BFH: AdV für Nachzahlungs- oder Aussetzungszinsen ab 2012
Für festgesetzte Nachzahlungs- oder Aussetzungszinsen für Zeiträume ab 2012 wird auf Antrag Aussetzung der Vollziehung von Bescheiden gewährt.
Sachverhalt
Die Antragsteller begehren die Aussetzung der Vollziehung (AdV) eines Bescheids über die Festsetzung von Aussetzungszinsen. Die Zinsfestsetzung betrifft den Zeitraum November 2012 bis September 2016. Das FG hat den Antrag auf AdV abgelehnt.
Entscheidung
Entgegen der Auffassung des FG kommt der BFH zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für eine AdV des angefochtenen Bescheids über die Festsetzung von Aussetzungszinsen für Streitzeiträume ab 2012 als gegeben anzusehen sind.
Erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen Zinssatz
Gegen die Höhe des in § 238 Abs. 1 S. 1 AO gesetzlich festgelegten Zinssatzes von monatlich 0,5 % bestehen nach dem – zur Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO ergangenen – BFH-Beschluss vom 25.04.2018, IX B 21/18 jedenfalls ab dem Verzinsungszeitraum 2015 erhebliche verfassungsrechtliche und deshalb eine Aussetzung rechtfertigende Bedenken.
Nachzahlungs- und Aussetzungszinsen sind gleichermaßen betroffen
Diese Zweifel zur Verfassungsmäßigkeit der Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO beziehen sich ausschließlich auf den in § 238 Abs. 1 AO festgelegten Zinssatz und können folglich nicht anders für die Festsetzung von hier streitigen Aussetzungszinsen beurteilt werden, weil diese gleichermaßen nach Maßgabe des Zinssatzes in § 238 Abs. 1 AO festzusetzen sind, so der BFH.
AdV für Streiträume ab 2012
Der BFH hält es für sachgerecht die im Streitfall begehrte AdV nicht nur auf Zinsen im Streitzeitraum ab 2015, sondern auch auf die vorangegangenen Streitzeiträume ab 2012 zu erstrecken.
Anhängige Verfassungsbeschwerden
Dies gilt deshalb, weil für frühere Zeiträume bereits zwei Verfassungsbeschwerdeverfahren (1 BvR 2237/14 für Zeiträume nach 2009 und 1 BvR 2422/17 für Zeiträume nach 2011) vor dem BVerfG anhängig sind. Die gegenteilige Auffassung des III. Senats des BFH in seinem Urteil vom 09.11.2017, III R 10/16 zur Verfassungsmäßigkeit des § 238 Abs. 1 AO für jene früheren Zeiträume steht mithin ebenfalls zur verfassungsgerichtlichen Überprüfung an.
Betroffene Norm
§ 233a AO, § 238 Abs. 1 AO
Streitjahre 2012 bis 2016
Anmerkung
BMF-Schreiben vom 02.05.2019: Vorläufige Zinsfestsetzungen für alle Zinszeiträume
Aufgrund der ungeklärten Rechtslage führt die Finanzverwaltung Zinsfestsetzungen bis auf Weiteres vorläufig durch – und zwar unabhängig vom Verzinsungszeitraum (BMF-Schreiben vom 02.05.2019, siehe Deloitte Tax-News). Ein Einspruch ist allerdings weiterhin erforderlich, um Aussetzung der Vollziehung des Zinsbescheides zu erreichen (Verweis auf das BMF-Schreiben vom 14.12.2018).
BMF-Schreiben vom 14.12.2018: Die Finanzverwaltung gewährt AdV für Verzinsungszeiträume ab 01.04.2012
Die obersten Finanzbehörden der Länder haben nun beschlossen, die BFH-Beschlüsse vom 25.04.2018 (siehe Deloitte Tax-News) und vom 03.09.2018 in allen Fällen für Verzinsungszeiträume ab dem 01.04.2012 anzuwenden (BMF-Schreiben vom 14.12.2018). Es soll daher (nur!) auf Antrag im Einspruchsverfahren die Aussetzung der Vollziehung gewährt werden.
Vorinstanz
Finanzgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.01.2018, 2 V 3389/16
Fundstelle
BFH, Beschluss vom 03.09.2018, VIII B 15/18
Weitere Fundstellen
BMF, Schreiben vom 02.05.2019, IV A 3 – S 0338/18/10002, siehe Deloitte Tax-News
BMF, Schreiben vom 14.12.2018
BFH, Beschluss vom 25.04.2018, IX B 21/18, BStBl. II 2018, S. 415, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 09.11.2017, III R 10/16, BStBl. II 2018, S. 255, siehe Deloitte Tax-News
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.07.2014, 14 A 1196/13, BVerfG-anhängig: 1 BvR 2237/14
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 10.08.2017, 4 ZB 17.279, BVerfG-anhängig: 1 BvR 2422/17