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29.05.2024
Private Einkommensteuer

BFH: Veranlagungszeitraumbezogener Beteiligungsbegriff

Die Regelung in § 17 Abs. 1 S. 4 EStG zum unentgeltlichen Erwerb eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft ist veranlagungszeitraumbezogen auszulegen. Mithin ist erforderlich, dass der Übertragende in jedem Veranlagungszeitraum innerhalb des maßgeblichen Fünfjahreszeitraums nach der für diesen Zeitraum jeweils gültigen Rechtslage wesentlich/maßgeblich beteiligt war.

Sachverhalt

Streitig ist, die Besteuerung eines Gewinns aus der Veräußerung eines teilweise unentgeltlich erworbenen Aktienpakets nach § 17 EStG.

Die Mutter der Klägerin war bis Dezember 2000 Eigentümerin eines Aktienpakets, welches einer Beteiligung von 1,04 % entsprach. Mit Vertrag vom 05.12.2000 übertrug die Mutter die Hälfte des Aktienpakets auf die Klägerin, welche dafür eine Gegenleistung zahlte. Im Dezember 2002 veräußerte die Klägerin ihre Beteiligung an der AG, hierbei erzielte sie einen Veräußerungserlös.

Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass der Gewinn aus der Veräußerung der Aktien nur insoweit als nicht steuerbar anzusehen sei, als er auf den Wertzuwachs vor der Verkündung des Steuersenkungsgesetzes und damit auf die Zeit bis zum 26.10.2000 entfalle. Das sah auch das FG so.
Hinweis: Im Rahmen des Steuersenkungsgesetzes (StSenkG) vom 23.10.2000 (BGBl. I 2000, S. 1433) wurde die maßgebliche Beteiligungsgrenze für eine Steuerbarkeit des Veräußerungsgewinns nach § 17 Abs. 1 EStG zum 01.01.2001 von mindestens 10 % auf mindestens 1 % herabgesetzt

Entscheidung

Entgegen der Auffassung sowohl des Finanzamtes als auch des FG kommt der BFH zu dem Ergebnis, dass die streitgegenständliche Beteiligung zu keinem Zeitpunkt die für den jeweiligen Veranlagungszeitraum geltenden Beteiligungsgrenzen überschritten hat.

Gesetzliche Grundlagen

Gem. § 17 Abs. 1 S. 1 EStG in der seit dem Steuersenkungsgesetz und damit auch im Streitjahr gültigen Fassung gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt war. § 17 Abs. 1 S. 1 EStG gilt gemäß § 17 Abs. 1 S. 4 EStG entsprechend, wenn der Veräußerer den veräußerten Anteil innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung unentgeltlich erworben hat und der Rechtsvorgänger innerhalb der letzten fünf Jahre im Sinne von Satz 1 beteiligt war.

Keine wesentliche Beteiligung i.S.d. § 17 Abs. 1 S. 1 EStG

Die Klägerin erwarb von ihrer Mutter eine Beteiligung von lediglich 0,52 % und war – da sie nicht über weitere Aktien der AG verfügte – selbst nicht relevant i.S.v. § 17 Abs. 1 S. 1 EStG an der Gesellschaft beteiligt. Auch liegt keine Steuerbarkeit der Veräußerung der Aktien an der AG durch die Klägerin aufgrund von § 17 Abs. 1 S. 4 EStG vor.

§ 17 Abs. 1 S. 4 EStG ist veranlagungszeitraumbezogen auszulegen

Nach dem BFH-Urteil vom 24.01.2012 (BFH-Urteil vom 24.01.2012, IX R 8/10) ist erforderlich, dass der Übertragende innerhalb des maßgeblichen Fünfjahreszeitraums nach der für diesen Zeitraum jeweils gültigen Rechtslage wesentlich/maßgeblich beteiligt war.

Diese Rechtsprechung zum veranlagungszeitraumbezogenen Beteiligungsbegriff gilt trotz der erfolgten Gesetzesänderung durch das Steuersenkungsgesetz fort.

Veranlagungszeitraumbezogener Beteiligungsbegriff

Es ist für jeden Veranlagungszeitraum innerhalb des Fünfjahreszeitraums das Merkmal "wesentliche Beteiligung" nach der im jeweiligen Jahr gültigen Beteiligungsgrenze zu bestimmen. Die veranlagungszeitraumbezogene Betrachtungsweise ist entwickelt worden, um Vertrauensschutz zu gewähren. Der Steuerpflichtige, der im Wege der Schenkung eine nicht steuerverhaftete Beteiligung erhielt, sollte nicht durch nachträgliche Absenkungen der Beteiligungsgrenze in die Steuerverhaftung hineinwachsen, obwohl sowohl er als auch der Schenker zum Zeitpunkt der Schenkung nicht über der maßgeblichen Grenze lagen.

Abzustellen ist auf die Wesentlichkeit der Beteiligung im Zeitpunkt der unentgeltlichen Übertragung

Die wesentliche/maßgebliche Beteiligung des Übertragenden muss bereits vor dem unentgeltlichen Erwerb durch den späteren Veräußerer bestanden haben.

