BFH: Solidaritätszuschlag bis 2007 verfassungsgemäß
Die Erhebung des Solidaritätszuschlags zur Einkommen- und Körperschaftsteuer war bis zum Jahr 2007 verfassungsgemäß. Auch nach einer Laufzeit von 13 Jahren dient er noch zur Deckung des besonderen Finanzbedarfs des Bundes aus den Kosten der Wiederherstellung der deutschen Einheit. Zu einem dauerhaften Instrument der Steuerumverteilung dürfe der Solidaritätszuschlag allerdings nicht werden.
Sachverhalt
Das Finanzamt setzte gegenüber der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GmbH, den Solidaritätszuschlag für 2007 fest. Einspruch und Klage, mit denen die Klägerin geltend machte, die Erhebung des Solidaritätszuschlags sei verfassungswidrig, blieben ohne Erfolg.
Entscheidung
Das FG hat die Festsetzung des Solidaritätszuschlags für das Streitjahr 2007 zutreffend als rechtmäßig angesehen. Der nach § 1 SolZG erhobene Solidaritätszuschlag ist gemessen an dem mit seiner Einführung bezweckten Ziel, Einnahmen des Bundes zur Abdeckung des sich aus der Wiedervereinigung ergebenden Haushaltsmehrbedarfs zu schaffen, geeignet und erforderlich. Das SolZG in der für den Veranlagungszeitraum 2007 geltenden Fassung ist nicht verfassungswidrig. Eine Anrufung des BVerfG ist nicht geboten.
Der Solidaritätszuschlag wird zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer als Ergänzungsabgabe erhoben (§ 1 SolZG). Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der gegenüber der Klägerin festgesetzte Solidaritätszuschlag für 2007 den Bestimmungen des SolZG entspricht. Der Solidaritätszuschlag für die Veranlagungszeiträume 1991 und 1992 ist als (verfassungsgemäße) Steuer angesehen worden (vgl. BFH-Urteil vom 28.02.1996, die Verfassungsbeschwerde wurde im BVerfG-Beschluss vom 19.11.1999 nicht zur Entscheidung angenommen). Der als Ergänzungsabgabe (vgl. § 1 Abs. 1 SolZG) für Veranlagungszeiträume ab 1998 erhobene Solidaritätszuschlag entspricht den Anforderungen, die verfassungsrechtlich an eine Ergänzungsabgabe zu stellen sind (vgl. BFH-Beschluss vom 28.06.2006 betreffend Solidaritätszuschlag für 2002, die Verfassungsbeschwerde wurde im BVerfG-Beschluss vom 11.02.2008 nicht zur Entscheidung angenommen; BFH-Beschlüsse vom 24.07.2008 betreffend Solidaritätszuschlag für 1995 bis 2001 und vom 28.04.2009 betreffend Solidaritätszuschlag 2004; Urteil des FG Münster vom 08.12.2009 betreffend Solidaritätszuschlag 2007; a.A. Beschluss des Niedersächsischen FG vom 25.11.2009).
Das BVerfG hat bisher noch nicht die Grenze festgelegt, bei der eine Ergänzungsabgabe eine verfassungswidrige Aushöhlung der Bund und Ländern gemeinschaftlich zustehenden Steuern bewirken würde. In der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.1972 wird lediglich ausgeführt, durch eine Ergänzungsabgabe in Höhe von 3 % werde diese Grenze offensichtlich nicht überschritten. Der Solidaritätszuschlag in Höhe von 5,5 % ist keine solche Belastung. Er steht in einem angemessenen Verhältnis zur Einkommen- und Körperschaftsteuer und ist damit verfassungsgemäß. Zum einen liegt der Zuschlagsatz nahe der vom Bundesrat ursprünglich vorgeschlagenen, letztendlich aber nicht durchgesetzten Begrenzung für Ergänzungsabgaben. Zum anderen knüpft der Solidaritätszuschlag an die Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer als Bemessungsgrundlage an (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 SolZG). Eine höhere Einkommen- oder Körperschaftsteuer führt also zu einem höheren Solidaritätszuschlag. Auch wenn der Bund mit dem Solidaritätszuschlag erhebliche Einnahmen erhält, werden dadurch die Bund und Ländern gemeinschaftlich zustehenden Steuern nicht ausgehöhlt. Die fehlende zeitliche Befristung des Solidaritätszuschlags beim Erlass des SolZG ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn es ist von Verfassungs wegen nicht geboten, eine Ergänzungsabgabe von vornherein zu befristen oder sie nur für einen kurzen Zeitraum zu erheben (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 09.02.1972 und 08.09.2010).
