BFH: Eindeutigkeitsgebot bei Pensionszusagen
Pensionszusagen sind auch nach Einfügung des sog. Eindeutigkeitsgebots anhand der allgemein geltenden Auslegungsregeln auszulegen, soweit ihr Inhalt nicht bereits klar und eindeutig ist. Eine Pensionsrückstellung ist steuerrechtlich anzuerkennen, wenn sich eine Abfindungsklausel dahin auslegen lässt, dass die für die Berechnung der Abfindungshöhe anzuwendende sog. Sterbetafel trotz fehlender ausdrücklicher Benennung eindeutig bestimmt ist. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn in den Berechnungsgrundlagen auf die anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik hingewiesen wird. Denn damit sind die Heubeck-Richttafeln als anzuwendende Sterbetafel eindeutig festgelegt worden.
Sachverhalte
XI R 47/17
Eine GmbH erteilte ihren Gesellschafter-Geschäftsführern Pensionszusagen, die im Hinblick auf die Zahlung der Versorgungsbezüge eine Abfindungsklausel enthielten. In der Abfindungsklausel waren Angaben zum Rechnungszinsfuß und ein Hinweis auf die anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik als Berechnungsgrundlage, aber keine Angaben zu den Sterbetafeln enthalten. Das Finanzamt vertrat – unter Hinweis auf das BMF-Schreiben vom 06.04.2005 – die Ansicht, dass das Schriftformerfordernis des § 6a Abs. 1 Nr. 3 EStG nicht erfüllt und die bilanzierte Pensionsrückstellung aufzulösen sei. Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg.
XI R 48/17
Eine GmbH sagte ihrem Gesellschafter-Geschäftsführer eine betriebliche Altersversorgung zu. In der hierzu vereinbarten Zusage heißt es: "Die GmbH ist berechtigt, laufende Pensionen ganz oder teilweise durch eine Kapitalzahlung abzufinden. Die Kapitalabfindung ist unter Zugrundelegung der im Zeitpunkt der Abfindung gültigen Rechnungsgrundlagen für betriebliche Pensionsverpflichtungen zu berechnen. Gilt für diesen Pensionsvertrag im Zeitpunkt einer Abfindung das Betriebsrentengesetz, so sind die im § 3 Betriebsrentengesetz genannten Abfindungsverbote zu beachten." Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass die bilanzierte Pensionsrückstellung nicht das Schriftform- und Eindeutigkeitsgebot des § 6a Abs. 1 Nr. 3 EStG erfülle und gewinnwirksam aufzulösen sei. Das FG gab der hiergegen erhobenen Klage statt.
Entscheidungen
Gesetzliche Grundlagen
Nach § 6a Abs. 1 Nr. 2 EStG darf eine Pensionsrückstellung u.a. nur dann gebildet werden, wenn und soweit die Pensionszusage keinen Vorbehalt enthält, dass die Pensionsanwartschaft oder die Pensionsleistung gemindert oder entzogen werden kann, oder ein solcher Vorbehalt sich nur auf Tatbestände erstreckt, bei deren Vorliegen nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen unter Beachtung billigen Ermessens eine Minderung oder ein Entzug der Pensionsanwartschaft oder der Pensionsleistung zulässig ist (schädlicher Vorbehalt). Zudem darf eine Pensionsrückstellung nach § 6a Abs. 1 Nr. 3 EStG nur gebildet werden, wenn und soweit die Pensionszusage schriftlich erteilt ist (sog. Schriftformgebot); die Pensionszusage muss dabei eindeutige Angaben zu Art, Form, Voraussetzungen und Höhe der in Aussicht gestellten künftigen Leistungen enthalten (sog. Eindeutigkeitsgebot).
zu XI R 47/17
Kein schädlicher Vorbehalt
Die im Streitfall in den Pensionszusagen enthaltene Abfindungsklausel sieht nach Auffassung des BFH ausdrücklich eine Abfindung von Anwartschaften zum Barwert der künftigen Pensionsleistungen (d.h. dem vollen, unquotierten Anspruch zum Zeitpunkt der Abfindung) als "Kapitalabfindung in Höhe des Barwertes der Rentenverpflichtung" vor und begründet daher keinen schädlichen Vorbehalt i.S. des § 6a Abs.1 Nr. 2 EStG (vgl. BFH-Urteil vom 28.04.2010, I R 78/08 und BMF-Schreiben vom 06.04.2005, Tz. 2).
