BFH: Gleichartige Tätigkeiten im Sinne der Spartenrechnung
Verkehr- und Versorgungsbetriebe sind nicht bereits für sich genommen gleichartig im Sinne der sog. Spartenrechnung. Bei einer nachträglichen Begründung einer Organschaft zwischen einer Eigengesellschaft (GmbH) einer Stadt mit einer Versorgungsgesellschaft stehen die Verlustvorträge der Verkehrsgesellschaft (einer weiteren Organgesellschaft der GmbH) nicht für die Verrechnung mit Gewinnen der Versorgungsgesellschaft zur Verfügung.
Sachverhalt
Die Klägerin, eine GmbH, deren Alleingesellschafter eine Stadt ist, hält 95% der Anteile an der A-GmbH, deren Unternehmensgegenstand die Beförderung von Personen und Gegenständen mit Kraftfahrzeugen und Bahnen war. Seit 2001 bestand eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft zwischen der GmbH und der A-GmbH. Zudem war die GmbH mit über 50% an der im Bereich der Versorgung mit Elektrizität, Gas, Wasser und Fernwärme tätigen B-AG beteiligt. Ab 2010 begründete die GmbH auch eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft mit der B-AG. In den Streitjahren 2010 und 2011 erzielte die GmbH u.a. Erlöse aus der Vermietung von gepachteten und eigenen Immobilien.
Nach der Einführung der "Spartenrechnung" durch das Jahressteuergesetz 2009 vom 19.12.2008 (BGBl. I 2008, S. 2794) bildete die GmbH zum Beginn des Jahres 2009 für die Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte die Sparte "Verkehr und Versorgung" (Sparte 1) sowie die Sparte "Immobilienwirtschaft" (Sparte 2). Der Sparte 1 waren aus Sicht der GmbH das ihr im Rahmen der Organschaft zugerechnete Einkommen der A-GmbH sowie die von der B-AG bezogenen Dividenden zuzuordnen.
Die Außenprüfung war hingegen der Ansicht, dass im Jahr 2009 neben der „Immobilienwirtschaft“ (Sparte 2) nur die Sparte „Verkehr“ (Sparte 1) bestanden habe. Die Begründung der Organschaft im Jahr 2010 habe zur Bildung einer neuen Sparte „Verkehr und Versorgung“ (Sparte 3) geführt. Die Verlustvorträge aus der Sparte 1 seien einzufrieren und könnten erst dann aufleben, wenn wieder nur noch eine Sparte „Verkehr“ bestehe. Die hiergegen gerichtete Klage gab das FG überwiegend statt.
Entscheidung
Der BFH kommt – entgegen der Auffassung des FG – nun zu dem Ergebnis, dass die Begründung der Organschaft mit der B-AG im Jahr 2010 zu einer von der Sparte 1 des Jahres 2009 abweichenden, gesonderten Sparte führt, da keine im Sinne des § 8 Abs. 9 S. 3 Hs. 1 KStG gleichartigen Tätigkeiten vorliegen. Folglich beeinflusst der bis einschließlich des Jahres 2009 für die Tätigkeit der A-GmbH ergebende negative Gesamtbetrag der Einkünfte nicht die Ergebnisse der Streitjahre 2010 und 2011 aus der Tätigkeit der B-AG.
Gesetzliche Grundlagen
Grundlage der "Spartenrechnung" ist § 8 Abs. 9 KStG. Nach § 8 Abs. 9 S. 1 KStG sind bei Kapitalgesellschaften, bei denen § 8 Abs. 7 S. 1 Nr. 2 KStG zur Anwendung kommt, die einzelnen Tätigkeiten der Gesellschaft nach verschiedenen Sparten zuzuordnen:
- Dabei sind Tätigkeiten, die als Dauerverlustgeschäfte Ausfluss einer Tätigkeit sind, die bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu einem Hoheitsbetrieb gehören, jeweils gesonderten Sparten zuzuordnen (Nr. 1);
- Tätigkeiten, die nach § 4 Abs. 6 S. 1 KStG zusammenfassbar sind oder aus den übrigen, nicht in Nummer 1 bezeichneten Dauerverlustgeschäften stammen, jeweils gesonderten Sparten zuzuordnen, wobei zusammenfassbare Tätigkeiten jeweils eine einheitliche Sparte bilden (Nr. 2),
- alle übrigen Tätigkeiten sind einer einheitlichen Sparte zuzuordnen (Nr. 3).
Nach § 8 Abs. 7 S. 1 Nr. 2 KStG ist die Vorschrift anzuwenden bei Kapitalgesellschaften, bei denen die Mehrheit der Stimmrechte unmittelbar oder mittelbar auf juristische Personen des öffentlichen Rechts entfällt und nachweislich ausschließlich diese Gesellschafter die Verluste aus Dauerverlustgeschäften tragen. Ein Dauerverlustgeschäft liegt vor, soweit aus verkehrs-, umwelt-, sozial-, kultur-, bildungs- oder gesundheitspolitischen Gründen eine wirtschaftliche Betätigung ohne kostendeckendes Entgelt unterhalten wird oder das Geschäft Ausfluss einer Tätigkeit ist, die bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu einem Hoheitsbetrieb gehört.
