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11.09.2024
Unternehmensteuer

BFH: Nachträgliche Betriebsausgaben des Betriebsübergebers nach unentgeltlicher Betriebsübertragung

Trotz des Grundsatzes des formellen Bilanzenzusammenhangs können im Anschluss an eine unentgeltliche Betriebsübertragung nachträgliche Betriebsausgaben des Betriebsübergebers vorliegen, wenn dieser Aufwendungen trägt, die im Zusammenhang mit seiner früheren Betriebsführung stehen.

Sachverhalt

Die Klägerin betrieb ein von ihrem Vater übernommenes gewerbliches Einzelunternehmen. Im Jahr 2004 übertrug die Klägerin das Unternehmen mit sämtlichen Aktiva und Passiva an den Vater unentgeltlich zurück. Die Klägerin wurde wegen im Zeitraum ihrer Betriebsinhaberschaft nicht abgeführter Beiträge zur Urlaubskasse zur Nachzahlung verurteilt. Die Nachzahlungsverpflichtungen gegenüber der Urlaubskasse fanden allerdings in den Bilanzen der Klägerin keine Berücksichtigung.

Die Klägerin leistete aufgrund der gegen sie ergangenen Urteile Zahlungen an die Urlaubskasse in den Streitjahren 2014, 2015 und 2016. In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre erklärte die Klägerin nachträgliche Betriebsausgaben (also negative gewerbliche Einkünfte). Das Finanzamt erkannte die geltend gemachten Verluste aus Gewerbebetrieb nicht an. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

Entscheidung

Der BFH kommt entgegen der Auffassung des FG zu dem Ergebnis, dass die von der Klägerin geleisteten Zahlungen an die Urlaubskasse nachträgliche Betriebsausgaben sind und folglich negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus ihrer früheren Tätigkeit als Einzelunternehmerin nach § 24 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG vorliegen.

Grundlagen zur unentgeltlichen Betriebsübergabe und zu Bilanzierungsfehlern

Wird ein Betrieb im Ganzen unentgeltlich auf eine andere Person übertragen, ist weder eine Betriebsveräußerung noch eine Betriebsaufgabe gegeben (vgl. BFH-Beschluss vom 05.07.1990, GrS 4-6/89). Bei der Ermittlung des Gewinns des bisherigen Betriebsinhabers (Betriebsübergeber) sind die Wirtschaftsgüter in diesem Fall mit den Werten anzusetzen, die sich nach den Vorschriften über die Gewinnermittlung ergeben (vgl. § 6 Abs. 3 S. 1 EStG). Der Rechtsnachfolger (Betriebsübernehmer) ist nach § 6 Abs. 3 S. 3 EStG verpflichtet die Buchwerte fortzuführen.

Bilanzierungsfehler sind gemäß § 4 Abs. 2 S. 1 EStG vorrangig in der Bilanz des Wirtschaftsjahres zu berichtigen, in dem es zu der fehlerhaften Bilanzierung gekommen ist. Liegt hierfür bereits ein Steuerbescheid vor, der aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht mehr geändert werden kann, ist der unrichtige Bilanzansatz nach dem Grundsatz des formellen Bilanzenzusammenhangs jedoch grundsätzlich in der ersten Schlussbilanz richtigzustellen, in der dies unter Beachtung der für den Eintritt der Bestandskraft und der Verjährung maßgeblichen Vorschriften möglich ist (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 17.06.2019, IV R 19/16).

Unentgeltliche Betriebsübergabe

Der BFH bestätigt, dass eine Betriebsübertragung unter Familienangehörigen auch dann unentgeltlich sein kann, wenn der Erwerber neben den Aktiva des Betriebs auch die vorhandenen Passiva des Betriebs (Betriebsschulden) übernimmt und das Eigenkapital im Zeitpunkt der Übertragung negativ ist (vgl. BFH-Urteil vom 24.08.1972, VIII R 36/66).

Grundsatz des formellen Zusammenhangs gilt im Fall der unentgeltlichen Betriebsübertragung auch für den Rechtsnachfolger

Weiterhin führt der BFH aus, dass bei der unentgeltlichen Übertragung eines Betriebs der Grundsatz des formellen Bilanzenzusammenhangs auch für den Rechtsnachfolger gilt. Unrichtige Bilanzansätze, die in die bereits bestandskräftige und nicht mehr änderbare letzte Veranlagung des Rechtsvorgängers mit Auswirkungen auf dessen Gewinn oder Verlust Eingang gefunden haben, sind danach in der Bilanz des Rechtsnachfolgers ergebniswirksam zu korrigieren (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 21.08.2012, I B 179/11).

Der BFH weist daraufhin, dass die Klägerin im Hinblick auf ihre bereits im Jahr 2003 erfolgte Verurteilung zur Beitragszahlung an die Urlaubskasse, Verbindlichkeiten oder zumindest Verbindlichkeitsrückstellungen hätte passivieren müssen (vgl. auch BFH-Urteil vom 16.12.2014, VIII R 45/12). Weiter sei der Vater V als Betriebsnachfolger zur Korrektur der unrichtigen Bilanzansätze der Klägerin verpflichtet gewesen.

