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03.11.2022
Unternehmensteuer

BFH: Erweiterte Kürzung des Gewerbeertrags bei Bagatellbeteiligung

Die Überlassung relativ unwesentlichen Grundbesitzes an eine Genossin, die den Grundbesitz für ihren Gewerbebetrieb nutzt, steht nach § 9 Nr. 1 S. 5 Nr. 1 GewStG auch dann der erweiterten gewerbesteuerlichen Grundstückskürzung auf Ebene der Genossenschaft entgegen, wenn die Genossin nur geringfügig an der Genossenschaft beteiligt ist und der von ihrem Betrieb erzielte Gewerbeertrag den Freibetrag des § 11 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 GewStG nicht erreicht.

Sachverhalt

Eine Genossenschaft (Klägerin) war in den Jahren 2014 bis 2016 ausschließlich mit der Vermietung von Grundstücken zu Wohnzwecken sowie gewerblichen Zwecken befasst. Seit dem Jahr 2012 mietete ein gewerblicher Mieter (B) Räume der Genossenschaft, in denen er sein Einzelhandelsgeschäft betrieb. Die Gewinne des B erreichten nicht den gewerbesteuerlichen Freibetrag des § 11 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 GewStG von 24.500 EUR.

Im Jahr 2014 wollte B von der Genossenschaft eine Wohnung mieten. Da die Genossenschaft entsprechend ihrer Satzung nur Wohnungen an Genossenschaftsmitglieder vermietete, erwarb B ein Geschäftsanteil an der Genossenschaft und die Genossenschaft überließ ihm ab dem Jahr 2015 eine Wohnung. Im Jahr 2016 betrug der Anteil des B an der Genossenschaft lediglich 0,0168% (sog. Zwergenanteil). Außer B waren keine weiteren gewerblichen Mieter als Genossen beteiligt. In den Jahren 2014 bis 2016 beantragte die Genossenschaft die erweiterte Grundstückskürzung i.S. des § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG.

Das FA lehnte den Antrag auf Gewährung der erweiterten Grundstückskürzung ab, da der an B vermietete Grundbesitz dem Geschäftsbetrieb des B diene und die Voraussetzungen des § 9 Nr. 1 S. 5 Nr. 1 EStG somit erfüllt seien. Der Zwergenanteil des B (Geschäftsanteil an der Genossenschaft) stehe der erweiterten Kürzung des Gewerbeertrags entgegen. Der dagegen erhobenen Klage gab das FG statt.

Entscheidung

Der BFH kommt entgegen der Auffassung des FG zu dem Ergebnis, dass die erweiterte Grundstückskürzung ausgeschlossen sei, da die Voraussetzungen des § 9 Nr. 1 S. 5 Nr. 1 GewStG erfüllt sind.

Gesetzliche Grundlage

Nach § 9 Nr. 1 S. 2 ff. GewStG können Gewerbesteuerpflichtige die sog. erweiterte Grundstückskürzung in Anspruch nehmen, wenn diese ausschließlich eigenen Grundbesitz oder neben eigenem Grundbesitz eigenes Kapitalvermögen verwalten und nutzen. Die Inanspruchnahme der erweiterten Kürzung ist nach § 9 Nr. 1 S. 5 Nr. 1 GewStG ausgeschlossen, wenn der Grundbesitz ganz oder zum Teil dem Gewerbebetrieb eines Gesellschafters oder Genossen dient.
Diese Ausnahme von der Begünstigung der erweiterten Grundstückskürzung nach § 9 Nr. 1 S. 5 Nr. 1 GewStG beruht darauf, dass der Gesetzgeber in der Überlassung von Grundbesitz an einen Gesellschafter oder Genossen zu dessen gewerblichen Zwecken keine reine Vermögensverwaltung mehr sieht, weil bei einer Nutzung des Grundstücks im Gewerbebetrieb des Gesellschafters oder Genossen ohne Zwischenschaltung eines weiteren Rechtsträgers die Grundstückserträge in den Gewerbeertrag einfließen und damit der Gewerbesteuer unterliegen würden (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 17.01.2006, VIII R 60/02).

Voraussetzungen des § 9 Nr. 1 S. 5 Nr. 1 GewStG liegen vor

Nach dem BFH scheitert im vorliegenden Streitfall die erweiterte Kürzung der Genossenschaft an dem Ausschlusstatbestand des § 9 Nr. 1 S. 5 Nr. 1 GewStG. Die Genossenschaft habe einen Teil ihres Grundbesitzes an eine ihrer Genossinnen (B) vermietet, den diese (B) für ihren Gewerbebetrieb nutzt.

