitiative - hier der Prüfbitte des Bundesrates vom 18.03.2011 - gilt, kann hier dahinstehen. Denn das Ausgangsverfahren betrifft lediglich den Veranlagungszeitraum 2006, etwaige im Vertrauen auf die erfolgte Rechtsprechungsänderung getätigte Dispositionen in der Zeit nach November 2010 stehen damit nicht zur Entscheidung. 

Betroffene Norm
§ 33 Abs. 4 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011, § 64 Abs. 1, § 84 Abs. 3f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011
Streitjahr 2006

Vorinstanz
Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 20.08.2010, 15 K 514/08

Fundstelle
BFH, Urteil vom 19.04.2012, VI R 74/10, BStBl II 2012, S. 577

Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 20.03.1987, III R 150/86, BStBl II 1987, S. 596
BFH, Urteil vom 01.02.2001, III R 22/00, BStBl II 2001, S. 543
BFH, Urteile vom 11.11.2010, VI R 17/09, BStBl II 2011, S. 969 und VI R 16/09, BStBl II 2011, S. 966, siehe Deloitte Tax-News

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