BVerfG: Häusliches Arbeitszimmer - Neuregelung der Abzugseinschränkung verfassungswidrig
Sachverhalt
Der Kläger erzielte im Jahr 2007 als Lehrer Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Zur Vorbereitung seines Unterrichts nutzte er täglich für zwei Stunden ein ausschließlich beruflich genutztes häusliches Arbeitszimmer. Die vom Kläger beantragte Zuweisung eines Arbeitsplatzes in der Schule zur Vor- und Nachbereitung des Unterrichts sowie für die Korrektur der schriftlichen Arbeiten war vom Schulträger abgelehnt worden. Der Kläger beantragte in seiner Einkommensteuererklärung die Berücksichtigung der Aufwendungen für sein häusliches Arbeitszimmer. Das Finanzamt ließ die Aufwendungen des Klägers für das häusliche Arbeitszimmer unberücksichtigt. Die vor dem Finanzgericht erhobene Klage führte zur Vorlage beim BVerfG.
Entscheidung
Seit dem VZ 2007 gilt eine Abzugseinschränkung für Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 EStG in der Fassung des StÄndG 2007). Danach sind die Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sowie die Kosten der Ausstattung nur noch steuerlich abzugsfähig, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet. Die Aufwendungen sind dann in voller Höhe abzugsfähig. Die gesetzlichen Regelungen sind verfassungswidrig, soweit die Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer auch dann von der steuerlichen Berücksichtigung ausgeschlossen sind, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht.
Die im Gesetzgebungsverfahren des StÄndG 2007 angeführten fiskalischen Gründe sind nicht geeignet, die Neuregelung vor dem allgemeinen Gleichheitssatz zu rechtfertigen. Darüber hinaus verfehlt die Neuregelung das Gebot einer hinreichend realitätsgerechten Typisierung, soweit Aufwendungen auch dann nicht zu berücksichtigen sind, wenn kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Denn der Mangel eines alternativen Arbeitsplatzes, der sich durch die Vorlage einer Bescheinigung des Arbeitgebers ohne weiteres nachweisen lässt, liefert eine leicht nachprüfbare Tatsachenbasis für die Feststellung der tatsächlich betrieblichen oder beruflichen Nutzung und damit die Möglichkeit einer typisierenden Abgrenzung von Erwerbs- und Privatsphäre. Dagegen ist die Ermittlung und Bestimmung der nach der Neuregelung vom Abzugsverbot ausgenommenen Kosten eines Arbeitszimmers, das den „qualitativen“ „Mittelpunkt“ der gesamten betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit bildet, offenkundig aufwendig und streitanfällig. Gemessen an den Zielen des Gesetzes - Vereinfachung, Streitvermeidung und Gleichmäßigkeit der Besteuerung - wird das Abzugsverbot, soweit es die Fallgruppe „kein anderes Arbeitszimmer“ betrifft, den Anforderungen einer realitätsgerechten Typisierung daher nicht gerecht.
Die Ausdehnung des Abzugsverbotes durch das StÄndG 2007 verstößt dagegen nicht gegen das Grundgesetz, soweit das Arbeitszimmer zu mehr als 50% betrieblich oder beruflich genutzt wird, nicht den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet und ein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Der Umfang der Nutzung des Arbeitszimmers sei allenfalls ein schwaches Indiz für dessen Notwendigkeit, wenn dem Steuerpflichtigen von seinem Arbeitgeber ein weiterer Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt wird. Es fehle zudem an leicht nachprüfbaren objektiven Anhaltspunkten für die Kontrolle der Angaben des Steuerpflichtigen zum Umfang der zeitlichen Nutzung des Arbeitszimmers.
Der Gesetzgeber ist nun verpflichtet, rückwirkend auf den 01.01.2007 durch Neufassung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen.
Vorinstanz
Finanzgericht Münster, Aussetzungs- und Vorlagebeschluss vom 08.05.2009, 1 K 2872/08 E.
Fundstelle
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 06.07.2010, 2 BvL 13/09.
Weitere Fundstelle
BMF: Fragen und Antworten zur Absetzbarkeit von Arbeitszimmern