Zurück zur Übersicht
22.10.2012
Unternehmensteuer

BFH: Unentgeltliche Übertragung eines Mitunternehmeranteils bei gleichzeitiger Ausgliederung von Sonderbetriebsvermögen

Aktuell: BFH-Urteil vom 10.09.2020 (IV R 14/18):

Der BFH hat entschieden, dass der Zeitpunkt („juristische Sekunde“) des Ausscheidens von funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen für die Frage, ob die Buchwertfortführung gemäß § 6 Abs. 3 S. 1 EStG zur Anwendung kommt, entscheidend ist. Folglich kommt § 6 Abs. 3 S. 1 EStG zur Anwendung, wenn eine „juristische Sekunde“ vor der Übertragung des (verbliebenen) ganzen Mitunternehmeranteils eine funktional wesentliche Betriebsgrundlage durch Veräußerung an Dritte oder Überführung in das Privatvermögen ausgeschieden ist. Erfolgt die Aufdeckung stiller Reserven in funktional wesentlichem Sonderbetriebsvermögen allerdings zeitgleich mit oder eine „juristische Sekunde“ nach der Übertragung des Mitunternehmeranteils, liegt eine Betriebsaufgabe vor.
Der BFH präzisiert mit dieser Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung zu § 6 Abs. 3 EStG (vgl. BFH-Urteile vom 02.08.2012, IV R 41/11 und vom 09.12.2014, IV R 36/13) und schließt sich hinsichtlich der Frage der Anwendung von § 6 Abs. 3 S. 1 EStG bei zeitgleicher Aufdeckung stiller Reserven in funktional wesentlichem Sonderbetriebsvermögen der Auffassung der Finanzverwaltung an (vgl. BMF-Schreiben vom 20.11.2019, Rz. 9).

BFH, Urteil vom 10.09.2020 (IV R 14/18, siehe Deloitte Tax News)
                                                                                                                            

BFH-Urteil vom 02.08.2012 (IV R 41/11):

Der Gesellschafter einer Personengesellschaft kann seinen Gesellschaftsanteil steuerneutral auf ein Kind übertragen, obwohl er ein ihm allein gehörendes und von der Gesellschaft genutztes Grundstück (funktional wesentliches Betriebsgrundstück des Sonderbetriebsvermögens) zeitgleich und ebenfalls steuerneutral auf eine zweite Personengesellschaft überträgt (früher entgegen Finanzverwaltung).

Sachverhalt

Kommanditist der Klägerin, einer GmbH & Co. KG, sowie alleiniger Gesellschafter/Geschäftsführer der Komplementär-GmbH war F, der der KG das in seinem Eigentum stehende Betriebsgrundstück vermietet hatte. Im Oktober 2002 übertrug F im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unter Zurückbehaltung des Grundstücks 80 % seiner Anteile an der KG zum Buchwert unentgeltlich auf seine Tochter Z. Auch die Anteile an der GmbH übertrug F unentgeltlich auf Z. Anschließend gründete F eine zweite KG (I-KG), auf die er dann im Dezember 2002 das Betriebsgrundstück übertrug. Zeitgleich wurden auch die restlichen KG-Anteile auf die Tochter übertragen.

Im Anschluss an eine bei der Klägerin durchgeführte Außenprüfung vertrat das Finanzamt die Ansicht, dass der Ansatz des an Z übertragenen Kommanditanteils nicht zum Buchwert habe erfolgen dürfen, weil das als Sonderbetriebsvermögen des F bei der Klägerin bilanzierte Grundstück nicht an Z mitübertragen, sondern zum Buchwert in das Betriebsvermögen der I-KG übertragen worden sei. Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Entscheidung

Das FG hat zu Unrecht eine Übertragung zum Buchwert verneint.

