BFH: Wegfall der Antragsvoraussetzungen nach der Option zum Teileinkünfteverfahren
Ein Antrag auf Besteuerung der Kapitaleinkünfte aus der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft nach der tariflichen Einkommensteuer unter Anwendung des Teileinkünfteverfahrens kann auch für denjenigen Veranlagungszeitraum, in dem eine Beteiligung veräußert wird, als erstes Antragsjahr gestellt werden, wenn der Antragsteller in diesem Veranlagungszeitraum bis zur Veräußerung zu irgendeinem Zeitpunkt in ausreichendem Umfang an der Kapitalgesellschaft beteiligt war. Das Erzielen von Kapitalerträgen in diesem Veranlagungszeitraum ist nicht erforderlich. Nachlaufende Beteiligungsaufwendungen (z.B. Fremdfinanzierungskosten) sind unter Beachtung des Teilabzugsverbots als Werbungskosten auch dann abziehbar, wenn der Anteilseigner die Beteiligung im ersten Antragsjahr veräußert und in den folgenden vier Veranlagungszeiträumen ausschließlich Aufwendungen anfallen.
BFH, Urteil vom 17.07.2024, VIII R 37/23
Sachverhalt
Der Kläger (K) war Gesellschafter der K-GmbH. 2010 veräußerte er seine Beteiligung. an der K-GmbH. Bis zu diesem Zeitpunkt war er an der K-GmbH zu einem Drittel beteiligt. Die Anschaffungskosten des Geschäftsanteils hatte er fremdfinanziert. Aus den Finanzierungsdarlehen verblieb auch nach der Anteilsveräußerung ein Schuldüberhang, auf welchen K in 2010 und in den Streitjahren 2011 bis 2014 noch Schuldzinsen zahlte.
In seiner Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 2010 erklärte K Verluste aus der Veräußerung der Beteiligung an der K-GmbH gemäß § 17 EStG und beantragte die Anwendung des Teileinkünfteverfahrens nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG für die Bezüge aus der Beteiligung und den Abzug der angefallenen nachträglichen Schuldzinsen als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen. Für 2011 bis 2014 machte K jeweils 60% (Teilabzugsverbot) der gezahlten Schuldzinsen als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen geltend. Das Finanzamt sah für diese Jahre wegen der Veräußerung der Beteiligung die Antragsvoraussetzungen nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 S. 1 Buchst. a EStG für die Anwendung des Teileinkünfteverfahrens nicht mehr als erfüllt an und versagte den Werbungskostenabzug. Das FG gab der dagegen erhobenen Klage statt.
Entscheidung
Der BFH teilt die Auffassung des FG, dass die Schuldzinsen auch in den Streitjahren 2011 bis 2014 Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen sind.
Gesetzliche Grundlagen
Hält eine natürliche Person eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft im Privatvermögen, unterliegen Gewinnausschüttungen aus dieser Gesellschaft auf Ebene des Gesellschafters der Abgeltungsteuer. Damit verbunden ist der Ausschluss des Werbungskostenabzugs. Sind die Geschäftsanteile fremdfinanziert, kann sich ein Antrag zum Teileinkünfteverfahren lohnen. Erforderlich hierfür ist neben der Antragstellung eine qualifizierte Beteiligung an der Kapitalgesellschaft:
Gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG gilt auf Antrag der gesonderte Tarif (von 25 % für Einkünfte aus Kapitalvermögen, Abgeltungsteuer) nicht für Kapitalerträge aus der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Steuerpflichtige im Veranlagungszeitraum, für den der Antrag erstmals gestellt wird, unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 25 % an der Kapitalgesellschaft beteiligt ist oder zu mindestens 1 % an der Kapitalgesellschaft beteiligt und beruflich für diese tätig ist. Der Antrag für die jeweilige Beteiligung gilt erstmals für den Veranlagungszeitraum, für den er gestellt worden ist (vgl. § 32d Abs. 2 Nr. 3 S. 3 EStG). Er ist spätestens zusammen mit der Einkommensteuererklärung für den jeweiligen Veranlagungszeitraum zu stellen und gilt, solange er nicht widerrufen wird, auch für die folgenden vier Veranlagungszeiträume, ohne dass die Antragsvoraussetzungen erneut zu belegen sind (§ 32d Abs. 2 Nr. 3 S. 4 EStG).
Wirksame Antragstellung für 2010 trotz Veräußerung der Beteiligung
Unstrittig hat K für den Veranlagungszeitraum 2010 fristgerecht mit Abgabe der Steuererklärung einen erstmaligen Antrag auf Besteuerung der Kapitaleinkünfte aus der Beteiligung an der K-GmbH nach der tariflichen Einkommensteuer unter Anwendung des Teileinkünfteverfahrens gestellt und auch die entsprechenden Antragsvoraussetzungen erfüllt, da K in Höhe von einem Drittel in ausreichendem Umfang an der K-GmbH beteiligt war.
