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22.12.2022
Unternehmensteuer

BFH: Auslegung von Gewinnabführungsverträgen

Umstände, für die sich keine ausreichenden Anhaltspunkte in einem Gewinnabführungsvertrag finden, können zur Auslegung grundsätzlich nicht herangezogen werden. Die Korrektur einer Unstimmigkeit in einem Gewinnabführungsvertrag durch einen notariellen Nachtragsvermerk entfaltet demnach dann keine steuerliche Rückwirkung, wenn sich der tatsächlich gewollte Vertragsinhalt nicht objektiv aus den Vertragsregelungen ergibt.

Sachverhalt

Die V-GmbH war alleinige Gesellschafterin der Klägerin (GmbH) und hatte mit dieser in 1991 einen Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag (GAV) bis zum 31.12.1996 abgeschlossen. In 2012 wurde dem Vertrag folgender ursprünglich "vergessener“ Absatz durch einen notariellen Nachtragsvermerk gem. § 44a Abs. 2 S. 1, 2 Beurkundungsgesetz (BeurkG) hinzugefügt: „Wird der Vertrag nicht 1 Jahr vor seinem Ablauf schriftlich gekündigt, verlängert er sich um jeweils 1 weiteres Jahr." Die GmbH führte in den Jahren 2006 und 2009 (Streitjahre) auf der Grundlage des GAV ihren Gewinn an die V-GmbH ab.

Finanzamt und Finanzgericht waren der Auffassung, dass die Laufzeit des GAV wegen fehlender Verlängerung abgelaufen war. Sie versagten dem GAV daher die steuerrechtliche Anerkennung und rechneten den von der GmbH an die V-GmbH in den Jahren 2005 und 2006 abgeführten Gewinn dem Einkommen der GmbH außerbilanziell als verdeckte Gewinnausschüttungen an die V-GmbH hinzu. 

Entscheidung

Der BFH schließt sich dem Finanzamt und dem FG an und stellt klar, dass in den Streitjahren kein steuerrechtlich wirksamer GAV zwischen der GmbH und der V-GmbH und damit keine Organschaft nach §§ 14, 17 KStG bestand. Denn die rückwirkende Heilung des Mangels könne steuerrechtlich nicht durch einen notariellen Nachtragsvermerk erreicht werden.

Zivilrechtlich wirksamer GAV als Voraussetzung einer steuerlich anzuerkennenden Organschaft

Voraussetzung für die Anerkennung einer körperschaftlichen Organschaft ist u.a. ein auf mindestens fünf Jahre abgeschlossener GAV, der auch zivilrechtlich wirksam ist (§ 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 1 KStG i.V.m. § 17 Abs. 1 S. 1 KStG). Hieran fehlte im Streitfall, da der GAV nach Ansicht des BFH am 31.12.1996 geendet hat und nicht verlängert worden ist.

Auslegung eines GAV

Ein GAV ist nach objektiven Gesichtspunkten einheitlich aus sich heraus auszulegen (BGH, Urteil vom 06.03.2018, II ZR 1/17). Umstände, für die sich keine ausreichenden Anhaltspunkte im Vertrag finden, können zur Auslegung nicht herangezogen werden (BFH, Urteil vom 28.11.2007, I R 94/06).

Findet sich im GAV und den allgemein zugänglichen Unterlagen kein eindeutiger Beleg für den dem Wortlaut entgegenstehenden subjektiven Willen der Parteien, bleibt im Bereich der Auslegung eines GAV kein Raum für die Berücksichtigung des aus § 133 BGB abzuleitenden Grundsatzes „falsa demonstratio non nocet“, nach dem ohne Rücksicht auf einen abweichenden Wortlaut das tatsächlich Gemeinte als Vertragsinhalt gilt. An diesen strengen Auslegungskriterien möchte der BFH – ungeachtet der in der Literatur dazu geäußerten Kritik [GD5] – weiter festhalten. Denn es müsse seiner Ansicht nach ausgeschlossen sein, dass den Vertragsparteien – je nach wirtschaftlicher und steuerlicher Situation – ein "faktisches Wahlrecht" eingeräumt wird, sich auf den konkreten Vertragstext oder auf ein Redaktionsversehen zu berufen.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze lässt sich der GAV im Streitfall dem BFH zufolge nicht in der Weise auslegen, dass er über den 31.12.1996 hinaus wirksam sein sollte.

Tatsächlich durchgeführte Gewinnabführung ist für die Vertragsauslegung nicht relevant

Auch aus dem Umstand, dass der GAV von den Vertragsparteien tatsächlich über den 31.12.1996 hinaus durchgeführt worden ist, folge nichts anderes. Denn es handele sich hier um Vorgänge, die sich alle erst erhebliche Zeit nach dem Vertragsschluss zugetragen haben und die schon deshalb bei der Auslegung der Vertragserklärungen keine Berücksichtigung finden könnten.

Darüber hinaus weist der BFH noch darauf hin, dass tagesidentisch abgeschlossene Gewinnabführungsverträge und Beherrschungsverträge von Schwestergesellschaften nicht zur Vertragsauslegung herangezogen werden können.

​Keine steuerliche Rückwirkung des Nachtragsvermerks

Gem. § 44a Abs. 2 S. 1 BeurkG können offensichtliche Unrichtigkeiten auch nach Abschluss der Niederschrift durch einen notariellen Nachtragsvermerk richtiggestellt werden. Als offensichtliche Unrichtigkeiten werden neben Schreibversehen auch Auslassungen und Unvollständigkeiten erfasst, wenn sie versehentlich erfolgt sind und sich dies aus dem Gesamtzusammenhang der Beurkundung ergibt, wobei die Umstände auch außerhalb der Urkunde liegen können (BGH, Urteil vom 10.10.2017, II ZR 375/15).

Voraussetzung für eine solche offensichtliche Unrichtigkeit wäre im vorliegenden Fall, dass der von den Vertragsparteien tatsächlich gewollte Vertragsinhalt offensichtlich ist. Das ist nach Ansicht des BFH aber nicht gegeben, da die Vertragsurkunde dahingehend nicht einmal andeutungsweise einen bestimmten Erklärungsinhalt erkennen lasse.

Darüber hinaus werde bereits in zivilrechtlicher Hinsicht unter Verweis auf Vertrauensschutzgesichtspunkte die Rückwirkung eines Nachtragsvermerks bezweifelt. Jedenfalls könne in steuerrechtlicher Hinsicht ein Jahre später angefertigter Nachtragsvermerk nicht dazu führen, dass ein zuvor nach objektiver Auslegung als beendet anzusehender GAV rückwirkend wieder auflebt und zur Grundlage für eine organschaftliche Einkommenszurechnung wird. 

Betroffene Normen

§§ 14, 17 KStG, ​§ 44a Abs. 2 BeurkG

Streitjahr ​2006 bis 2009

Vorinstanz

​Finanzgericht Niedersachsen, Urteil vom 15.06.2017, 10 K 115/15, 10 K 116/15 

Fundstelle

BFH, Urteil vom 13.07.2022, I R 42/18, BStBl II 2023, S. 192

Weitere Fundstellen

BGH, Urteil vom 06.03.2018, II ZR 1/17, DB 2018, S. 1078

BFH, Urteil vom 28.11.2007, I R 94/06, BFH/NV 2008, S. 1270

BGH, Urteil vom 10.10.2017, II ZR 375/15, BGHZ 216, S. 110

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