Eine Auslegung, die auch denjenigen unentgeltlichen Erwerber in die Steuerverhaftung seines unwesentlichen Anteils brächte, der diesen von einem – zu diesem Zeitpunkt – unwesentlich Beteiligten erworben hat, würde dem Zweck der Norm nicht gerecht. Sie würde zudem in nicht gerechtfertigter Weise Vertrauensschutzinteressen des unentgeltlichen Erwerbers verletzen.

Die Anwendung des veranlagungszeitraumbezogenen Beteiligungsbegriff ist weiterhin aus Vertrauensschutzgesichtspunkten geboten

Die BFH-Rechtsprechung zum veranlagungszeitraumbezogenen Beteiligungsbegriff ist Folge des Beschlusses des BVerfG vom 07.07.2010 (BVerfG-Beschluss vom 07.07.2010, 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05).

Hiernach verstößt die Absenkung der Beteiligungsgrenze (von mehr als 25 % auf mindestens 10 %) durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24.03.1999 (BGBl. I 1999, S. 402) gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und ist nichtig, soweit in einem Veräußerungsgewinn Wertsteigerungen steuerlich erfasst werden, die bis zur Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 am 31.03.1999 entstanden sind und die entweder – bei einer Veräußerung bis zu diesem Zeitpunkt – nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei realisiert worden sind oder – bei einer Veräußerung nach Verkündung des Gesetzes – sowohl zum Zeitpunkt der Verkündung als auch zum Zeitpunkt der Veräußerung nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei hätten realisiert werden können (BVerfG-Beschluss vom 07.07.2010, 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05.

Ergebnis im Streitfall: Keine wesentliche Beteiligung

Gemessen an diesen Grundsätzen handelte es sich nach der Auffassung des BFH bei der Beteiligung der Mutter bis zur teilentgeltlichen Übertragung mit Vertrag vom 05.12.2000 nicht um eine wesentliche/maßgebliche Beteiligung im Sinne von § 17 Abs. 1 S. 4 EStG. Erst nach der Übertragung wurde die maßgebliche Beteiligungsgrenze für eine Steuerbarkeit des Veräußerungsgewinns nach § 17 Abs. 1 EStG durch das StSenkG auf mindestens 1 % herabgesetzt. Zum Zeitpunkt der Übertragung galt noch die mit dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 abgesenkte Beteiligungsquote von mind. 10 %.

Zwar erfolgte die Übertragung der Anteile von der Mutter auf die Klägerin am 05.12.2000 erst im Anschluss an die Verkündung des Steuersenkungsgesetzes am 26.10.2000. In Anbetracht dessen, dass die Änderung in § 17 Abs. 1 EStG durch das StSenkG jedoch erst zum 01.01.2001 erfolgen sollte, war das Vertrauen der Klägerin auf die bis dahin geltende Rechtslage weiterhin schutzwürdig. Andernfalls würde die Rechtsänderung durch die Versagung des Vertrauensschutzes faktisch zu einem früheren Zeitpunkt Wirkung entfalten, als es der Gesetzgeber bezweckte und die Gesetzesänderung in Kraft trat.

Betroffene Norm

§ 17 Abs. 1 S. 4 EStG

Streitjahr: 2002

Anmerkung

Abweichende Auffassung der Finanzverwaltung

Die BFH-Rechtsprechung zum veranlagungszeitraumbezogenen Beteiligungsbegriff (BFH-Urteil vom 24.01.2012, IX R 8/10) gilt nach Ansicht des BFH im aktuellen Urteil trotz der erfolgten Gesetzesänderungen durch das Steuersenkungsgesetz fort. Das sieht die Finanzverwaltung im BMF-Schreiben vom 27.05.2013 anders.

Auch soweit nach dem Wortlaut von § 17 Abs. 1 S. 1 EStG n.F., auf den § 17 Abs. 1 S. 4 EStG n.F. Bezug nimmt, die Beteiligung innerhalb des maßgeblichen Fünfjahreszeitraums unmittelbar oder mittelbar mindestens 1 % betragen muss, steht dies der veranlagungszeitraumbezogenen Betrachtungsweise nicht entgegen (a.A. BMF-Schreiben vom 27.05.2013).

Da die Auffassung des BFH derjenigen der Finanzverwaltung im Schreiben vom 27.05.2013 entgegen steht, bleibt abzuwarten, ob das Urteil über den entschiedenen Einzelfall hinaus – durch Veröffentlichung im Bundessteuerblatt – anzuwenden sein wird.

Vorinstanz

Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 14.04.2015, 13 K 255/12

Fundstelle

BFH, Urteil vom 12.03.2024, IX R 9/23 (IX R 38/15), lt. BMF zur Veröffentlichung im BStBl. II vorgesehen

Inhaltsgleiche Parallelentscheidung:

BFH-Urteil vom 12.03.2024, IX R 8/23 (IX R 37/15), nicht zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt

Weitere Fundstellen

BVerfG, Beschluss vom 07.07.2010 - 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BStBl. II 2011, S. 86, siehe Deloitte Tax News

BFH, Urteil vom 24.01.2012, IX R 8/10, BStBl. II 2013, S. 363, siehe Deloitte Tax News

BMF, Schreiben vom 27.05.2013, BStBl. I 2013, S. 721

Ihr Ansprechpartner

Daniela Gemmel

dgemmel@deloitte.de
Tel.: 021187725394

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