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07.12.2012
Unternehmensteuer

BFH: Begrenzung der Verlustverrechnung bei der Gewerbesteuer ist verfassungsgemäß

Die Beschränkung der Verrechnung von vortragsfähigen Gewerbeverlusten (sog. Mindestbesteuerung) durch Einführung einer jährlichen Höchstgrenze mit Wirkung ab 2004 ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Das gilt auch, soweit es wegen der Begrenzung zu einem endgültig nicht mehr verrechenbaren Verlust kommt. Die Mindestbesteuerung ist auch deshalb verfassungsgemäß, weil in besonderen Härtefällen Billigkeitsmaßnahmen möglich sind.

Sachverhalt

Die Klägerin, eine in 1993 errichtete GmbH & Co. KG, erwarb in 1994 als einzige wesentliche Betriebsgrundlage ein Flugzeug, das sie vermietete. In 1994 war das Flugzeug - wie von Anfang an geplant - verkauft worden und die Klägerin hatte ihre Tätigkeit eingestellt. Im Jahr des Verkaufs kam es zu einem Gewinn, der wegen der Regelung über die Mindestbesteuerung nicht durch an sich in ausreichender Höhe vorhandene Verluste aus Vorjahren ausgeglichen werden konnte. Die Verluste konnten auch später nicht mehr zum Ausgleich von Gewinnen genutzt werden, weil die Gesellschaft ihre Tätigkeit mit dem Verkauf des Flugzeugs beendet hatte. Die Klage gegen die vom Finanzamt in beschränkter Höhe vorgenommene Berücksichtigung des zum 31.12.2003 festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlustes (§ 10a S. 1 und 2 GewStG) hatte keinen Erfolg.

Entscheidung

Die Mindestbesteuerung (§ 10a S. 1 und 2 GewStG) verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (ebenso BFH-Urteil vom 22.08.2012). Die für die Lastengleichheit im Gewerbesteuerrecht maßgebliche finanzielle Leistungsfähigkeit ist grundsätzlich nach dem objektiven Nettoprinzip zu bemessen. Das objektive Nettoprinzip gilt auch für die Gewerbesteuer, weil die Gewerbesteuer im Hinblick auf die Bemessung des Gewerbeertrags nach den Vorschriften des EStG und des KStG (§ 7 Satz 1 GewStG) ebenso wie die Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer an die Ertragskraft des Unternehmens anknüpft (BVerfG-Beschluss vom 15.01.2008). Allerdings bedingt der Charakter der Gewerbesteuer als Objektsteuer Einschränkungen des objektiven Nettoprinzips.

Das der Gewerbeertragsbesteuerung zugrunde liegende gesetzgeberische Konzept hat von Beginn an die Möglichkeit einer Definitivbelastung mit Gewerbesteuer auch bei periodenübergreifend überwiegenden Verlusten nicht ausgeschlossen. Nach dem gesetzgeberischen Plan soll § 10a Sätze 1 und 2 GewStG nicht zu einem endgültigen Wegfall von ausgleichsfähigen Fehlbeträgen aus vorangegangenen Erhebungszeiträumen führen. Die Regelung beinhaltet danach keine Beschränkung des Abzugs der während der Dauer der unternehmerischen Tätigkeit entstandenen Betriebsausgaben. Insoweit verstößt § 10a S. 1 und 2 GewStG nicht gegen das objektive Nettoprinzip. Zu einer Verletzung des objektiven Nettoprinzips kann es nur mittelbar dann kommen, wenn die zeitliche Hinauszögerung des Verlustabzugs im Ergebnis zur Folge hat, dass der ansonsten abziehbare Verlust überhaupt nicht mehr abgezogen werden kann.

Die Gesetzesmaterialien zur Einführung der Mindestbesteuerung lassen erkennen, dass die an der Gesetzgebung beteiligten Organe Fälle der Definitivbesteuerung infolge der Mindeststeuer erkannt und bei der Ausgestaltung des Gesetzes berücksichtigt haben. Zu berücksichtigen ist dabei zudem, dass wegen der besonderen Ausgestaltung der Gewerbesteuer als Objektsteuer Verlustvorträge häufiger als bei der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer bereits ungeachtet der Wirkungen von § 10a Sätze 1 und 2 GewStG untergehen. Es ist nicht zu erkennen, dass durch eine gesetzliche Regelung eine Definitivbelastung in allen verbleibenden denkbaren Einzelfällen hätte ausgeschlossen werden können, ohne das System der Mindestbesteuerung insgesamt aufzugeben und ohne zugleich weitere Verletzungen des Gleichheitssatzes zu bewirken. Der Gesetzgeber durfte sich darauf verlassen, dass besondere Härten in Einzelfällen, die allein von der durch die Verluststreckung ausgelösten Definitivbelastung herrühren, durch Billigkeitsmaßnahmen vermieden werden können. Die Möglichkeit von Billigkeitsmaßnahmen in besonderen Einzelfällen flankiert die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers und gestattet ihm, eine typisierende Regelung zu treffen, bei der Unsicherheiten über Zahl und Intensität der von der typisierenden Regelung nachteilig betroffenen Fälle mit zumutbarem Aufwand nicht beseitigt werden können.

