BFH: Unternehmensidentität einer Kapitalgesellschaft bei im Wege der Anwachsung von einer Personengesellschaft übernommenen Gewerbeverlusts
Die Unternehmensidentität einer Kapitalgesellschaft bleibt unberührt, wenn ein verlustverursachender Betrieb einer Personengesellschaft im Wege der Anwachsung auf die Kapitalgesellschaft übergeht und anschließend dieser Betrieb im Wege eines Asset Deals an einen Dritten veräußert wird. Daher ist ein auf die Kapitalgesellschaft übergegangener gewerbesteuerlicher Verlust auch nach der Veräußerung des ehemals von der Personengesellschaft geführten Betriebs für die Kapitalgesellschaft nutzbar.
Sachverhalt
Eine GmbH (Klägerin) hatte als Gesamtrechtsnachfolgerin der A GmbH & Co. KG deren Gewerbeverlust im Jahr 2011 übernommen. Auslöser der Gesamtrechtsnachfolge war eine durch eine Verschmelzung verursachte Anwachsung des KG-Vermögens. Die GmbH führte den Betrieb der KG zunächst weiter. In den Feststellungsbescheiden zum vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31.12.2011 und 31.12.2012 blieb der zum 31.12.2010 festgestellte Gewerbeverlust der KG bei der GmbH erhalten. Zweifelhaft wurde dies im Streitjahr 2013, in dem sie ihr operatives Geschäft durch Übertragung aller Vermögenswerte (Asset Deal) an eine andere GmbH veräußerte. Infolgedessen führte sie nunmehr den früheren Betrieb der A GmbH & Co. KG nicht mehr weiter. Das Finanzamt war der Auffassung, dass der von der KG herrührende Gewerbeverlust bei der GmbH untergegangen sei. Das FG gab der dagegen erhobenen Klage statt.
Entscheidung
Auch der BFH kommt zum Ergebnis, dass ein ursprünglich im Betrieb einer Personengesellschaft entstandener und durch Anwachsung auf eine Kapitalgesellschaft übergegangener Gewerbeverlust nicht dadurch entfällt, dass die Kapitalgesellschaft den verlustverursachenden Geschäftsbereich im Wege eines Asset Deals weiterveräußert.
Gesetzliche Grundlagen
Als Gewerbebetrieb gilt stets und in vollem Umfang u.a. die Tätigkeit der Kapitalgesellschaften (§ 2 Abs. 2 S. 1 GewStG.
Der maßgebende Gewerbeertrag wird (…) um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind (§ 10a S. 1 GewStG).
Geht ein Gewerbebetrieb im Ganzen auf einen anderen Unternehmer über, kann der andere Unternehmer den maßgebenden Gewerbeertrag nicht um die Fehlbeträge kürzen, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags des übergegangenen Unternehmens ergeben haben (vgl. §§ 2 Abs. 5, 10a S. 8 GewStG).
Keine Grundlage für das Entfallen des bei der GmbH festgestellten Gewerbeverlusts
Nach der Auffassung des BFH besteht im geltenden Recht keine Grundlage dafür, dass der von der KG stammende Verlustbetrag untergegangen sein könnte. Eine solche sei weder in § 10a GewStG noch in § 2 Abs. 2 S. 1 GewStG oder in Regelungen außerhalb des GewStG enthalten.
Insbesondere gelte der Gewerbebetrieb der GmbH nicht gemäß § 2 Abs. 5 S. 1 GewStG als eingestellt, da er im Zuge des Asset Deals nicht "im Ganzen" auf einen anderen Unternehmer überging.
Unerheblichkeit der Unternehmensidentität bei einer Kapitalgesellschaft
Die Veräußerung des von der KG übernommenen Geschäftsbetriebs ändere nicht daran, dass die bei der GmbH verbliebene andere Unternehmenstätigkeit nach § 2 Abs. 2 S. 1 GewStG, weiterhin in vollem Umfang als einheitlicher und zugleich identischer Gewerbebetrieb gelte. Aus dem unmittelbar ohnehin nicht den übergebenden, sondern den übernehmenden Unternehmer betreffenden § 10a S. 8 GewStG folgt laut dem BFH deshalb im Streitjahr kein Entfallen des von der GmbH bereits im Jahr 2011 übernommenen und in der Folgezeit fortgeführten Verlustbetrags.
Von dem Grundsatz der Unerheblichkeit der Unternehmensidentität bei einer Kapitalgesellschaft sei auch im Anschluss an eine Anwachsung wie im Streitfall keine Ausnahme zu machen. Anders als bei Personengesellschaften komme es bei Kapitalgesellschafften auf das Merkmal der Unternehmensidentität nicht an (vgl. BFH-Urteil vom 29.10.1986, I R 318-319/83). Nach der Anwachsung verbleibe bei der Körperschaft ein einheitlicher Gewerbebetrieb. Die Unternehmensidentität sei gewahrt, solange nicht der (gesamte) Betrieb der aufnehmenden Kapitalgesellschaft veräußert oder aufgegeben werde.
