BFH: Keine Berücksichtigung des Sanierungserlasses vor Gericht
Das BMF-Schreiben vom 27.04.2017 zur Vertrauensschutzregelung zum Sanierungserlass hat keine Rechtsgrundlage. Daran ändert sich auch durch die Wiederholung der Verwaltungsauffassung im BMF-Schreiben vom 29.03.2018 nichts. Sie darf deshalb in einem gerichtlichen Verfahren nicht beachtet werden. Kein FG oder der BFH kann die Finanzverwaltung verpflichten, Steuerbeträge auf Sanierungsgewinne unter Anwendung des Sanierungserlasses zu erlassen. Die in den o.g. BMF-Schreiben vorgesehene Gewährung von Vertrauensschutz in Altfällen ist damit – vorbehaltlich einer für die Steuerpflichtigen günstigen Entscheidung des BVerfG in dem anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahren – gerichtlich nicht durchsetzbar.
Beschluss vom 16.04.2018, X B 13/18
Strittig war, ob die Vertrauensschutzregelung zum Sanierungserlass im BMF-Schreiben vom 27.04.2017 aufgrund der Selbstbindung der Verwaltung und der Grundsätze des Vertrauensschutzes weiter angewendet werden muss.
Der BFH weist darauf hin, dass diese Frage bereits durch die Rechtsprechung mehrerer Senate des BFH dahingehend geklärt sei, dass das genannte BMF-Schreiben keine Rechtsgrundlage habe und daher im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens nicht beachtet werden dürfe (BFH-Urteile vom 23.08.2017, X R 38/15 und I R 52/14). Daran ändere auch die Wiederholung der Verwaltungsauffassung im BMF-Schreiben vom 29.03.2018 nichts.
Beschluss vom 08.05.2018, VIII B 124/17
Zu klären war die Frage, ob nach Ergehen des Beschlusses des Großen Senats des BFH vom 28.11.2016, GrS 1/15 in einem finanzgerichtlichen Verfahren überprüft werden kann, ob die Finanzverwaltung in einer Erlassentscheidung die Steuer für einen vor dem 09.02.2017 entstandenen Sanierungsgewinn nach den Vorgaben des sog. Sanierungserlasses (BMF-Schreiben vom 27.03.2003) in zutreffender Höhe erlassen hat.
Der BFH verweist auf die gefestigte Rechtsprechung, wonach für einen Sanierungsgewinn, der dadurch entstanden ist, dass die Schulden vor dem 09.02.2017 erlassen worden sind, weder eine Einkommensteuerbefreiung dieses Sanierungsgewinns nach § 3a EStG n.F. noch eine Billigkeitsmaßnahme nach den BMF-Schreiben (vom 27.03.2003 oder vom 27.04.2017) in Betracht kommt. Der Große Senat des BFH hat in seinem Beschluss vom 28.11.2016, GrS 1/15 und der I. und X. Senat haben in den Urteilen vom 23.08.2017 I R 52/14 und X R 38/15 entschieden, dass die genannten BMF-Schreiben gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstoßen und von den Finanzgerichten nicht angewendet werden dürfen. Eine Übergangsregelung für Altfälle vor Inkrafttreten des § 3a EStG n.F. hätte nur durch den Gesetzgeber getroffen werden können, was aber nicht geschehen ist. Die Finanzverwaltung wendet diese Entscheidungen indes nicht an (BMF-Schreiben vom 29.03.2018). Ihrer Sicht nach ist für Schulderlasse bis (einschließlich) zum 08.02.2017 aus Vertrauensschutzgründen weiterhin nach dem Sanierungserlass zu verfahren.
Dementsprechend sieht der BFH es für geklärt an, dass kein FG oder der BFH die Finanzverwaltung in einem Verfahren gegen einen (Teil-)Erlassbescheid oder einen Ablehnungsbescheid verpflichten kann, Steuerbeträge auf Sanierungsgewinne unter Anwendung des Sanierungserlasses überhaupt oder in größerem Umfang als geschehen zu erlassen. Billigkeitsmaßnahmen in Sanierungsfällen können nur auf besondere, außerhalb des Sanierungserlasses liegende Gründe des Einzelfalls, insbesondere auf persönliche Billigkeitsgründe gestützt werden (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 28.11.2016, GrS 1/15).
Soweit die Finanzverwaltung wie im Streitfall einen teilweisen Erlass auf Grundlage des Sanierungserlasses wegen sachlicher Unbilligkeit gewährt hat, sei dieser wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung rechtswidrig. Die Aufhebung eines dennoch gewährten Erlasses durch ein FG zu Lasten des Klägers habe im finanzgerichtlichen Verfahren zwar wegen des sog. Verböserungsverbots zu unterbleiben. Nicht in Betracht komme aber auf Grundlage des Sanierungserlasses die Aufhebung eines Ablehnungsbescheids oder die Erhöhung eines Erlassbetrags durch ein FG oder den BFH. Ebensowenig könne in einem Revisionsverfahren die Frage entscheidungserheblich sein, ob das FG bei der Überprüfung einer Erlassentscheidung der Finanzverwaltung die Vorgaben des Sanierungserlasses zutreffend umgesetzt hat.
Vorinstanzen
Finanzgericht Münster vom 17.10.2017, 2 K 3663/16 AO (VIII B 124/17)
Sächsisches Finanzgericht, Urteil vom 18.12.2017, 6 K 383/15 (zu X B 13/18)
Fundstellen
BFH, Beschluss vom 08.05.2018, VIII B 124/17, nicht zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen
BFH, Beschluss vom 16.04.2018, X B 13/18, nicht zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen
Weitere Fundstellen
BFH, Urteile vom 23.08.2017, I R 52/14, BStBl II 2018, S. 232, BVerfG-anhängig: 2 BvR 2637/17 und X R 38/15, BStBl II 2018, S. 236, siehe Deloitte Tax-News
Großer Senat des BFH, Beschluss vom 28.11.2016, GrS 1/15, BStBl II 2017, S. 393, siehe Deloitte Tax-News
BMF, Schreiben vom 27.03.2003, BStBl I 2003, S. 240
BMF, Schreiben vom 27.04.2017, BStBl I 2017, S. 741, siehe Deloitte Tax-News
BMF, Schreiben vom 29.03.2018, BStBl I 2018, S. 588