Ist § 10a S. 1 und 2 GewStG wie ausgeführt bereits in seiner allgemeinen Grundsätzen folgenden Auslegung als mit der Verfassung vereinbar zu beurteilen, bleibt kein Raum für eine von der Klägerin begehrte verfassungskonforme Auslegung. Eine verfassungskonforme Auslegung kommt nur in Betracht, wenn von mehreren Auslegungsmöglichkeiten eine zur Verfassungswidrigkeit führen würde. In der vom BFH vertretenen Auslegung ist § 10a S. 1 und 2 GewStG indessen nach den vorstehenden Erwägungen mit der Verfassung vereinbar (ebenso BFH-Urteil vom 22.08.2012).

Betroffene Norm
§ 10a S. 1 und 2 GewStG
Streitjahr 2004

Anmerkungen
BFH-Urteil vom 21.09.2016 zu Billigkeit bei Mindestbesteuerung aufgrund von Buchgewinnen
Mit Urteil vom 21.09.2016, I R 65/14 NV (siehe Deloitte Tax-News) hat der BFH entschieden, dass die ausgelösten Folgen der Mindestbesteuerung auch im Falle von bloßen Buchgewinnen (steuerwirksame Teilwertaufholung nach einer steuerwirksam vorgenommenen Teilwertabschreibung) keinen Grund für eine abweichende Steuerfestsetzung im Billigkeitsverfahren darstellen.

Kein Definitiveffekt
Mit Beschluss vom 26.02.2014, I R 59/12 (siehe Deloitte Tax-News) hat der BFH dem BVerfG die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Mindestbesteuerung bei Eintritt eines sog. Definitiveffekts vorgelegt. Für den Fall, dass der Verlustausgleich nicht versagt, sondern lediglich zeitlich gestreckt wird, geht der BFH weiterhin (wie bereits im BFH-Urteil vom 22.08.2012, I R 9/11, siehe Deloitte Tax-News) von der (grundsätzlichen) Verfassungsmäßigkeit der Mindestbesteuerung aus.

BFH zu Billigkeitserlass
Anders als im vorliegenden Urteil vom 20.09.2012 ließ der BFH im Beschluss vom 26.02.2014 die Möglichkeit, in besonderen Härtefällen Billigkeitsmaßnahmen zu gewähren, nicht mehr ausreichen, um die Verfassungskonformität auch in Fällen eines Definitiveffekts zu bejahen.

Zur Billigkeit hatte der BFH bereits in einer weiteren Entscheidung vom 20.09.2012 (BFH IV R 29/10, siehe Deloitte Tax-News) entschieden, das die Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags ungeachtet der Mindestbesteuerung (§ 10a S. 1 und 2 GewStG) nicht unbillig sein kann, wenn der Steuerpflichtige selbst die Ursache für einen ansonsten nicht entstandenen Gewinn gesetzt hat. Ein solcher selbst verursachter Gewinn ist gegeben, wenn der Steuerpflichtige zur Vermeidung der Insolvenz einen Gläubiger zum Erlass seiner Forderung gedrängt hat.

BVerwG zu Billigkeitserlass
Das BVerwG hat nun – anders als der BFH – mit Urteil vom 19.02.2015 (siehe Pressemitteilung ) entschieden, dass
wegen des endgültigen Wegfalls des Verlustvortrags nach § 10a GewStG kein Billigkeitserlass der Gewerbesteuer zu gewähren sei. Der Gesetzgeber habe bei der Einführung der Mindestbesteuerung das Problem etwaiger Definitivverluste bewusst in Kauf genommen und auf Ausnahmeregelungen verzichtet. Ob die Mindestbesteuerung in ihrer gegenwärtigen Form verfassungsgemäß ist, ließ das Bundesverwaltungsgericht offen.

Vorinstanz
Finanzgericht München, Urteil vom 04.08.2010, 1 K 608/07, DStRE 2011, S. 820, siehe Deloitte Tax-News

Fundstelle
BFH, Urteil vom 20.09.2012, IV R 36/10

Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 21.09.2016, I R 65/14 NV, siehe Deloitte Tax-News
BVerfG-Beschluss vom 15.01.2008, 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, S. 1
BFH, Beschluss vom 26.02.2014, I R 59/12, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 22.08.2012, I R 9/11, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 20.09.2012, IV R 29/10, siehe Deloitte Tax-News

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