Nähere Auslegung des Gesetzgebers wäre notwendig für Entfallen des Gewerbeverlustes
Um zu dem vom Finanzamt gewünschten Entfallen des von der KG übernommenen Gewerbeverlusts bei der GmbH zu gelangen, bedürfe es sowohl in materiellrechtlicher als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht einer näheren Ausgestaltung durch den Gesetzgeber. Ein im Bescheid einheitlich festgestellter Gewerbeverlust lässt nach der Auffassung des BFH nämlich nicht erkennen, aus welchen einzelnen ursprünglichen Bestandteilen er sich zusammensetzt. Ebenso wenig sei gesetzlich geregelt, nach welchen Kriterien und insbesondere in welcher Reihenfolge die Verwendung des festgestellten Gewerbeverlusts zu erfolgen habe. Dass es gesetzliche Bestimmungen zu einem "fortführungsgebundenen" Verlustvortrag im derzeit geltenden Recht gibt und wie diese aussehen können, belegen die nach dem Streitjahr eingeführten Regelungen des § 8d KStG und des § 10a S. 10 ff. GewStG, so der BFH.
Betroffene Normen
§ 10a GewStG
Streitjahr 2013
Anmerkungen
Praxishinweis
Die Frage, ob von dem Grundsatz der Unerheblichkeit der Unternehmensidentität bei einer Kapitalgesellschaft auch im Anschluss an eine Anwachsung wie im Streitfall (das heißt nach der Übernahme des bei einer Personengesellschaft entstandenen Gewerbeverlusts) keine Ausnahme zu machen ist, ist sowohl im Schrifttum als auch in der Rechtsprechung der Finanzgerichte umstritten. Die höchstrichterliche Klärung dieser Frage durch den BFH führt zu einer erfreulichen Rechtssicherheit für den Steuerpflichtigen. Abzuwarten bleibt allerdings, ob die Finanzverwaltung das Urteil im Bundessteuerblatt veröffentlichen und damit anwenden wird.
Einordnung in die Rechtsprechung
Zum gewerbesteuerlichen Verlustabzug hat der BFH bereits in folgenden Fällen entschieden:
- Bringt eine Kapitalgesellschaft ihren gesamten Betrieb in eine GmbH & Co. KG ein und beschränkt sich ihre Tätigkeit fortan auf die Verwaltung der Mitunternehmerstellung an der aufnehmenden Gesellschaft sowie das Halten der Beteiligung an der Komplementär-GmbH, geht ein für die Kapitalgesellschaft festgestellter Gewerbeverlust auf die Personengesellschaft über. (vgl. BFH-Urteil vom 01.02.2024, IV R 26/21, siehe Deloitte Tax-News).
- Überträgt eine Kapitalgesellschaft ihr operatives Geschäft im Wege der Ausgliederung auf eine Personengesellschaft, kommt ein Übergang des gewerbesteuerlichen Verlustvortrags der Kapitalgesellschaft auf die Personengesellschaft jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn sich die Kapitalgesellschaft fortan nicht nur auf die Verwaltung der Mitunternehmerstellung bei der Personengesellschaft beschränkt. (vgl. BFH-Urteil vom 17.01.2019, III R 35/17, BStBl. II 2019, S. 407, siehe Deloitte Tax-News).
- Bei einer Personengesellschaft kann die für den gewerbesteuerlichen Verlustabzug erforderliche Unternehmensidentität dann fehlen, wenn sie erst originär gewerblich tätig war und anschließend gewerbliche Einkünfte aufgrund gewerblicher Prägung erzielt. Eine durchgängige gewerbliche Prägung der Personengesellschaft reicht nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, dass die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit unverändert bzw. in identischer Art und Weise fortgeführt wird. (vgl. BFH-Urteil vom 04.05.2017, IV R 2/14, BStBl. II 2017, S. 1138, siehe Deloitte Tax-News).
Vorinstanz
Sächsisches Finanzgericht, Urteil vom 07.09.2020, 5 K 114/19, EFG 2022, S. 848
Fundstelle
BFH, Urteil vom 25.04.2024, III R 30/21
Pressemitteilung Nr. 035/24 vom 05.09.2024
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 29.10.1986, I R 318-319/83, BStBl. II 1987, S. 310
BFH, Urteil vom 04.05.2017, IV R 2/14, BStBl. II 2017, S. 1138, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 17.01.2019, III R 35/17, BStBl. II 2019, S. 407, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 01.02.2024, IV R 26/21, siehe Deloitte Tax-News