Die unterjährige Veräußerung der Beteiligung steht der Antragstellung nach Ansicht des BFH nicht entgegen. Ein Antrag auf Anwendung des Teileinkünfteverfahrens könne für denjenigen Veranlagungszeitraum, in dem die Beteiligung veräußert wird, als erstes Antragsjahr gestellt werden, wenn der Antragsteller in diesem Veranlagungszeitraum bis zur Veräußerung zu irgendeinem Zeitpunkt in ausreichendem Umfang an der Kapitalgesellschaft beteiligt ist (ebenso BMF-Schreiben vom 19.05.2022). Das Erzielen von Kapitalerträgen in diesem Veranlagungszeitraum sei nicht erforderlich. Es genüge die abstrakte Möglichkeit aus der Beteiligung in diesem Veranlagungszeitraum Kapitalerträge gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG erzielen zu können (vgl. BFH-Urteil vom 27.03.2018, VIII R 1/15 und BMF-Schreiben vom 19.05.2022). Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall vor und auch das Finanzamt ist bei der Veranlagung für den Veranlagungszeitraum 2010 hiervon ausgegangen.
Anwendung des Teileinkünfteverfahren auch in den Folgejahren
Laut dem BFH ist es unerheblich, dass K nach der wirksamen Antragstellung für den Veranlagungszeitraum 2010 als Erstjahr in den Streitjahren als Folgejahren innerhalb des gesetzlichen Antragszeitraums nicht mehr an der K-GmbH beteiligt war.
Nach einer wirksamen Antragstellung sei das Vorliegen der materiell-rechtlichen Antragsvoraussetzungen in den dem Erstjahr folgenden vier Veranlagungszeiträumen vom Finanzamt zu unterstellen. Diese müssten nur für das erste Antragsjahr vorliegen; ihr Wegfall in den folgenden vier Veranlagungszeiträumen sei unerheblich (vgl. BFH-Urteil vom 12.12.2023, VIII R 2/21). Dies gelte nach einer wirksamen Antragstellung für alle materiell-rechtlichen Antragsvoraussetzungen, einschließlich des Wegfalls der Beteiligung innerhalb des Fünfjahreszeitraums.
Einordnung in die bisherige Rechtsprechung
Mit Urteil vom 21.10.2014 (VIII R 48/12) hatte der BFH entschieden, dass ein Antrag auf Anwendung des Teileinkünfteverfahrens nicht gestellt werden kann, wenn der Steuerpflichtige in dem Veranlagungszeitraum, der Erstjahr eines neuen Fünfjahreszeitraums sein soll, überhaupt nicht mehr Anteilseigner der Kapitalgesellschaft im steuerrechtlichen Sinne ist. Dieser Entscheidung sei aber kein Rechtssatz des Inhalts zu entnehmen, dass nach einer wirksamen Antragstellung mit dem Wegfall der Möglichkeit, Kapitalerträge aus der Beteiligung erzielen zu können, die Inanspruchnahme des Teileinkünfteverfahrens ab diesem Zeitpunkt ausgeschlossen sein solle.
Betroffene Normen
§ 3 Nr. 40 EStG
Streitjahre 2011-2014
Anmerkungen
Praxishinweis
Die BFH-Entscheidung sorgt für erfreuliche Rechtssicherheit hinsichtlich der Option zur Anwendung des Teileinkünfteverfahrens bei der Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen. So trifft das Urteil die für die Praxis wichtige Feststellung, dass nach einer wirksamen Antragstellung das Vorliegen der materiell-rechtlichen Antragsvoraussetzungen (u.a. Beteiligungshöhe) in den folgenden vier Veranlagungszeiträumen vom Finanzamt zu unterstellen ist.
Sind die Anteile fremdfinanziert worden, sollte im Einzelfall immer genau geprüft werden, ob ein Antrag zum Teileinkünfteverfahren in Abhängigkeit vom individuellen Steuersatz des Steuerpflichtigen vorteilhaft ist.
Vorinstanz
Finanzgericht Köln, Urteil vom 14.11.2023, 5 K 1843/16, EFG 2024, S. 577
Fundstelle
BFH, Urteil vom 17.07.2024, VIII R 37/23
Parallelentscheidung
BFH, Urteil vom 17.07.2024, VIII R 2/24
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 27.03.2018, VIII R 1/15, BStBl. II 2019, S. 56, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 12.12.2023, VIII R 2/21, BStBl. II 2024, S. 350
BFH, Urteil vom 21.10.2014, VIII R 48/12, BStBl. II 2015, S. 270, siehe Deloitte Tax-News
BMF, Schreiben vom 19.05.2022, BStBl. I 2022, S. 742