Im Streitfall ist zunächst ein Teilmitunternehmeranteil in Gestalt von 80 % der Kommanditanteile einschließlich der gesamten zum Sonderbetriebsvermögen des F gehörenden Anteile an der Komplementär-GmbH und sodann die verbliebenen Kommanditanteile von 20 % auf Z übertragen worden. Zeitgleich mit der letztgenannten Anteilsübertragung wurde das bis dahin zum Sonderbetriebsvermögen des F gehörende Grundstück auf die I-KG übertragen. Die erste Übertragung ist als Übertragung eines Teils eines Mitunternehmeranteils (§ 6 Abs. 3 S. 1 HS 2 Alt. 2 EStG) anzusehen und hat die Fortführung der Buchwerte zur Folge. Die spätere Übertragung des verbliebenen Gesellschaftsanteils führt nach Auffassung des BFH ungeachtet der gleichzeitig zum Buchwert stattfindenden Übertragung von funktional wesentlichem Sonderbetriebsvermögen (§ 6 Abs. 5 S. 3 Nr. 2 EStG) ebenfalls nicht zur Aufdeckung stiller Reserven (§ 6 Abs. 3 S. 1 HS 1 EStG).

Wird funktional wesentliches Betriebsvermögen taggleich mit der Übertragung der Gesellschaftsanteile an einen Dritten veräußert oder übertragen oder in ein anderes Betriebsvermögen des bisherigen Mitunternehmers überführt, liegen die Voraussetzungen (gemäß § 6 Abs. 3 S. 1 EStG) für eine Fortführung der Buchwerte grundsätzlich nicht vor. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist nach Auffassung des BFH aber dann zu machen, wenn die Übertragung auf den Dritten oder die Überführung in ein anderes Betriebsvermögen des bisherigen Mitunternehmers zum Buchwert (§ 6 Abs. 5 EStG) stattfindet. Die Privilegierungen nach § 6 Abs. 5 EStG und § 6 Abs. 3 EStG stehen nach dem Wortlaut des Gesetzes gleichberechtigt nebeneinander. Soweit die Finanzverwaltung der Übertragung nach § 6 Abs. 5 EStG Vorrang einräumt (BMF-Schreiben vom 03.03.2005) mit der Folge, dass dann die unentgeltliche Übertragung des reduzierten Mitunternehmeranteils zur vollen Aufdeckung der darin liegenden stillen Reserven führt, ist hierfür nach Auffassung des BFH keine Rechtsgrundlage gegeben.

Nach dem Gesetzeswortlaut sind auch gleichzeitige Buchwerttransfers nach § 6 Abs. 3 und Abs. 5 EStG möglich. Bei gleichzeitiger Anwendung beider Normen kommt es nicht zur Kumulation von Steuervergünstigungen. Denn die durch ein nach § 6 Abs. 5 EStG begünstigtes Einzelwirtschaftsgut verkörperten stillen Reserven wären anlässlich der Übertragung einer nach § 6 Abs. 3 EStG begünstigten Sachgesamtheit gleichfalls nicht aufzudecken gewesen, wenn das betreffende Wirtschaftsgut weiterhin dieser Sachgesamtheit zugehörig gewesen wäre. Zugleich bleiben die stillen Reserven dieses Wirtschaftsguts in beiden Fällen gleichermaßen steuerverhaftet. Soweit durch die parallele Anwendung beider Vorschriften missbräuchliche Gestaltungen zu besorgen sein könnten, wird dem durch die Regelung von sog. Sperrfristen in beiden Vorschriften vorgebeugt (vgl. § 6 Abs. 3 S. 2 EStG und § 6 Abs. 5 S. 4 EStG).

Allein der Umstand, dass ein bislang funktional wesentliches Wirtschaftsgut aus dem Betrieb ausscheidet, ohne dass es diesem künftig auf veränderter Rechtsgrundlage (z.B. Miete oder Pacht) weiter zum Wirtschaften zur Verfügung steht, rechtfertigt hingegen noch nicht zwingend die Annahme, dass künftig keine funktionsfähige Sachgesamtheit mehr besteht. Im Streitfall sollte und konnte das Unternehmen der Klägerin trotz der Übertragung des Betriebsgrundstücks fortgeführt werden. Ist vom Fortbestand des gesamten Betriebs der Klägerin auszugehen, dann verkörpert auch der von F übertragene gesamte Mitunternehmeranteil eine funktionsfähige Sachgesamtheit.

