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10.04.2025
Unternehmensteuer

BFH: Anerkennung Organschaft bei atypisch stiller Beteiligung

Der BFH hat erstmals höchstrichterlich entschieden, dass eine atypisch stille Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft als Organgesellschaft der Anerkennung einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft grundsätzlich nicht entgegensteht. Die Organgesellschaft kann ihren unter Berücksichtigung der Gewinnbeteiligung des stillen Gesellschafters ermittelten handelsrechtlichen Jahresüberschuss als "ganzen Gewinn" im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 1 KStG an den Organträger abführen.

BFH, Urteil vom 11.12.2024, I R 33/22

Sachverhalt

Eine GmbH (Klägerin) hatte mit einer GmbH & Co. KG (KG), die sämtliche Anteile der GmbH hielt, einen Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag (EAV) abgschlossen. Die Geschäftsführung der GmbH unterstellt sich der insoweit weisungsberechtigten KG. Die GmbH verpflichtete sich, ihr gesamtes, nach den maßgeblichen handelsrechtlichen Vorschriften ermittelte Ergebnis an die KG abzuführen.

Die KG beteiligte sich am Betrieb der GmbH als stille Gesellschafterin mit einer Kapitaleinlage. Sie war am Gewinn und Verlust sowie am Vermögen der GmbH mit 10 % beteiligt, ebenso an den stillen Reserven im Falle einer Auflösung der stillen Gesellschaft. Unstreitig war eine steuerrechtliche Mitunternehmerschaft in Gestalt einer atypisch stillen Gesellschaft entstanden. Für diese Mitunternehmerschaft wurden für die Jahre 2005 bis 2008 (Streitjahre) Feststellungserklärungen abgegeben und es ergingen jeweils Feststellungsbescheide.

Die GmbH behandelte die Einlagen der stillen Gesellschafterin als Eigenkapital. In den Gewinn- und Verlustrechnungen wurden jeweils das Jahresergebnis vor Ergebnisabführung, der aufgrund des EAV abgeführte Gewinn (90 % des Jahresergebnisses) und die Ergebniszurechnung an die KG als stille Gesellschafterin (10 % des Jahresergebnisses) ausgewiesen.

Das Finanzamt war der Auffassung an, dass die Voraussetzungen für eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft nicht vorgelegen hätten, weil eine GmbH, an der eine atypisch stille Beteiligung bestehe, nicht Organgesellschaft sein könne. In Folge der atypisch stillen Beteiligung sei nicht der "ganze Gewinn" an den vermeintlichen Organträger abgeführt worden. Das sah auch das FG so.

Entscheidung zu körperschaftsteuerrechtlicher Organschaft bei atypisch stiller Beteiligung an Organgesellschaft

Anders als Finanzamt und FG kommt der BFH zu dem Ergebnis, dass zwischen der GmbH und der KG eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft bestanden hat.

Gesetzliche Grundlagen

Verpflichtet sich eine Kapitalgesellschaft als Organgesellschaft durch einen Gewinnabführungsvertrag im Sinne des § 291 Abs. 1 AktG ihren ganzen Gewinn an ein einziges anderes gewerbliches Unternehmen abzuführen, so ist nach § 14 Abs. 1 S. 1 KStG das Einkommen der Organgesellschaft dem Träger des Unternehmens (Organträger) zuzurechnen, wenn die Voraussetzungen von § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 5 KStG erfüllt sind.

Meinungsstreit

Ob der gesetzlich geforderten Verpflichtung zur Abführung des "ganzen Gewinns" auch dann entsprochen wird, wenn an der Organgesellschaft eine atypisch stille Beteiligung besteht, die mit einer Gewinnzuweisung an den Gesellschafter (Mitunternehmer) verbunden ist, wird in Finanzgerichtsrechtsprechung, Literatur und von Verwaltungsseite unterschiedlich beurteilt. Der BFH hat in seiner Rechtsprechung die Streitfrage noch nicht abschließend beantwortet.

