BFH: Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen abziehbar
Der BFH hat seine Rechtsprechung mittlerweile wieder geändert (BFH-Urteile vom 18.06.2015 und vom 17.12.2015, siehe unter Anmerkung)
-------------------------------------------------------------
Kosten eines Zivilprozesses können unabhängig von dessen Gegenstand bei der Einkommensteuer als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden, wenn die Prozessführung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Der Erfolg des Zivilprozesses muss ebenso wahrscheinlich sein wie ein Misserfolg. (Änderung der Rechtsprechung).
Sachverhalt
Die nichtselbständig tätige Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war Anfang des Jahres 2004 arbeitsunfähig erkrankt. Nachdem ihr Arbeitgeber (nach sechs Wochen) seine Gehaltszahlungen einstellte, nahm die Klägerin ihre Krankentagegeldversicherung in Anspruch. Im Juli 2005 wurde bei der Klägerin zusätzlich zur Arbeitsunfähigkeit auch Berufsunfähigkeit festgestellt. Aufgrund dieses Befundes stellte die Krankenversicherung die Zahlung des Krankentagegelds ein, weil (drei Monate) nach Eintritt der Berufsunfähigkeit keine Verpflichtung zur Zahlung von Krankentagegeld mehr bestehe. Daraufhin erhob die Klägerin erfolglos Klage auf Fortzahlung des Krankengeldes. Die Kosten des verlorenen Zivilprozesses machte die Klägerin in ihrer Einkommensteuererklärung 2007 als außergewöhnliche Belastung geltend. Das Finanzamt berücksichtigte diese Kosten jedoch nicht und wurde darin vom FG bestätigt.
Entscheidung
Das FG hat die Zivilprozesskosten der Klägerin zu Unrecht vom Abzug als außergewöhnliche Belastungen ausgeschlossen.
Bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens können außergewöhnliche Belastungen (§ 33 Abs. 1 EStG) abgezogen werden. Außergewöhnliche Belastungen sind dem Steuerpflichtigen zwangsläufig entstehende größere Aufwendungen, die über die der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands entstehenden Kosten hinausgehen. Bei den Kosten eines Zivilprozesses spricht nach bisheriger ständiger Rechtsprechung des BFH eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit (so z.B. BFH-Urteil vom 27.08.2008). Als zwangsläufige Aufwendungen erkannte die Rechtsprechung Zivilprozesskosten bisher nur an, wenn der Prozess existentiell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte (BFH-Urteil vom 27.08.2008). An dieser Rechtsauffassung hält der BFH nicht länger fest.
Denn die Auffassung, der Steuerpflichtige übernehme das Prozesskostenrisiko "freiwillig", verkennt, dass streitige Ansprüche regelmäßig nur gerichtlich durchzusetzen oder abzuwehren sind. Zivilprozesskosten erwachsen deshalb unabhängig vom Gegenstand des Zivilrechtsstreits aus rechtlichen Gründen zwangsläufig. Als außergewöhnliche Belastungen sind Zivilprozesskosten jedoch nur zu berücksichtigen, wenn sich der Steuerpflichtige nicht mutwillig oder leichtfertig auf den Prozess eingelassen hat. Eine nur entfernte, gewisse Erfolgsaussicht reicht nicht aus. Der Erfolg muss mindestens ebenso wahrscheinlich sein wie ein Misserfolg.
Der BFH hat das angefochtene Urteil aufgehoben und das Verfahren an das FG zurückverwiesen. Im zweiten Rechtsgang ist zu prüfen, ob die Führung des Prozesses gegen die Krankenversicherung aus damaliger Sicht hinreichende Aussicht auf Erfolg gehabt hat.
Anmerkung
Der BFH hält an seiner oben dargestellten Auffassung (Urteil vom 12.05.2011) nicht mehr fest. Mit Urteil vom 18.06.2015, VI R 17/14, kehrt der BFH zu seiner früheren Rechtsprechung zurück, nach der Kosten eines Zivilprozesses im Allgemeinen keine außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 33 EStG seien. Etwas anderes könne ausnahmsweise dann gelten, wenn ein Rechtsstreit einen für den Steuerpflichtigen existenziell wichtigen Bereich oder den Kernbereich menschlichen Lebens berühre. Diese Auffassung bestätigt der BFH in seinem Urteil vom 17.12.2015, VI R 7/14). Hinweis: Der BFH hatte in diesen Urteilen noch nicht über die durch das AmtshilfeRLUmsG (siehe Deloitte Tax-News) geänderte ab 2013 geltende Neuregelung in § 33 Abs. 2 S. 4 EStG zu entscheiden.
Betroffene Norm
§ 33 Abs. 1 EStG
Streitjahr 2007
Vorinstanz
Finanzgericht Köln, Urteil vom 18.11.2009, 11 K 185/09, EFG 2010, S. 1607
Fundstellen
BFH, Urteil vom 12.05.2011, VI R 42/10, BStBl II 2011, S. 1015
Zu neuer abweichender Auffassung:
BFH, Urteil vom 18.06.2015, VI R 17/14, BStBl II 2015, S. 800
BFH, Urteil vom 17.12.2015, VI R 7/14
Pressemitteilung Nr. 32/16 vom 06.04.2016
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 27.08.2008, III R 50/06, BFH/NV 2009, S. 553