BFH: BMF-Schreiben zur Anwendung des Sanierungserlasses auf Altfälle unzulässig
Mit Schreiben vom 29.03.2018 ordnet das BMF an, dass die BFH-Urteile vom 23.08.2017 nicht allgemein anzuwenden seien. Nach Anweisung des BMF ist der Sanierungserlass für Schulderlasse bis (einschließlich) zum 08.02.2017 aus Vertrauensschutzgründen entsprechend dem BMF-Schreiben 27.04.2017 weiterhin anzuwenden.
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BFH-Urteile vom 23.08.2017:
Bereits mit Beschluss vom 28.11.2016 hatte der Große Senat des BFH dem sog. Sanierungserlass des BMF eine klare Absage erteilt. Daraufhin hat das BMF mit Schreiben vom 27.04.2017 die Finanzämter angewiesen, den Sanierungserlass in Altfällen gleichwohl uneingeschränkt weiterhin anzuwenden. Der BFH hat nun entschieden, dass diese Anordnung des BMF ebenfalls unzulässig ist.
Sachverhalt
Die Klägerin, eine GmbH, erfasste in ihrem der Steuererklärung für 2004 zugrundeliegenden Jahresabschluss zum 31.12.2004 Forderungsverzichte seitens ihrer Gesellschafter als außerordentliche Erträge. Sie beantragte beim Finanzamt unter Hinweis auf den sog. Sanierungserlass den Erlass der auf den Verzichten beruhenden Körperschaftsteuer.
Das Finanzamt lehnte den Steuererlass ab, weil es an der nach dem sog. Sanierungserlass erforderlichen Sanierungsabsicht gefehlt habe. Die Verzichte seien in erster Linie durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst gewesen. Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg. Auf die Frage, ob im Streitfall die Voraussetzungen für einen Steuererlass vorlagen, ging der BFH mit der Begründung nicht ein, dass die Gerichte den sog. Sanierungserlass auch in Altfällen nicht anwenden dürften.
Hintergrund
Der Große Senat des BFH hat mit Beschluss vom 28.11.2016 entschieden, dass der sog. Sanierungserlass (BMF-Schreiben vom 27.03.2003, ergänzt durch BMF-Schreiben vom 22.12.2009) gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt. Im Hinblick auf die dadurch eingetretene Rechtsunsicherheit hat der Gesetzgeber rasch reagiert und die Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen für Zwecke der Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer mit dem Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen neu geregelt (§ 3a EStG, § 7b GewStG). Die neuen Vorschriften sind auf alle Fälle anzuwenden, in denen die Schulden ganz oder teilweise nach dem 08.02.2017 erlassen wurden. Sie treten allerdings erst in Kraft, wenn die Europäische Kommission durch Beschluss feststellt, dass die Regelung entweder keine staatliche Beihilfe oder eine mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfe darstellt. Für Steuerfälle, in denen der Schuldenerlass bis zum 08.02.2017 ausgesprochen wurde oder in denen bis zum Stichtag eine verbindliche Auskunft erteilt wurde, sieht das BMF-Schreiben vom 27.04.2017 vor, dass der Sanierungserlass aus Vertrauensschutzgründen weiterhin anwendbar ist.
Entscheidung
Mit Urteilen vom 23.08.2017 (I R 52/14 und X R 38/15) hat der BFH diese Vertrauensschutzregelung nun ebenfalls für nicht mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung vereinbar erklärt.
Eine allgemeine verwaltungsseitige Übergangsregelung in Form der Anordnung der schlichten Fortgeltung des Sanierungserlasses unterschiedslos für alle Altfälle sei ausgeschlossen. Eine solche typisierende Vertrauensschutzregelung, die nicht auf eine Unbilligkeit "nach Lage des Einzelfalls" abstellt, sei dem Gesetzgeber vorbehalten.
Der Verstoß des BMF-Schreibens vom 27.04.2017 gegen das Legalitätsprinzip ergebe sich des Weiteren daraus, dass das BMF-Schreiben parallel zu dem Gesetzgebungsverfahren ergangen ist, in dem die ertragsteuerliche Begünstigung von Sanierungsgewinnen auf eine gesetzliche Grundlage gestellt worden ist (§ 3a EStG, § 7b GewStG). Für "Altfälle", d.h. für jene Sanierungsgewinne, die auf einem Erlass von Schulden beruhen, der zeitlich bis zum 08.02.2017 vereinbart wurde, enthält das Gesetz keine Übergangsregelungen. Ursprünglich hatte der Bundesrat zwar noch eine rückwirkende Anwendung der Neuregelungen vorgeschlagen. Auf eine solche Rückwirkung ist aber in der endgültigen Gesetzesfassung unter Hinweis auf das BMF-Schreiben vom 27.04.2017 verzichtet worden. Nach Ansicht des BFH stehe es der Finanzverwaltung aber nicht zu, die bisherige Verwaltungspraxis unter Berufung auf Vertrauensschutzgesichtspunkte im Billigkeitsweg fortzusetzen, wenn der Gesetzgeber die Altfälle nicht durch eine Übergangsregelung mit in die Neuregelung einbezieht. Für ein solches Verwaltungshandeln wäre die Schaffung einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage erforderlich gewesen.
Betroffene Norm
Sanierungserlass vom 27.03.2003 (Ergänzung vom 22.12.2009)
Streitjahre 2004 und 2006
Vorinstanzen
Finanzgericht Münster, Urteil vom 22.05.2013, 10 K 2866/12 K (zu I R 52/14)
Sächsisches Finanzgericht, Urteil vom 15.07.2015, 6 K 1145/12 (zu X R 38/15)
Fundstellen
BMF, Schreiben vom 29.03.2018, Nichtanwendungserlass
BFH, Urteil vom 23.08.2017, I R 52/14, BVerfG-anhängig: 2 BvR 2637/17
BFH, Urteil vom 23.08.2017, X R 38/15
Pressemitteilung Nr. 64 vom 25.10.2017
Weitere Fundstellen
OFD Frankfurt a.M., Verfügung vom 24.01.2018, S 2140 A-004-St 213
BMF, Schreiben vom 27.04.2017, BStBl I 2017, S. 741, siehe Deloitte Tax-News
Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen vom 27.06.2017, BGBl I 2017, S. 2074, BStBl I 2017, S. 1202
Großer Senat des BFH, Beschluss des vom 28.11.2016, GrS 1/15, BStBl II 2017, S. 393, siehe Deloitte Tax-News
BMF, Schreiben vom 27.03.2003 (sog. Sanierungserlass), BStBl I 2003, S. 240, später ergänzt durch BMF-Schreiben vom 22.12.2009, BStBl I 2010, S. 18