Gemäß § 4 Abs. 6 S. 1 KStG, auf den § 8 Abs. 9 S. 1 Nr. 2 KStG Bezug nimmt, kann ein Betrieb gewerblicher Art mit einem oder mehreren anderen Betrieb gewerblicher Art zusammengefasst werden, wenn (1.) sie gleichartig sind, (2.) zwischen ihnen nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse objektiv eine enge wechselseitige technisch-wirtschaftliche Verflechtung von einigem Gewicht besteht oder (3.) Betriebe gewerblicher Art im Sinne des § 4 Abs. 3 KStG vorliegen. Zu den Betrieben gewerblicher Art nach § 4 Abs. 3 KStG gehören auch Betriebe, der der Versorgung der Bevölkerung mit Wasser, Gas, Elektrizität oder Wärme, dem öffentlichen Verkehr oder dem Hafenbetrieb dienen.
Ein negativer Gesamtbetrag der Einkünfte einer Sparte darf gemäß § 8 Abs. 9 S. 4 KStG nicht mit einem positiven Gesamtbetrag der Einkünfte einer anderen Sparte ausgeglichen oder nach Maßgabe des § 10d EStG abgezogen werden. Er mindert jedoch nach Maßgabe des § 10d EStG die positiven Gesamtbeträge der Einkünfte, die sich in dem unmittelbar vorangegangenen und in den folgenden Veranlagungszeiträumen für dieselbe Sparte ergeben (§ 8 Abs. 9 S. 5 KStG).
Keine gleichartigen Tätigkeiten
Nach dem BFH ist das der GmbH für 2010 und 2011 zuzurechnende Einkommen der B-AG nicht der Sparte 1 („Verkehr und Versorgung“) zuzuordnen, da es an der für § 8 Abs. 9 S. 3 Hs. 1 KStG erforderlichen Gleichartigkeit der hier vorliegenden Verkehrs- und Versorgungsbetriebe fehlt. Nach § 8 Abs. 9 S. 3 Hs. 1 KStG führt die Aufnahme einer weiteren, nicht gleichartigen Tätigkeit zu einer neuen, gesonderten Sparte. Verkehr- und Versorgungsbetriebe seien nicht bereits für sich genommen gleichartig im Sinne von § 8 Abs. 9 S. 3 Hs.1 KStG (vgl. BMF-Schreiben vom 12.11.2009, Rz. 4). Zwar habe der BFH vor Einführung des § 4 Abs. 6 S. 1 KStG durch das Jahressteuergesetz 2009 entschieden, dass Verkehrsbetriebe als auch Betriebe zur Versorgung der Bevölkerung mit Wasser, Gas, Elektrizität oder Wärme (Versorgungsbetriebe im engeren Sinne) Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu tragbaren Bedingungen erfüllen sollen und daher wegen gleichartiger Ziele vergleichbar sind (vgl. BFH-Urteil vom 08.11.1989, I R 187/85). Dies lasse sich jedoch nicht auf die nach § 4 Abs. 6 S. 1 KStG bestehende Rechtslage mit der dort vorgesehenen und ansonsten obsoleten Unterscheidung zwischen einer Zusammenfassung wegen Gleichartigkeit (§ 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 1 KStG) und einer Zusammenfassung von Versorgungs-, Verkehrs- und Hafenbetrieben (§ 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 3 i.V.m. § 4 Abs. 3 KStG) übertragen.
Der BFH führt weiter aus, dass Tätigkeiten „gleichartig“ sind, wenn die gewerblichen Betätigungen im gleichen Gewerbezweig ausgeübt werden (vgl. auch BFH-Urteile vom 11.02.1997, I R 161/94 und vom 04.09.2002, I R 42/01). Hierfür sei in erster Linie auf die gewerbliche Betätigung selbst und damit auf das äußere Erscheinungsbild der jeweiligen Tätigkeit abzustellen und nicht auf die damit verfolgten Ziele (vgl. BFH-Urteil vom 15.03.2023, I R 49/20). Darüber hinaus kann Gleichartigkeit auch vorliegen, wenn sich die gewerblichen Betätigungen zwar unterscheiden, aber einander ergänzen. So können wenn eine hinreichende funktionelle Verbindung besteht einander ergänzende gewerbliche Tätigkeiten im Falle unterschiedlicher Produktions- und Vertriebsstufen vorliegen. Die von der A-GmbH (Beförderung von Personen und Gegenständen mit Kraftfahrzeugen und Bahnen) und der B-AG (Tätigkeiten im Elektrizitäts- und Gasbereich, Wasser- und Fernwärmeversorgung sowie Aktivitäten im Beteiligungs- und Finanzbereich) ausgeübten Tätigkeiten werden weder im gleichen Gewerbezweig ausgeübt, noch sind Anhaltspunkte dafür dargetan oder sonst ersichtlich, dass die verschiedenen Tätigkeiten in einer funktionellen Verbindung stehen und sich ergänzen, so der BFH.
Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass die Gleichartigkeit im Sinne von § 8 Abs. 9 S. Hs. 1 KStG tätigkeitsbezogen auszulegen ist, so dass die Voraussetzungen von § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 2 und 3 KStG ohne Bedeutung sind.
Anmerkungen
Hintergrundinformationen zur Spartenrechnung
Mit dem Jahressteuergesetz 2009 vom 19.12.2008 (BGBl. I 2008, S. 2794) hat der Gesetzgeber für Kapitalgesellschaften in öffentlicher Hand eine sog. Spartenrechnung eingeführt. Für unterschiedliche Tätigkeiten der Kapitalgesellschaften sind verschiedenen Sparten zu bilden. Zwischen den Sparten können Gewinne und Verluste nicht ausgeglichen werden.
Folglich soll die Spartenrechnung verhindern, dass die Kapitalgesellschaft Verluste aus Dauerverlustgeschäften mit Gewinnen aus anderen Tätigkeiten verrechnen kann. Die Regelung soll auch einer Gleichstellung von Eigengesellschaften mit Betrieben gewerblicher Art dienen, bei denen ein Verlustausgleich nur bei zusammengefassten Tätigkeiten im Sinne des § 4 Abs. 6 KStG möglich ist.
Offengelassene Fragestellung
Der BFH führt im o.g. Urteil aus, dass im Streitfall offen bleiben kann, ob die von der B-AG ausgeübte Tätigkeit einer gesonderten Sparte zuzuordnen ist, während die durch die A-GmbH unverändert ausgeübte Tätigkeit auch in den Jahren 2010 und 2011 weiterhin in die Sparte 1 fällt. Die Finanzverwaltung hatte ja eine einheitliche Sparte 3 gebildet, in der die verlustbringende Tätigkeit der A-GmbH mit der gewinnbringenden Tätigkeit der B-AG saldiert wurde. Eine Änderung der angefochtenen Bescheide zulasten der GmbH komme wegen des Verböserungsverbots nicht in Betracht.
Abgetrenntes Verfahren (V R 2/24)
Mit Beschluss vom 14.03.2024 (V R 51/20) hat der BFH das Verfahren betreffend Körperschaftsteuer 2009, gesonderter Feststellung zur Körperschaftsteuer 2010 und 2011, gesonderter Feststellung der verbleibenden Verlustvorträge zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2009 und 31.12.2010 in den Fällen des § 8 Abs. 9 KStG, gesonderter Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2009 und 31.12.2010 sowie Zerlegung der Gewerbesteuermessbeträge 2010 und 2011 gemäß § 73 Abs. 1 S. 2 FGO vom oben dargestellten Verfahren (V R 51/20) abgetrennt. Das abgetrennte Verfahren wurde unter dem Aktenzeichen (V R 2/24) geführt. Mit Urteil vom 14.03.2024 (V R 2/24) stellte der BFH fest, dass bei Aufnahme einer weiteren Tätigkeit durch eine Kapitalgesellschaft, auf die § 8 Abs. 7 S. 1 Nr. 2 KStG Anwendung findet, erst mit der getrennten Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte und mit dem Unterlassen einer Verlustverrechnung oder eines Verlustabzugs (§ 8 Abs. 9 S. 2,4 und 5 KStG) eine Entscheidung darüber verbunden ist, ob eine neue, gesonderte Sparte im Sinne des § 8 Abs. 9 S. 3 Hs. 1 KStG vorliegt. Dies gelte entsprechend für den Veranlagungszeitraum, in dem eine Organschaft neu begründet wird. Aus verfahrensrechtlichen Gründen konnte der BFH in diesem Verfahren weitere Fragen im Zusammenhang mit der Spartenrechnung in Organschaftsfällen bei Aufnahme neuer Tätigkeiten offenlassen.
Betroffene Normen
§ 8 Abs. 9 KStG, § 4 Abs. 6 KStG
Streitjahre: 2010, 2011
Vorinstanz
Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 06.04.2020, 4 K 1112/18
Fundstelle
BFH, Urteil vom 14.03.2024, V R 51/20
Weitere Fundstellen
BMF, Schreiben vom 12.11.2009, BStBl. I 2009, S. 1303
BFH, Urteil vom 08.11.1989, I R 187/85, BStBl. II 1990, S. 242
BFH, Urteil vom 11.02.1997, I R 161/94, BFH/NV 1997, S. 625
BFH, Urteil vom 04.09.2002, I R 42/01, BFH/NV 2003, S. 511
BFH, Urteil vom 14.03.2024, V R 2/24