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14.01.2020
Private Einkommensteuer

BVerfG: Verfassungsmäßigkeit der Regelungen zur steuerlichen Behandlung von Erstausbildungskosten

Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, stellen nach § 9 Abs. 6 EStG keine Werbungskosten dar, wenn diese Berufsausbildung oder dieses Erststudium nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet. Diese Regelung hat das Bundesverfassungsgericht verfassungsrechtlich nicht beanstandet.

Hintergrund

Die Kläger der sechs Ausgangsverfahren begehrten jeweils die Anerkennung der Kosten für ihr Erststudium bzw. für ihre Ausbildung zum Flugzeugführer als Werbungskosten. Das Finanzamt ließ in allen Fällen die Werbungskosten nicht zum Abzug zu, sondern berücksichtigte lediglich einen Abzug als Sonderausgaben. In der Revisionsinstanz setzte der BFH die Verfahren aus und legte dem BVerfG die Frage vor, ob § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetzes (im Folgenden: § 9 Abs. 6 EStG) insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als danach Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, keine Werbungskosten sind, wenn diese Berufsausbildung oder dieses Erststudium nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet und auch keine weiteren einkommensteuerrechtlichen Regelungen bestehen, nach denen die vom Abzugsverbot betroffenen Aufwendungen die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage mindern. Der BFH ging in seinen Revisionsurteilen von der Verfassungswidrigkeit der Versagung des Werbungskostenabzugs aus.

Entscheidung

Das BverfG kommt entgegen der Auffassung des BFH zu dem Ergebnis, dass es nicht gegen das Grundgesetz verstößt, dass Aufwendungen für die Erstausbildung nach § 9 Abs. 6 EStG nicht als Werbungskosten abgesetzt werden können.

Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet den den Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er bindet dabei den Steuergesetzgeber an den Grundsatz der Steuergerechtigkeit und das Gebot, die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten. In Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG verpflichtet er den Staat, das Einkommen des Bürgers jedenfalls insoweit steuerfrei zu stellen, als dieser es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins für sich und seine Familie benötigt (Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums). Dabei bemisst der einfache Gesetzgeber die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nach dem (die betriebliche/berufliche Sphäre betreffenden) objektiven und dem (die private Sphäre betreffenden) subjektiven Nettoprinzip.

Bewertung von Lebenssachverhalten im Schnittbereich zwischen beruflicher und privater Sphäre

Bei der Bewertung und Gewichtung von Lebenssachverhalten im Schnittbereich zwischen beruflicher und privater Sphäre verfügt der Gesetzgeber verfassungsrechtlich – unter Beachtung sonstiger grundrechtlicher Bindungen – über erhebliche Gestaltungs- und Typisierungsspielräume. Das BVerfG kann nur eingreifen und eine vom Gesetzgeber getroffene Lösung beanstanden, wenn dieser bei der Abgrenzung willkürlich verfährt (vgl. BVerfG, Urteil vom 11.10.1977, 1 BvR 343/73).

Verfassungsmäßigkeit der steuerlichen Behandlung von Erstausbildungskosten

Nach diesen Maßstäben ist § 9 Abs. 6 EStG nach Ansicht des BVerfG mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Die Regelung bewirke zwar eine steuerliche Ungleichbehandlung von Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt (Erstausbildungskosten), mit Aufwendungen für zweite oder weitere Ausbildungen sowie Aufwendungen für im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindende erste Berufsausbildung oder stattfindendes Erststudium. Diese Ungleichbehandlung erfolge jedoch nicht willkürlich, denn für die Differenzierung bestünden sachlich einleuchtende Gründe.

Gründe für die Zuordnung der Erstausbildungskosten zu den Sonderausgaben

Die Erstausbildung oder das Erststudium unmittelbar nach dem Schulabschluss vermittelt nach Auffassung des BVerfG nicht nur Berufswissen, sondern prägt die Person in einem umfassenderen Sinne, indem sie die Möglichkeit bietet, sich seinen Begabungen und Fähigkeiten entsprechend zu entwickeln und allgemeine Kompetenzen zu erwerben, die nicht zwangsläufig für einen künftigen konkreten Beruf notwendig sind. Zudem korrespondiere die Qualifikation der dafür erforderlichen Aufwendungen als durch die allgemeine Lebensführung (privat) veranlasst damit, dass eine Erstausbildung noch von der Unterhaltspflicht der Eltern umfasst ist. Ferner liege auch bei einer stark auf einen bestimmten späteren Beruf ausgerichteten Erstausbildung eine private Mitveranlassung vor. Es sei deshalb nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber die Aufwendungen für eine Erstausbildung systematisch den Sonderausgaben zugeordnet hat.

Gründe für die Differenzierung zwischen Erstausbildungskosten und den Aufwendungen für Zweit- und weitere Ausbildungen

Die Differenzierung zwischen Erstausbildungsaufwand und den Aufwendungen für zweite oder weitere Ausbildungen hält einer gleichheitsrechtlichen Überprüfung nach Ansicht des BVerfG ebenfalls stand. Die Gründe für Zweit- oder weitere Ausbildungen (Studiengänge) seien so heterogen, dass sie sich einer typisierenden Erfassung als maßgeblich privat (mit-)veranlasst entziehen.

Gründe für die Differenzierung zwischen Erstausbildungen und Erststudiengängen innerhalb und außerhalb eines Dienstverhältnisses

Schließlich sei auch für die Differenzierung zwischen Erstausbildungen und Erststudiengängen innerhalb und außerhalb eines Dienstverhältnisses ein sachlich einleuchtender Grund gegeben. Erstausbildungen und Erststudiengänge im Rahmen eines Dienstverhältnisses unterscheiden sich von anderen Erstausbildungen und -studiengängen durch die bereits während der Ausbildung ausgeübte Erwerbstätigkeit, so das BVerfG.

Verfassungsmäßigkeit der Begrenzung des Sonderausgabenabzugs

Auch die Begrenzung des Sonderausgabenabzugs für Erstausbildungskosten auf einen Höchstbetrag von 4.000 Euro in den Streitjahren (seit VAZ 2012: 6.0000 Euro) verstoße weder gegen das Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums noch sei sie bei einer Würdigung im Lichte betroffener Grundrechte zu beanstanden.

Betroffene Norm

§ 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetzes

Streitjahre 2004-2008

Vorinstanzen

zu 2 BvL 22/14: BFH, Urteil vom 17.07.2014, VI R 61/11

zu 2 BvL 23/14: BFH, Urteil vom 17.07.2014, VI R 2/12, siehe Deloitte Tax-News

zu 2 BvL 24/14: BFH, Urteil vom 17.07.2014, VI R 8/12, siehe Deloitte Tax-News 

zu 2 BvL 25/14: BFH, Urteil vom 17.07.2014, VI R 38/12

zu 2 BvL 26/14: BFH, Urteil vom 17.07.2014, VI R 2/13

zu 2 BvL 27/14: BFH, Urteil vom 17.07.2014, VI R 72/13

Fundstelle

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 19.11.2019, 2 BvL 22/14, 2 BvL 23/14, 2 BvL 24/14, 2 BvL 25/14, 2 BvL 26/14, 2 BvL 27/14 

Pressemitteilung Nr. 2/2020 vom 10.01.2020

Weitere Fundstellen

BVerfG, Urteil vom 11.10.1977, 1 BvR 343/73, BVerfGE 47, S. 1

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