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04.03.2013
Unternehmensteuer

BFH: Rückstellung für die Verpflichtung zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen

Eine Rückstellung für die Verpflichtung zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen kann Finanzierungskosten (Zinsen) für die zur Aufbewahrung genutzten Räume auch dann enthalten, wenn die Anschaffung/Herstellung der Räume nicht unmittelbar (einzel-)finanziert worden ist, sondern der Aufbewahrungspflichtige seine gesamten liquiden Eigen- und Fremdmittel in einen Pool gegeben und hieraus sämtliche Aufwendungen seines Geschäftsbetriebs finanziert hat (sog. Poolfinanzierung).

Sachverhalt

Die Klägerin hatte in ihrem Jahresabschluss zum 31.12.2005 (Streitjahr), eine Rückstellung für die Verpflichtung zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen gebildet und hierbei auch Finanzierungskosten im Zusammenhang mit den für Zwecke der Aufbewahrung genutzten eigenen Räumen einbezogen. Der Betrag dieser Finanzierungsaufwendungen wurde auf Basis der durchschnittlichen Passivverzinsung und der Restbuchwerte für die jeweiligen Grundstücke und Gebäude (sog. Poolfinanzierung) ermittelt. Das Finanzamt lehnte die Berücksichtigung der Finanzierungsaufwendungen im Rahmen der – dem Grunde nach unstreitigen – Rückstellung ab, da diese nicht zu den notwendigen Gemeinkosten gehörten. Die hiergegen gerichtete Klage wies das FG ab.

Entscheidung

Entgegen der Ansicht der Vorinstanz finden auch diejenigen Zinsen, die als sog. Gemeinkosten der Pflicht der Klägerin, ihre Geschäftsunterlagen aufzubewahren, zuzuordnen sind, Eingang in die Rückstellungsbewertung.

Zu der zwischen den Beteiligten allein umstrittenen Höhe der Rückstellung ordnete § 253 Abs. 1 S. 2 HGB a.F. den Ansatz des Betrags an, der nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendig ist. Für Zwecke des steuerbilanziellen Ausweises ist seit dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 in § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG 1997 n.F./2002 geregelt, dass – so der Einleitungssatz – Rückstellungen höchstens insbesondere unter Berücksichtigung der folgenden Grundsätze und – so Buchst. b der sich anschließenden Aufzählung – Rückstellungen für Sachleistungsverpflichtungen mit den Einzelkosten und den angemessenen Teilen der notwendigen Gemeinkosten zu bewerten sind.

Die Vorinstanz hat hieraus abgeleitet, dass - was mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des BFH (BFH-Urteil vom 11.02.1988) vom Finanzamt nicht in Frage gestellt wird - in die steuerrechtliche Rückstellungsbewertung zwar Zinsen für Kredite eingehen, deren Valuten unmittelbar zur Finanzierung der Archivräume verwendet worden sind. Von diesen Einzelkosten (BFH-Urteil vom 11.02.1988) seien aber die nur im Wege einer Kostenschlüsselung (Schätzung) zuordenbaren Gemeinkosten zu trennen. Der BFH kann sich dem nicht anschließen. Er ist vielmehr der Auffassung, dass nicht unmittelbar der Aufbewahrungsverpflichtung zuzuordnende Zinsaufwendungen nach Maßgabe der folgenden Ausführungen zu den Gemeinkosten i.S. von § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. b EStG 2002 zu rechnen sind.

§ 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG 2002 regelt die Bewertung von Rückstellungen nicht abschließend, sondern durchbricht die nach dem Maßgeblichkeitsgrundsatz (§ 5 Abs. 1 S. 1 EStG 2002 i.V.m. § 8 Abs. 1 S. 1 KStG 2002) zu beachtende handelsrechtliche Bewertung (§ 253 Abs. 1 Satz 2 HGB a.F.) nur dann, wenn die steuerrechtlichen Sonderbestimmungen des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. a bis e EStG 2002 dazu führen, dass der handelsrechtliche Wertansatz (Höchstwert) unterschritten wird.