  • Finanzgerichte
    In der finanzgerichtlichen Rechtsprechung wird übereinstimmend davon ausgegangen, dass eine atypisch stille Beteiligung an der Organgesellschaft der Anerkennung der Organschaft entgegensteht (vgl. neben der Vorinstanz die Urteile des FG Hamburg vom 26.10.2010, 2 K 312/09 und des FG Düsseldorf vom 12.04.2021, 6 K 2616/17 K,G,F).
  • Schrifttum
    Der überwiegende Teil des Schrifttums geht davon aus, dass auch bei Bestehen einer atypisch stillen Beteiligung an der Organgesellschaft der "ganze Gewinn" abgeführt wird.
  • Finanzverwaltung
    Die Finanzverwaltung vertritt die Auffassung, dass eine Kapitalgesellschaft, an der eine atypisch stille Beteiligung besteht, keine Organgesellschaft sein kann (BMF-Schreiben vom 20.08.2015; OFD Frankfurt am Main vom 01.02.2023).

Höchstrichterliche Klärung durch den BFH

Der BFH hatte in seiner Rechtsprechung die Streitfrage bislang noch nicht abschließend beantwortet. Er schließt sich nun der herrschenden Auffassung im Schrifttum an und kommt zu dem Ergebnis, dass eine atypisch stille Beteiligung an der Organgesellschaft der Anerkennung einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft nicht entgegensteht.

Begründung:

  • Aus der Bezugnahme im Rahmen der gesetzlichen Regelung des § 14 Abs. 1 KStG auf einen Gewinnabführungsvertrag im Sinne des § 291 Abs. 1 AktG folgt eine zivilrechtliche Betrachtungsweise.
  • Was als ganzer Gewinn abzuführen ist, bestimmt sich daher nach dem Zivilrecht.
  • Deshalb ist Gegenstand der Abführungsverpflichtung – auch für steuerrechtliche Zwecke – der Jahresüberschuss im Sinne des § 301 Satz 1 AktG und nicht der steuerrechtlich ermittelte Gewinn (z.B. BFH-Beschluss vom 06.06.2013, I R 38/11).
  • Die Maßgeblichkeit der handelsrechtlichen Gewinnermittlung hat zur Folge, dass der Gewinnanteil des (atypisch) still Beteiligten als Aufwand (Abführungsverpflichtung aus einem Teilgewinnabführungsvertrag im Sinne des § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG) zu erfassen ist, der den abzuführenden Jahresüberschuss mindert.
  • Dieses (geminderte) Jahresergebnis – im Streitfall also "die 90 %" – stellt sodann den "ganzen Gewinn" im Sinne des § 291 Abs. 1 S. 1 AktG dar, der handels- und in der Folge auch steuerrechtlich abzuführen ist.
  • Dass eine – typische oder atypische – stille Beteiligung zivilrechtlich als Teilgewinnabführungsvertrag qualifiziert wird, steht dieser Beurteilung nicht entgegen.
  • Aus der in § 14 Abs. 1 S. 1 KStG enthaltenen Formulierung "Gewinnabführungsvertrag im Sinne des § 291 Abs. 1 AktG" kann entgegen der Auffassung des BMF nicht geschlossen werden, dass es als unvereinbar anzusehen ist, wenn neben einem Gewinnabführungsvertrag im Sinne des § 291 Abs. 1 AktG auch ein Teilgewinnabführungsvertrag im Sinne des § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG besteht.