Beitragsverbindlichkeiten gegenüber Urlaubskasse weiterhin Betriebsvermögen bei der Klägerin

Der BFH hebt hervor, dass die Klägerin über den Übertragungsstichtag hinaus die zivilrechtliche Schuldnerin der Verbindlichkeiten gegenüber der Urlaubskasse geblieben ist. Die Betriebsübertragung führe nicht zu einer schuldbefreienden Übernahme der Verbindlichkeiten durch den Betriebsübernehmer, da die Urlaubskasse einer solchen Schuldübernahme durch V nicht zustimmte. Daher blieb die Klägerin auch nach dem Übertragungsstichtag Schuldnerin der betrieblichen Beitragsverbindlichkeiten. Folglich waren die Beitragsverbindlichkeiten gegenüber der Urlaubskasse auch weiterhin Betriebsvermögen bei der Klägerin (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 07.06.2016, VIII R 32/13).

Zwar war der Vater V verpflichtet die Klägerin von den nicht schuldbefreiend übernommenen Verbindlichkeiten freizustellen. Zivilrechtlich sind die Verpflichtungen der Klägerin gegenüber der Urlaubskasse und die Verpflichtung des V gegenüber der Klägerin zur Freistellung jedoch nicht identisch, sondern voneinander zu unterscheiden. Die Verschiedenheit dieser Verbindlichkeiten ist sowohl bei der bilanzrechtlichen als auch bei der einkommensteuerrechtlichen Würdigung zu beachten, so der BFH.

Nachträgliche Betriebsausgaben der Klägerin

Der BFH zieht den Schluss, dass die von der Klägerin in den Streitjahren an die Urlaubskasse geleisteten Zahlungen nachträgliche Betriebsausgaben sind. Entgegen der Ansicht des FG stehe der Abzugsfähigkeit nicht die zur Zeit der Betriebsinhaberschaft der Klägerin gebotene, tatsächlich aber unterbliebene Passivierung von Verbindlichkeiten oder Verbindlichkeitsrückstellungen entgegen.

Gemäß § 24 Nr. 2 EStG gehören zu den Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 1 EStG auch positive und negative Einkünfte aus einer ehemaligen Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG (Einkünfte aus Gewerbebetrieb), und zwar auch dann, wenn sie dem Steuerpflichtigen als Rechtsnachfolger zufließen. Sofern Betriebsausgaben erst nach Aufgabe oder Veräußerung des Betriebs entstehen, gehören sie zu den nachträglichen Einkünften aus der früheren betrieblichen Tätigkeit im Sinne von § 24 Nr. 2 EStG (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 03.02.2016, X R 25/12). Auch im Anschluss an eine unentgeltliche Betriebsübertragung können nachträgliche Betriebsausgaben entstehen, wenn der Betriebsübergeber Aufwendungen trägt, die mit der früheren Betriebsführung im Zusammenhang stehen.

Die Zahlungen der Klägerin an die Urlaubskasse sind nachträgliche Betriebsausgaben im Sinne des § 24 Nr. 2 i.V.m. § 4 Abs. 4 EStG. Die Ausgaben wurden in den Streitjahren auch nicht durch nachträgliche Betriebseinnahmen in Gestalt von Zahlungen V ausgeglichen. Die Zahlungen dienten der Erfüllung der nach wie vor zum Betriebsvermögen der Klägerin gehörenden Beitragsschulden. Dass die Klägerin für die nachträglich gezahlten Beiträge weder Rückstellungen noch Verbindlichkeiten passiviert hat, ändert am unzweifelhaften betrieblichen Veranlassungszusammenhang nichts.

Betroffene Norm

§ 6 Abs. 3 EStG, § 24 Nr. 2 EStG

Streitjahre 2014-2016

Vorinstanz

Thüringer Finanzgericht, Urteil vom 23.11.2021, 3 K 308/18, EFG 2022, S. 329

Fundstelle

BFH, Urteil vom 06.05.2024, III R 7/22

Weitere Fundstellen

BFH, Beschluss vom 05.07.1990, GrS 4-6/89, BStBl. II 1990, S. 847

BFH, Urteil vom 17.06.2019, IV R 19/16, BStBl. II 2019, S. 614, siehe Deloitte Tax-News

BFH, Urteil vom 24.08.1972, VIII R 36/66, BStBl. II 1973, S. 111

BFH, Beschluss vom 21.08.2012, I B 179/11, BFH/NV 2013, S. 21

BFH, Urteil vom 07.06.2016, VIII R 32/13, BStBl. II 2016, S. 769

BFH, Urteil vom 03.02.2016, X R 25/12, BStBl. II 2016, S. 391

BFH, Urteil vom 16.12.2014, VIII R 45/12, BStBl. II 2015, S. 759, siehe Deloitte-Tax News

Ihr Ansprechpartner

Denise Käshammer
Senior Manager

dkaeshammer@deloitte.de
Tel.: +4989290368711

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