Voraussetzung für die steuerrechtliche Anerkennung einer Pensionsrückstellung
Für die steuerrechtliche Anerkennung einer Pensionsrückstellung sind auch Angaben für die versicherungsmathematische Ermittlung der Höhe der Versorgungsverpflichtung (z.B. anzuwendender Rechnungszinsfuß oder anzuwendende Ausscheidewahrscheinlichkeiten als biometrische Einflussgrößen) schriftlich festzulegen, sofern es zur eindeutigen Ermittlung der in Aussicht gestellten Leistungen erforderlich ist (vgl. BMF-Schreiben vom 28.08.2001). Diese Regelungen gelten entsprechend für in Pensionszusagen enthaltene Abfindungsklauseln (vgl. BMF-Schreiben vom 06.04.2005, Tz. 3). Dabei lässt der in § 6a Abs. 1 Nr. 3 Hs. 2 EStG verwendete Begriff "eindeutige Angabe(n)" offen, ob sich alle Berechnungsparameter für die Höhe der Abfindung (im Streitfall: die anzuwendende Sterbetafel) wörtlich aus der Pensionszusage ergeben müssen oder ob es ausreicht, dass nach einer Auslegung des Wortlauts der Zusage keine Zweifel an diesen Maßgaben verbleiben.
Kein Verstoß gegen das Eindeutigkeitsgebot
Pensionszusagen sind nach Ansicht des BFH auch nach Einfügung des Eindeutigkeitsgebots anhand der allgemein geltenden Auslegungsregeln auszulegen, soweit ihr Inhalt nicht bereits klar und eindeutig feststeht. Erforderlich sei, dass sich der Inhalt der Zusage zweifelsfrei feststellen lässt, wobei allenfalls bei der Auslegung die Wortlautgrenze von ausdrücklich angeführten Regelungsinhalten zu beachten ist (vgl. BFH-Urteile vom 12.10.2010, I R 17/10 und 18/10). Nach diesen Grundsätzen könne der Abfindungsklausel im Wege der Auslegung aufgrund des in den Berechnungsgrundlagen enthaltenen Hinweises auf „anerkannte Regeln der Versicherungsmathematik“ die eindeutige Festlegung der Heubeck-Richttafeln als anzuwendende Sterbetafel zur Ermittlung der Abfindungshöhe entnommen werden. Die für die Berechnung der Abfindungshöhe anzuwendende Sterbetafel ist danach trotz fehlender ausdrücklicher Benennung eindeutig bestimmt und die Pensionsrückstellung steuerrechtlich anzuerkennen, so der BFH.
zu XI R 48/17
Inhalt der Abfindungsklausel
Im Streitfall räumt die Versorgungszusage der GmbH das Recht ein, Ansprüche des Versorgungsberechtigten in bestimmten Situationen "ganz oder teilweise durch eine Kapitalzahlung abzufinden", wenn nicht ein Abfindungsverbot nach Maßgabe des sog. Betriebsrentengesetzes (BetrAVG) besteht. Aus dieser Klausel lässt sich nach Ansicht des BFH nicht ableiten, dass zur Berechnung eines Abfindungsbetrages auf die klar definierten Vorgaben des BetrAVG zurückzugreifen ist.