Nach herrschender Meinung ist der handelsrechtliche Bewertungsmaßstab des "nach vernünftiger kaufmännischer Bewertung notwendigen Betrags" (§ 253 Abs. 1 S. 2 HGB a.F.) nicht darauf gerichtet, die Rückstellungsbewertung auf die durch die Verbindlichkeit verursachten variablen Kosten zu beschränken. Bewertungsziel ist vielmehr die Bestimmung aller für die Erfüllung der Verbindlichkeit aufzuwendenden Kosten; diese sog. Vollkosten umfassen nicht nur die Einzelkosten, sondern auch die – nur im Wege einer Kostenschlüsselung (Schätzung) den einzelnen Kostenträgern (Leistungseinheiten) zuzuordnenden – variablen und fixen Gemeinkosten. Ihre Passivierung mit dem nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendigen Betrag bringt zum Ausdruck, dass der Kaufmann willkürfrei zu bewerten hat, d.h. den vernünftigerweise zur Bestimmung der Vollkosten bestehenden Schätzrahmen weder überschreiten noch – unter Verletzung des Vorsichtsprinzips sowie des Gebots eines vollständigen Schuldenausweises (§ 252 Abs. 1 Nr. 4, § 246 Abs. 1 S. 1 HGB a.F.) – unterschreiten darf. Demnach sind die handelsrechtlichen Wahlrechte zur Einbeziehung bestimmter Gemeinkosten in die Herstellungskosten von Vermögensgegenständen auf die Bewertung von Rückstellungen nicht übertragbar und z.B. auch anteilige Material-, Fertigungs- und Verwaltungskosten, soweit es sich nicht lediglich um kalkulatorische Kostenbestandteile handelt, auszuweisen.

Jedenfalls vor Inkrafttreten des § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG 1997 n.F. waren nicht nur Zinsaufwendungen im Zusammenhang mit Krediten, die unmittelbar zur Anschaffung oder Herstellung von für Archivierungszwecke genutzten Gebäuden verwendet wurden, als Einzelkosten bei der auch für die Steuerbilanz maßgeblichen handelsrechtlichen Rückstellungsbewertung (betreffend die Pflicht zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen) zu berücksichtigen. Gleiches war nach dem von § 253 Abs. 1 S. 2 HGB a.F. geforderten Vollkostenansatz auch für Zinsaufwendungen anzunehmen, die der gesetzlichen Aufbewahrungsverpflichtung nur mittelbar im Wege der Kostenschlüsselung zugerechnet werden konnten. Voraussetzung war allerdings auch hier, dass diese Zuordnung auf einer kaufmännisch vernünftigen, d.h. angemessenen und verursachungsgerechten Schlüsselung der Finanzierungskosten (Gemeinkosten) beruhte. Es ist hierbei – ebenso wie im Rahmen von § 253 Abs. 1 S. 2 HGB i.d.F. des BilMoG – im Grundsatz nicht zu beanstanden, wenn angesichts dessen, dass im Rahmen einer sog. Poolfinanzierung die Fremd- und Eigenmittel untrennbar vermischt werden und damit die Kreditmittel nicht einer bestimmten Ausgabe konkret (unmittelbar) zuordenbar sind, der Zinsaufwand nach der Fremdkapitalquote des Unternehmens den für Archivierungszwecke genutzten Gebäude und Gebäudeteilen zugerechnet wird. Die hierbei getroffene Annahme einer kongruenten Finanzierung der Aktiva (sog. Gleichverteilungshypothese) entspricht gängiger betriebswirtschaftlicher Sicht. Sie ist demgemäß – im Ausgangspunkt – auch für die Rückstellungsbewertung im Zusammenhang mit der Finanzierung von Archivräumen als verursachungsgerechter Aufteilungsmaßstab anzusehen.

Betroffene Norm
§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. b EStG 2002; HGB i.d.F. vor BilMoG § 249 Abs. 1 S. 1, § 253 Abs. 1 S. 2, § 255 Abs. 2 S. 3; § 253 Abs. 1 S. 2 HGB i.d.F. des BilMoG
Streitjahr 2005
 

Anmerkung
Mit Schreiben vom 31.01.2014 hat sich das Bayerische Landesamt für Steuern zur Anwendung der Grundsätze dieses Urteils geäußert. Die Grundsätze dieses Urteils seien auch bei anderen Steuerpflichtigen als im Urteilsfall (Kreditinstitut) anwendbar. Die Finanzierungskosten könnten grundsätzlich im ersten noch nicht bestandskräftigen Veranlagungszeitraum berücksichtigt werden. Die folgenden Veranlagungszeiträume wären dann wegen des formellen Bilanzzusammenhanges gem. § 185 Abs. 1 Nr. 2 AO (rückwirkendes Ereignis) zu ändern.
Bayerisches Landesamt für Steuern, Schreiben vom 31.01.2014, S 2175.2.120/4 St32, siehe Deloitte Tax-News

Vorinstanz
Finanzgericht Münster, Urteil vom 15.06.2011, 9 K 501/08 K, EFG 2011, S. 2137, siehe Deloitte Tax News

Fundstelle
BFH, Urteil vom 11.10.2012, I R 66/11

Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 11.02.1988, IV R 191/85, BStBl II 1988, S. 661

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