Keine Bagatellgrenze

Im vorliegenden Streitfall stehe nach dem BFH der Versagung der erweiterten Kürzung nicht entgegen, dass die betragsmäßige Beteiligung und der Stimmenanteil des B äußerst geringfügig sind. Denn es sei ohne Bedeutung, in welchem Umfang der Gesellschafter oder Genosse an der Grundstücksgesellschaft beteiligt ist (vgl. BFH-Urteil vom 07.08.2008, IV R 36/07 betreffend am Vermögen und Gewinn nicht beteiligten persönlich haftenden Gesellschafter und vom 07.04.2005, IV R 34/03 betreffend mit 5% beteiligte Kommanditistin).

Dem Gesetzgeber sei bekannt gewesen, dass von der Versagung der erweiterten Kürzung auch Gesellschaften und Genossenschaften betroffen sind, an denen der das Grundstück nutzende Unternehmer nur einen geringen Anteil hält und/oder die einem Gesellschafter oder Genossen für dessen Gewerbebetrieb nur einen geringen Teil ihres Grundbesitzes überlassen. Dies habe der Gesetzgeber – offenbar zur Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten – in Kauf genommen.

Bagatellgrenze auch verfassungsrechtlich nicht geboten

Eine Geringfügigkeitsgrenze sei im Hinblick auf die geringe Beteiligung und den geringen Einfluss des B auf die Genossenschaft auch nicht aufgrund des verfassungsrechtlich gewährleisteten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nach Art. 20 Abs. 3 GG geboten. Auch ein Zwergenanteil erfülle den Ausschlusstatbestand des § 9 Nr. 1 S. 5 GewStG. Etwaigen Auffassungen, eine Bagatellgrenze bei einer 1%-Beteiligung zu ziehen (vgl. BFH-Urteil vom 07.04.2005, IV R 34/03), folge der erkennende Senat nicht.

Größe des vermieteten Grundstücksteils nicht relevant

Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 9 Nr. 1 S. 5 Nr. 1 GewStG entfalle die erweiterte Kürzung insgesamt auch dann, wenn nur ein Teil des Grundbesitzes im Gewerbebetrieb des Gesellschafters genutzt wird. Der Gesetzgeber habe klar und eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass er dem Einwand, der Grundbesitz diene nur zum Teil dem Gewerbebetrieb eines Gesellschafters oder Genossen, keine Bedeutung beimessen wollte (vgl. BFH-Urteil vom 26.06.2007, IV R 9/05). Nach Auffassung des BFH bedeute dies zugleich, dass es auf die Größe des vermieteten Grundstückteils nicht ankommen kann, vielmehr ist „jede“ (auch noch so geringe) Nutzung des Grundbesitzes im Gesellschafterinteresse schädlich. Die erweiterte Kürzung wurde dementsprechend vom BFH auch versagt, wenn der Grundbesitz dem Gewerbebetrieb eines Gesellschafters nur für zwei Tage diente (vgl. BFH-Urteil vom 08.06.1978, I R 68/75).

Auch Nichterreichung des gewerbesteuerlichen Freibetrags ist unerheblich

Der BFH führt aus, dass im vorliegenden Streitfall von der Anwendung des § 9 Nr. 1 S. 5 GewStG auch nicht abzusehen ist, weil der von B erzielte Gewerbeertrag den Freibetrag des § 11 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 GewStG nicht erreiche.
§ 9 Nr. 1 S. 5 GewStG sei zwar im Wege der teleologischen Reduktion in der Weise einzuschränken, dass dem Grundstücksunternehmen die erweiterte Kürzung des Gewerbeertrags nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG auch dann zu gewähren ist, wenn das überlassene Grundstück dem Gewerbebetrieb eines Gesellschafters oder Genossen dient, der mit den gesamten (positiven wie negativen) Einkünften von der Gewerbesteuer befreit ist. Diese Ausnahme könne nach dem BFH aber nicht auf den vorliegenden Fall erstreckt werden, dass der mietende Gewerbebetrieb zwar nicht von der Gewerbesteuer befreit ist, aber einen Gewerbeertrag von weniger als 24.500 EUR erwirtschaftet und daher als Personenunternehmen keine Gewerbesteuer schuldet (§ 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 GewStG).