Die Angabe in der Gesetzesbegründung, dass der Solidaritätszuschlag wegen der Bewältigung der durch die Wiedervereinigung entstandenen Finanzierungslasten eingeführt werde, und die Auflistung der ab 1995 zu lösenden finanziellen Probleme mit einem Volumen in Höhe von insgesamt 110 Mrd. DM (BT-Drs. 12/4401, S. 1 ff.) reichen aus, um darzustellen, dass auch ein ausschließlicher Mehrbedarf des Bundes zur Finanzierung der Lasten vorhanden war. Unerheblich ist, ob die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag zweckgebunden für den "Aufbau Ost" verwendet wurden. Der Solidaritätszuschlag ist eine Steuer, die dem Bund zur Deckung seiner Ausgaben zur Verfügung steht. Die Entscheidung darüber, welche Aufgaben in Angriff genommen werden und wie sie finanziert werden sollen, gehört zur Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, die sich grundsätzlich der gerichtlichen Nachprüfung entzieht (vgl. BVerfG-Beschluss vom 09.02.1972).
Der Gesetzgeber war von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, das SolZG wegen der fehlenden zeitlichen Befristung mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2007 aufzuheben. Das SolZG ist nicht durch Zeitablauf verfassungswidrig geworden. Der Solidaritätszuschlag kann als Ergänzungsabgabe für eine längere Zeit erhoben werden (vgl. BVerfG-Beschluss vom 08.09.2010). Eine verfassungsgemäß beschlossene Ergänzungsabgabe kann dann verfassungswidrig werden, wenn sich die Verhältnisse, die für die Einführung maßgebend waren, grundlegend ändern. Danach war es verfassungsrechtlich nicht geboten, den Solidaritätszuschlag ab dem 01.01.2007 nicht mehr zu erheben. Die Erhebung des Solidaritätszuschlags über einen Zeitraum von 13 Jahren (1995 bis einschließlich 2007) widerspricht - gemessen an dem mit seiner Einführung verbundenen Zweck - nicht dem Wesen einer zur Deckung von Bedarfsspitzen im Bundeshaushalt dienenden Ergänzungsabgabe.
Eine den Vorstellungen des Gesetzgebers zu entnehmende Befristung des Solidaritätszuschlags auf zehn Jahre ist ebenfalls nicht erkennbar. Da der ursprüngliche Gesetzeszweck für die Einführung des Solidaritätszuschlags auch im Streitjahr 2007 noch nicht entfallen war, weil weiterhin ein Mehrbedarf des Bundes zur Finanzierung der Ausgaben im Zusammenhang mit der Herstellung der deutschen Einheit bestanden hat, liegt keine implizite Umwidmung des Solidaritätszuschlags für andere Zwecke vor. Die in den Gesetzesmaterialien geäußerte Absicht, den Solidaritätszuschlag mittelfristig zu überprüfen (BT-Drs. 12/4401, S. 51), begründet im Zusammenhang mit der Beibehaltung des Solidaritätszuschlags keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des SolZG ab 2007.
Der Solidaritätszuschlag für 2007 verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Der Zuschlag wird von allen einkommensteuerpflichtigen natürlichen Personen und körperschaftsteuerpflichtigen Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen (vgl. § 2 SolZG) gleichermaßen erhoben. Der Gleichheitssatz wird auch nicht dadurch verletzt, dass sich bei steuerpflichtigen Einzelunternehmern oder Mitunternehmern, die Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielen, der Solidaritätszuschlag nach der Einkommensteuer bemessen werde, die zuvor um pauschal anzurechnende Gewerbesteuer gemindert wird, während u.a. die Klägerin als Kapitalgesellschaft eine solche Steuerermäßigung nicht beanspruchen kann.
Betroffene Norm
§ 1 SolZG
Streitjahr 2007
Vorinstanz
Finanzgericht Köln, Urteil vom 14.01.2010, 13 K 1287/09, EFG 2010, S. 1063
Fundstelle
BFH, Urteil vom 21.07.2011, II R 52/10, BStBl II 2012, S. 43
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 28.02.1996, XI R 83, 84/94, BFH/NV 1996, S. 712
BVerfG, Beschluss vom 19.11.1999, 2 BvR 1167/96, HFR 2000, S. 134
BFH, Beschluss vom 28.06.2006, VII B 324/05, BStBl II 2006, S. 692
BVerfG, Beschluss vom 11.02.2008, 2 BvR 1708/06, DStZ 2008, S. 229
BFH, Beschluss vom 24.07.2008, II B 38/08, BFH/NV 2008, S. 1817
BFH, Beschluss vom 28.04.2009, I B 199/08, nicht veröffentlicht
Finanzgericht Münster, Urteil vom 08.12.2009, 1 K 4077/08 E, EFG 2010, S. 588, rechtskräftig nach Rücknahme der Revision II R 20/10, siehe Zusammenfassung in den Deloitte Tax-News
Niedersächsisches Finanzgericht, Beschluss vom 25.11.2009, 7 K 143/08, EFG 2010, S. 1071, siehe Zusammenfassung in den Deloitte Tax-News
BVerfG, Beschluss vom 09.02.1972, 1 BvL 16/69, BStBl II 1972, S. 408
BVerfG, Beschluss vom 08.09.2010, 2 BvL 3/10, BFH/NV 2010, S. 2217, siehe Zusammenfassung in den Deloitte Tax-News