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25.08.2022
Unternehmensteuer

BFH: Behandlung barer Zuzahlungen an inländische Anteilseigner bei Verschmelzung US-amerikanischer Kapitalgesellschaften

§ 20 Abs. 4a EStG findet bei einem aufgrund einer Verschmelzung US-amerikanischer Kapitalgesellschaften erfolgten Tausch der Aktien mit Spitzen- und Barausgleich keine Anwendung, wenn bei rechtsvergleichender Betrachtung die Verschmelzung aufgrund einer hohen Barzahlung nicht einmal hypothetisch in den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 3 Nr. 5 UmwStG fallen könnte. Der BFH hat die Verschmelzung daher als Tausch gegen die Gewährung eines Mischentgelts und damit als Veräußerung qualifiziert mit der Folge, dass von der Gegenleistung die Anschaffungskosten der Aktien abgezogen werden können.

Sachverhalt

Die Klägerin hielt Aktien an einer US-amerikanischen Kapitalgesellschaft (LI-Co). Im Jahr 2015 wurde die LI-Co. auf die US-amerikanische Kapitalgesellschaft, RAI-Co., verschmolzen. Aus diesem Grund erhielt die Klägerin für eine bisher gehaltene LI-Aktie neue RAI Aktien sowie eine Barzuzahlung und einen Spitzenausgleich. In der Jahressteuerbescheinigung für das Streitjahr wies die depotführende Bank die Barzuzahlung als steuerpflichtigen Kapitalertrag aus und behielt hierfür entsprechend Kapitalertragsteuer zzgl. Solidaritätszuschlag ein.

Die Klägerin war der Auffassung, dass bei der Besteuerung der Barzuzahlung die Anschaffungskosten der LI-Aktien anteilig steuermindernd zu berücksichtigen seien. Dem folgten Finanzamt und FG nicht und legten die Zuzahlung der Einkommensteuer in voller Höhe als Kapitalertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4a S. 2 EStG zugrunde.

Entscheidung

Der BFH kommt entgegen der Auffassung des FG zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem Tausch der LI-Aktien gegen die RAI-Aktien und dem Barausgleich nicht um eine gesellschaftsrechtliche Maßnahme i.S. des § 20 Abs. 4a S. 1 und 2 EStG, sondern um einen Tausch gegen Mischentgelt, der unter § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG fällt, sodass der zu besteuernde Gewinn nach § 20 Abs. 4 S. 1 EStG zu berechnen ist.

Gesetzliche Grundlage

Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehört nach § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 S. 1 EStG auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Körperschaft i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG, wobei unerheblich ist, ob es sich um eine in- oder ausländische Körperschaft handelt. Eine Veräußerung in diesem Sinne ist die entgeltliche Übertragung des – zumindest wirtschaftlichen – Eigentums auf einen Dritten (vgl. BFH-Urteil vom 12.06.2018, VIII R 32/16). Eine solche Veräußerung liegt auch bei dem Untergang von Gesellschaftsanteilen aufgrund einer Verschmelzung der Anteile des übertragenden Rechtsträgers gegen die Gewährung von Anteilen am übernehmenden Rechtsträger vor.

Veräußerung nach § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG

Danach hat dem BFH zufolge im Urteilsfall die Klägerin die LI-Aktien nach § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG veräußert. Bei den LI-Aktien handelt es sich um Anteile an einer US-amerikanischen Aktiengesellschaft und somit um Anteile an einer Körperschaft i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG. Bei der Gewährung der RAI-Aktien und der Ausgleichszahlung in Form des Bar- und Spitzenausgleichs handelt es sich nach dem BFH um ein sog. „Mischentgelt“ für die aufgrund der Verschmelzung ausgebuchten LI-Aktien, sodass der Tatbestand des § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 S. 1 EStG erfüllt ist.

Keine Anwendung des § 20 Abs. 4a EStG

Zwar trifft § 20 Abs. 4a EStG bei einem aufgrund gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen vollzogenen Tausch abweichend von § 20 Abs. 2 S. 1 EStG und den §§ 13 und 21 UmwStG Sonderregelungen für die Besteuerung der eingetauschten Aktien und Zuzahlungen. Die Vorschrift ist jedoch nach dem BFH im vorliegenden Fall nicht anwendbar.