Eine derartige Ausnahme wäre dann von den zufällig schwankenden Gewinnen des mietenden Unternehmens abhängig und Änderungen der Gewerbesteuer-Messbescheide des mietenden Unternehmens würden zu kaum handhabbaren Folgeänderungen bei dem Grundstücksunternehmen führen.

Betroffene Normen

§ 9 Nr. 1 S. 5 Nr. 1 GewStG

Streitjahre 2014 bis 2016

Anmerkungen

Appell an den Gesetzgeber

Der BFH verweist in seinem Urteil darauf, dass die am Gesetzeswortlaut orientierte Rechtsprechung zur erweiterten Kürzung zu als unbillig empfundenen Ergebnissen führen kann. Dies gilt insbesondere im Streitfall, der durch die Überlassung relativ unwesentlichen Grundbesitzes an eine mit nur mit 0,0168% beteiligte Genossin geprägt ist. Die gewerbesteuerlichen Nachteile stehen in einem groben Missverhältnis zur wirtschaftlichen Bedeutung der Überlassung der Geschäftsräume an den Mieter B. Gleichwohl siehe der BFH keine rechtliche Grundlage für die vom FG angestellte Gesamtbetrachtung, wonach das Zusammenkommen mehrerer „Bagatellaspekte“ die Nichtanwendung des § 9 Nr. 1 S. 5 Nr. 1 GewStG rechtfertigt. Eine Abhilfe könnte letztlich nur durch den Gesetzgeber bewirkt werden.

Weitere BFH-Rechtsprechung zur erweiterten Grundstückskürzung

Das o.g. Urteil steht im Einklang mit der bisherigen BFH-Rechtsprechung auch zu anderen Ausschlusstatbeständen zur erweiterten Grundstückskürzung, bei welchen wiederum keine Geringfügigkeitsgrenze/ Bagatellgrenze gewährt wurde (siehe dazu beispielsweise die schädliche Mitvermietung von Betriebsvorrichtungen: BFH-Urteile vom 11.04.2019, III R 36/15 und vom 28.11.2019, III R 34/17 oder die ausschließliche Betreuung von Wohnungsbauten (nicht gemischt genutzte Gebäude): BFH-Urteil vom 15.04.2021, IV R 32/18).

Gesetzesänderungen im Rahmen des Fondsstandortgesetzes

Im Rahmen des Fondsstandortgesetzes vom 03.06.2021 (BGBl. 2021, S. 1498, siehe Deloitte Tax News) wurde § 9 Nr. 1 S. 3 und S. 4 neugefasst. Nach § 9 Nr. 1 S. 3 Buchst. c) GewStG sind nun auch sonstige Einnahmen begünstigungsunschädlich, wenn die Einnahmen aus einer unmittelbaren Vertragsbeziehung mit den Mietern des Grundbesitzes erzielt werden und die Einnahmen die Bagatellgrenze in Höhe von 5% der Einnahmen aus der Gebrauchsüberlassung des Grundbesitzes nicht übersteigen. Bedeutung erlangt diese Ausnahme auch im Falle der Mitvermietung von Betriebsvorrichtungen. Hier wurde also ausdrücklich eine Bagatellgrenze ins Gesetz aufgenommen.

Vorinstanz

Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 22.04.2021, 9 K 2652/19 G, F

Fundstelle

BFH, Urteil vom 29.06.2022, III R 19/21, BStBl II 2023, S. 84

BFH, Pressemitteilungen 048/22 vom 27.10.2022

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 17.01.2006, VIII R 60/02, BStBl. II 2006, S. 434

BFH, Urteil vom 07.08.2008, IV R 36/07, BStBl. II 2010, S. 988

BFH, Urteil vom 07.04.2005, IV R 34/03, BStBl. II 2005, S. 576

BFH, Urteil vom 26.06.2007, IV R 9/05, BStBl. II 2007, S. 893

BFH, Urteil vom 08.06.1978, I R 68/75, BStBl. II 1978, S. 505

BFH, Urteile vom 11.04.2019, III R 36/15, BStBl. II 2019, S. 705, siehe Deloitte Tax News

BFH, Urteil vom 28.11.2019, III R 34/17, siehe Deloitte Tax News 

BFH, Urteil vom 15.04.2021, IV R 32/18, BStBl. II 2021, S. 624, siehe Deloitte Tax News

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