Auslegung des Wortlauts der Versorgungszusage
Auch wenn es um die Frage geht, ob ein schädlicher Vorbehalt i.S. des § 6a Abs. 1 Nr. 2 EStG vorliegt, sind Pensionszusagen nach Auffassung des BFH nach Einfügung des Eindeutigkeitsgebots anhand der allgemein geltenden Auslegungsregeln auszulegen, soweit ihr Inhalt nicht bereits klar und eindeutig feststeht. Im Streitfall lasse sich der Wortlaut der Versorgungszusage nicht dahin auslegen, dass ein Verweis auf die barwertbezogenen Berechnungs-Maßgaben des BetrAVG enthalten ist. Es kämen vielmehr auch andere Rechnungsgrundlagen in Betracht. Damit bestehe eine Unklarheit der Abfindungsoption, die schon die Tatbestandsvoraussetzung des § 6a Abs. 1 Nr. 2 EStG betrifft.
Vorgaben zum Ansatz einer Pensionsrückstellung nicht erfüllt
Die in der Pensionszusage enthaltene Abfindungsklausel lasse nicht erkennen, dass kein schädlicher Vorbehalt vorliegt bzw. (umgekehrt) gewährleistet ist, dass der mögliche Abfindungsbetrag mindestens mit dem Wert des gesamten Versorgungsversprechens zum Abfindungszeitpunkt entspricht. Die maßgebenden gesetzlichen (formalrechtlichen) Vorgaben zum Ansatz einer Pensionsrückstellung zu der Versorgungszusage sind nach Auffassung des BFH damit nicht erfüllt.
Betroffene Norm
§ 6a Abs. 1 Nr. 2 und 3 EStG
Streitjahre 2007-2011
Anmerkungen
Praxishinweis
In Fällen, in denen in der Abfindungsvereinbarung bei den Berechnungsgrundlagen ein Hinweis auf „anerkannte Regeln der Versicherungsmathematik“ enthalten ist, ist nach dem Beschluss des BFH vom 10.07.2019 (XI R 47/17) die Pensionsrückstellung insoweit also steuerrechtlich anzuerkennen. Denn diese Regelung lässt den Schluss zu, dass damit die im Abfindungszeitpunkt aktuell geltende Richttafel anzuwenden ist. Aus dem BFH-Urteil vom 23.07.2019 (XI R 48/17) sollte für die Praxis die Konsequenz gezogen werden, in Abfindungsklauseln z. B. einen Bezug auf eine konkret anzuwendende Berechnungsgrundlage mit Benennung der dazugehörigen Gesetzesgrundlage vorzunehmen, um eine steuerliche Anerkennung sicherzustellen.
Offengelassene Fragestellung
In beiden Verfahren konnte der BFH offenlassen, ob das Eindeutigkeitsgebot des § 6a Abs. 1 Nr. 3 EStG entgegen des BMF-Schreibens vom 06.04.2005 einschränkend dahin auszulegen ist, dass die Vorschrift nicht die Festlegung der für die Berechnung der Höhe der Kapitalabfindung maßgeblichen Sterbetafel in der Abfindungsklausel verlangt.
Vorinstanzen
Finanzgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.02.2017, 1 K 68/14, EFG 2017, S. 905 (zu XI R 47/17), siehe Deloitte Tax-News
Finanzgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.02.2017, 1 K 141/15, EFG 2017, S. 908 (zu XI R 48/17), siehe Deloitte Tax-News
Fundstellen
BFH, Beschluss vom 10.07.2019, XI R 47/17, lt. BMF zur Veröffentlichung im BStBl. II vorgesehen
BFH, Urteil vom 23.07.2019, XI R 48/17, lt. BMF zur Veröffentlichung im BStBl. II vorgesehen
Weitere Fundstellen
BFH, Urteile vom 12.10.2010, I R 17/10 und 18/10, BFH/NV 2011, S. 452
BFH, Urteil vom 28.04.2010, I R 78/08, BStBl II 2013, S. 41, siehe Deloitte Tax-News
BMF, Schreiben vom 06.04.2005, IV B 2-S 2176-10/05, BStBl I 2005, S. 619
BMF, Schreiben vom 28.08.2001, IV A 6-S 2176-27/01, BStBl I 2001, S. 594