Voraussetzung für die Anwendung der Sonderregelungen ist nach § 20 Abs. 4a S. 1 EStG ein Tausch „auf Grund gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen“. Die Regelung erfasst ausdrücklich „Verschmelzungen, Aufspaltungen und qualifizierte Anteilstauschvorgänge“, die „die dem Anwendungsbereich des UmwStg in § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 Nr. 5 unterliegen“. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UmwStG eröffnet u.a. für Verschmelzungen i.S. des § 2 Nr. 1 UmwG sowie vergleichbare ausländische Vorgänge den Anwendungsbereich des UmwStG. Da eine Verschmelzung unter Beteiligung ausschließlich ausländischer Rechtsträger keine Verschmelzung i.S. des § 2 Nr. 1 UmwG darstellt, könnte es sich nach dem BFH bei der Verschmelzung der LI-Co auf die RAI-Co. allenfalls um einen „vergleichbaren ausländischen Vorgang“ – nämlich eine von § 13 UmwStG i.V.m. § 12 Abs. 2 S. 2 KStG ebenfalls erfasste sog. Drittstaatenverschmelzung – handeln.

Wesentliche Strukturmerkmale einer inländischen Verschmelzung maßgebend

Für die Prüfung, ob ein ausländischer Vorgang mit einer inländischen Verschmelzung vergleichbar ist, ist nach dem BFH zunächst auf die sog. wesentlichen Strukturmerkmale abzustellen (vgl. auch BFH-Urteile vom 01.07.2021, VIII R 9/19 und VIII R 15/20, jeweils für die Abspaltung). Diese waren im Streitfall die Folgenden: Zum einen hat die LI-Co. ihr Vermögen als Ganzes auf die RAI-Co. übertragen und wurde sodann aufgelöst; zum anderen haben die Anteilseigener des übertragenden Rechtsträgers (LI-Co.) Anteile am übernehmenden Rechtsträger (RAI-Co.) erhalten.

Barzuzahlung kann zu „verschleierter Aktienveräußerung“ führen

Darüber hinaus sind nach dem BFH jedoch auch die geleisteten entgeltlichen Zuzahlungen in die Vergleichbarkeitsprüfung einzustellen. Nach nationalem Recht dürfen die – im Verschmelzungsvertrag vereinbarten – baren Zuzahlungen nicht 10% des Gesamtnennbetrags der gewährten Geschäftsanteile der übernehmenden Gesellschaft übersteigen (vgl. § 54 Abs. 4, § 68 Abs. 3 UmwG). Zwar handle es sich bei der Prüfung der baren Zuzahlungen nicht um Tatbestandsmerkmale der Vergleichbarkeitsprüfung, so dass nicht jedes (geringfügige) Überschreiten der 10%-Grenze der Vergleichbarkeit eines ausländischen Vorgangs mit einer inländischen Umstrukturierungsmaßnahme entgegenstehe (vgl. BFH-Urteile vom 01.07.2021, VIII R 9/19 und VIII R 15/20). Allerdings sei nach dem BFH die Höhe der vertraglich vereinbarten Zuzahlungen im Rahmen einer typusorientierten Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen und könne daher als „Indiz“ für eine fehlende Vergleichbarkeit zu werten sein (BMF-Schreiben vom 11.11.2011, BStBl. I S. 1214, Rn. 01.25, 01.40). Insbesondere dürfe eine Zuzahlung nicht so hoch sein, dass sie der gesamten Maßnahme das „Gepräge“ geben.

Im Streitfall machte die bare Zuzahlung an die Klägerin ca. 250% des Aktienkurses der erhaltenen RAI-Aktien aus. Der BFH ist der Auffassung, dass jedenfalls bare Zuzahlungen in dieser Größenordnung der Vergleichbarkeit mit einer inländischen Verschmelzung i.S. des § 2 Nr. 1 UmwG entgegenstehe und vielmehr zu einer „verschleierten Aktienveräußerung“ führe, die ihrerseits nicht in den Anwendungsbereich des § 20 Abs. 4a S. 1 EStG fällt. Folglich komme es – mangels Vorliegens eines Falls des § 20 Abs. 4a S. 1 EStG – auch nicht zu einer Umqualifizierung der baren Zuzahlungen gemäß § 20 Abs. 4a S. 2 EStG in einen Kapitalertrag i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG; stattdessen handele es sich bei den baren Zuzahlungen (weiterhin) um eine Gegenleistung im Rahmen einer Veräußerung i.S. des § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG.

Ermittlung des Veräußerungsgewinns i.S. des § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG

Die Ermittlung des Veräußerungsgewinns i.S. des § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG richtet sich nach § 20 Abs. 4 S. 1 EStG und somit im Wesentlichen nach dem Unterschied zwischen den Einnahmen aus der Veräußerung und den Anschaffungskosten. Vorliegend hat die Klägerin als Gegenleistung für die Ausbuchung der LI-Aktien die Barzuzahlung, den Spitzenausgleich und die eingebuchten RAI-Aktien, die mit dem Börsenwert im Zeitpunkt der Einbuchung bewerten sind, erhalten (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 06.04.2009 - IX B 204/08). Von dieser Gegenleistung sind die Anschaffungskosten der Aktien abzuziehen.