Offenbleiben kann im Streitfall, ob die vorgenannten Grundsätze für die Anwendung des § 6 Abs. 3 EStG nicht nur im Fall der Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern zum Buchwert nach § 6 Abs. 5 EStG Geltung beanspruchen, sondern auch bei der Entnahme von Wirtschaftsgütern in das Privatvermögen oder bei der Veräußerung von Wirtschaftsgütern zur Anwendung gelangen könnten, also bei Vorgängen, in denen es sogar zur Aufdeckung der durch das entsprechende Wirtschaftsgut verkörperten stillen Reserven kommt. 

Anmerkungen

BMF-Schreiben vom 20.11.2019, IV C 6 - S 2241/15/10003

Die Finanzverwaltung hat ihre diesem Urteil entgegenstehende Gesamtplanbetrachtung bei Anwendung von § 6 Abs. 3 EStG und § 6 Abs. 5 EStG im BMF-Schreiben vom 20.11.2019 (siehe Deloitte Tax-News)aufgegeben. Wird im Zeitpunkt der Übertragung des Anteils am Gesamthandsvermögen nach § 6 Abs. 5 EStG funktional wesentliches Betriebsvermögen/Sonderbetriebsvermögen zum Buchwert auf einen Dritten übertragen oder in ein anderes Betriebsvermögen/Sonderbetriebsvermögen des bisherigen Mitunternehmers überführt, ist § 6 Abs. 3 S. 1 EStG dem neuen BMF-Schreiben zufolge gleichwohl auf die Übertragung des reduzierten Mitunternehmeranteils anwendbar. Die gleichzeitige Inanspruchnahme („Kumulation“) der Steuervergünstigung nach § 6 Abs. 3 EStG einerseits und nach § 6 Abs. 5 EStG andererseits ist möglich, sie darf jedoch keine Betriebszerschlagung zur Folge haben.

BVerfG-Vorlage: BFH-Beschluss vom 10.04.2013

Zwischenzeitlich hat der BFH mit Beschluss vom 10.04.2013 im vom BMF (Schreiben vom 12.09.2013) erwarteten Revisionsverfahren (I R 80/12) entschieden, dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob die fehlende Möglichkeit einer Buchwertübertragung von Wirtschaftsgütern zwischen beteiligungsidentischen Personengesellschaften gleichheitswidrig ist, siehe Deloitte Tax-News.

Betroffene Norm

§ 6 Abs. 3 EStG, § 6 Abs. 5 S. 3 Nr. 2 EStG

Streitjahr 2002

Vorinstanz

Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23.09.2009, 2 K 2493/08, EFG 2011, S.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 02.08.2012, IV R 41/11, lt. BMF zur Veröffentlichung im BStBl. II vorgesehen 

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 10.09.2020 (IV R 14/18, siehe Deloitte Tax News)

BFH, Urteil vom 09.12.2014, IV R 29/14

BFH, Beschluss vom 10.04.2013, I R 80/12

BMF, Schreiben vom 20.11.2019, IV C 6 - S 2241/15/10003, siehe Deloitte Tax-News

So werden Sie regelmäßig informiert:
Artikel teilen:
Diese Webseite verwendet Cookies, um Ihnen einen bedarfsgerechteren Service bereitstellen zu können. Indem Sie ohne Veränderungen Ihrer Standard-Browser-Einstellung weiterhin diese Seite besuchen, erklären Sie sich mit unserer Verwendung von Cookies einverstanden. Möchten Sie mehr Informationen zu den von uns verwendeten Cookies erhalten und erfahren, wie Sie den Einsatz unserer Cookies unterbinden können, lesen Sie bitte unsere Cookie Notice.