Entscheidung zu den Rechtsfolgen einer gewerbesteuerrechtlichen Organschaft bei atypisch stiller Beteiligung an Organgesellschaft

In einem weiteren Urteil vom 11.12.2024, I R 17/21, hat der BFH zu den Rechtsfolgen einer gewerbesteuerrechtlichen Organschaft Stellung bezogen:

  • Der BFH bestätigt seine Rechtsprechung, wonach die Rechtsfolgen einer gewerbesteuerrechtlichen Organschaft grundsätzlich nicht eintreten, wenn am Gewerbebetrieb einer Organgesellschaft ein atypisch stiller Gesellschafter beteiligt ist (so bereits BFH-Urteil vom 25.10.1995, I R 76/93).
  • Dies schränkt der BFH nun aber insoweit ein, als er eine gewerbesteuerliche Organschaft für möglich hält, wenn sich der atypisch stille Gesellschafter bei Vorliegen mehrerer sachlich hinreichend abgegrenzter Geschäftsbereiche der Organgesellschaft lediglich an einem dieser Geschäftsbereiche beteiligt.

Entscheidung zu atypisch stiller Beteiligung an Organträger

Der BFH hat sich in seinem Urteil vom 11.12.2024, I R 17/21, zur Anerkennung einer Organschaft bei atypisch stiller Beteiligung an der Organträgerin geäußert:

  • Für den Sonderfall, dass unabhängig voneinander mehrere atypisch stille Beteiligungen jeweils (nur) an verschiedenen Niederlassungen einer Kapitalgesellschaft bestehen, kommt der BFH zu dem Ergebnis, dass dann diese Kapitalgesellschaft grundsätzlich Organträger einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft sein kann.
  • Im Streitfall waren die atypisch still Beteiligten auf der Grundlage eines eigenständigen Rechenwerks nur am Gewinn und Verlust sowie den stillen Reserven der jeweiligen Niederlassungen der Organträger-Kapitalgesellschaft beteiligt (hier: es bestand eine Vielzahl von atypischen Beteiligungen an den einzelnen Niederlassungen der Organträgerin), nicht aber am Erfolg oder den stillen Reserven des "Gesamtunternehmens" (hier: besondere Unternehmensstruktur, welche mit sogenannten "Tracking Stocks"-Strukturen vergleichbar ist).
  • Insofern erfülle die Kapitalgesellschaft in eigener Person die Voraussetzungen der Organschaft.

Betroffene Norm

§ 14 Abs. 1 S. 1 KStG

Streitjahre 2005 bis 2008

Anmerkung

Der BFH hat mit seinen Urteilen erfreulicherweise höchstrichterliche Rechtsklarheit und Rechtssicherheit hinsichtlich der Anerkennung einer Organschaft bei möglichen Varianten von atypischen Beteiligungen geschaffen. Abzuwarten bleibt allerdings, wie die Finanzverwaltung mit den Urteilen umgehen wird, d.h. ob sie sie allgemein über die entschiedenen Einzelfälle anwenden wird.

Vorinstanzen

Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 05.07.2022, 1 K 395/14, EFG 2022, S. 1942 (zu I R 33/22)

Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 12.04.2021, 6 K 2616/17 K,G,F (zu I R 17/21)

Fundstellen

BFH, Urteil vom 11.12.2024, I R 33/22

Pressemitteilung vom 03.04.2025, Nr. 021/25

BFH, Urteil vom 11.12.2024, I R 17/21 

Weitere Fundstellen

FG Hamburg, Urteil vom 26.10.2010, 2 K 312/09, GmbHR 2011, S. 329

FG Düsseldorf, Urteil vom 12.04.2021, 6 K 2616/17 K,G,F, EFG 2021, S. 1052, Revision erledigt mit Urteil vom 11.12.2024, I R 17/21 (Paralellentscheidung siehe oben)

BFH, Beschluss vom 06.06.2013, I R 38/11, BStBl. II 2014, S. 398

BFH, Urteil vom 25.10.1995, I R 76/93, BFH/NV 1996, S. 504

BMF, Schreiben vom 20.08.2015, BStBl. I 2015, S. 649, siehe Deloitte Tax-News

Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main vom 01.02.2023, DStR 2023, S. 776

 

Ihr Ansprechpartner

Daniela Gemmel
Senior Manager

dgemmel@deloitte.de
Tel.: +4921187725394

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