Betroffene Normen

​§ 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG; § 20 Abs. 4a S. 1, 2 EStG; § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 S. 1 EStG

Streitjahr ​2015 

Anmerkungen

Einordnung in die bisherige Rechtsprechung und Auffassung der Finanzverwaltung

Der BFH hat sich in dem hier besprochenen Urteil für eine typusorientierte Betrachtung hinsichtlich der Frage, ob ein ausländischer Vorgang mit einer inländischen Umstrukturierungsmaßnahme vergleichbar ist, ausgesprochen. Auch in seinen Urteilen zur Zuteilung von Aktien im Rahmen eines US-amerikanischen Spin-Off (vom 01.07.2021, VIII R 9/19, VIII R 28/19, VIII R 6/20, VIII R 19/20, VIII R 27/20 (Kapitalmaßnahme Hewlett-Packard Company - USA), VIII R 15/20 (Kapitalmaßnahme eBay Inc. - USA) und vom 19.10.2021, VIII R 7/20 (Kapitalmaßnahme Kraft Foods Inc. – USA), siehe Deloitte Tax-News) hat der BFH den Begriff der "Abspaltung" i.S.d. § 20 Abs. 4a S. 7 EStG typusorientiert ausgelegt und damit der bisherigen Auffassung der Finanzverwaltung Umwandlungssteuererlass vom 11.11.2011 widersprochen. Dem BFH zufolge ist in Drittstaatenfällen ein gesetzlicher Vermögensübergang durch partielle Gesamtrechtsnachfolge nicht erforderlich. Entscheidend sei bei einer "Abspaltung" im Sinne des § 20 Abs. 4a S. 7 EStG, dass die Übertragung der Vermögenswerte in einem einheitlichen "zeitlichen und sachlichen Zusammenhang" mit der und gegen die Übertragung von Anteilen an der übernehmenden Gesellschaft erfolgt. Mit BMF-Schreiben vom 15.06.2022 (siehe Deloitte Tax-News) hat die Finanzverwaltung mittlerweile ihre bisherige den Urteilsgrundsätzen entgegenstehende Auffassung aufgegeben.

Hinweis zu § 15 UmwStG: Im Hinblick auf Abspaltungen i. S. d. § 15 UmwStG hat die Finanzverwaltung dagegen im BMF-Schreiben vom 19.05.2022 festgelegt, dass die oben erwähnten den Urteilen vom 01.07.2021 und vom 19.10.2021 zugrundeliegenden Grundsätze nicht anzuwenden sind. Insoweit sollen weiterhin die für die Vergleichbarkeit maßgeblichen Kriterien der Randnr. 01.36 des BMF-Schreibens vom 11.01.2011, BStBl. I S. 1314) gelten.

Praxishinweis

Es bleibt mit Spannung abzuwarten, ob die Finanzverwaltung das aktuelle Urteil vom 14.02.2022 zur Behandlung barer Zuzahlungen an inländische Anteilseigner bei Verschmelzung US-amerikanischer Kapitalgesellschaften im Bundessteuerblatt veröffentlichen und damit allgemein anwenden wird. 

Vorinstanz

​Finanzgericht Münster, Urteil vom 09.10.2018, 2 K 3516/17 E

Fundstelle

​BFH, Urteil vom 14.02.2022, VIII R 44/18, BStBl II 2022, S. 636

Weitere Fundstellen

​BFH, Urteil vom 12.06.2018, VIII R 32/16, BStBl. II 2019, S. 211., siehe Deloitte Tax-News

BFH, Urteile vom 01.07.2021, VIII R 9/19, VIII R 28/19, VIII R 6/20, VIII R 19/20, VIII R 27/20 (Kapitalmaßnahme Hewlett-Packard Company - USA), VIII R 15/20 (Kapitalmaßnahme eBay Inc. - USA) und vom 19.10.2021, VIII R 7/20 (Kapitalmaßnahme Kraft Foods Inc. – USA), siehe Deloitte Tax-News

BMF, Schreiben vom 11.11.2011, Umwandlungssteuererlass, BStBl. I 2011, S. 1314

BFH, Beschluss vom 06.04.2009, IX B 204/08, BFH/NV 2009, S. 1262.

BFH, Urteil vom 30.05.2018, I R 35/16, BFH/NV 2019, S. 46.

BMF, Schreiben vom 19.05.2022, IV C 2 - S 1978-b/20/10005 :004 ​

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