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21.01.2011
Unternehmensteuer

BFH: Verlust der wirtschaftlichen Identität bei Aufwärts- und Abwärtsverschmelzungen

Überwiegend neues Betriebsvermögen (§ 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 2002) liegt vor, wenn das zugegangene Aktivvermögen das vorher vorhandene Restaktivvermögen übersteigt. Das zugeführte und das bisherige Aktivvermögen sind jeweils mit dem Teilwert anzusetzen. In die Vergleichsrechnung sind auch immaterielle Wirtschaftsgüter einzubeziehen. Werden Tochterunternehmen im Zusammenhang mit einem Anteilswechsel der Muttergesellschaft von mehr als 50 % auf ihre Muttergesellschaft verschmolzen, fehlt es regelmäßig am erforderlichen sachlichen Zusammenhang zwischen dem Anteilswechsel und der Zuführung neuen Betriebsvermögens.

Sachverhalt

Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine AG, deren Aktionäre zunächst fünf natürliche Personen waren. Die Klägerin hielt im Jahr 2001 fünf Beteiligungen zu 100 % und eine zu 52 % an GmbHs. Mit Verträgen vom 20.12.2001 und vom 02.01.2002 erwarb die L-GmbH sämtliche Aktien der Klägerin (zunächst 16,67 %). Mit Vertrag vom 21.08.2002 wurde die L-GmbH auf die Klägerin rückwirkend zum 01.01.2002 verschmolzen. Am selben Tag wurden die vier Tochtergesellschaften der Klägerin, an denen sie jeweils zu 100 % beteiligt war, auf diese verschmolzen. Durch Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 21.08.2002 wurde der Gegenstand des Unternehmens geändert und die Klägerin umfirmiert. Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass der zum 31.12.2001 für die Klägerin festgestellte Verlustvortrag gemäß § 8 Abs. 4 KStG 2002 bei der Veranlagung für das Streitjahr nicht zu berücksichtigen sei, da die Klägerin ihre wirtschaftliche Identität verloren habe. Es erließ entsprechend geänderte Bescheide. Die dagegen gerichtete Klage wies das Sächsische FG als unbegründet ab.

Entscheidung

Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Dessen Feststellungen lassen keine abschließende Beurteilung der Frage zu, ob die Klägerin durch die streitgegenständlichen Verschmelzungen ihre wirtschaftliche Identität i.S. des § 8 Abs. 4 KStG 2002 verloren hat, da das FG keine Feststellungen zu den Teilwerten des vorhandenen und des zugeführten Aktivvermögens getroffen hat. 

Gem. § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 2002, für die Ermittlung des Gewerbeertrages i.V.m. § 10a Satz 4 GewStG 2002, ist Voraussetzung für den Abzug von Verlusten nach § 10d EStG und für die Kürzung des Gewerbeertrages um Fehlbeträge bei einer Körperschaft, dass sie nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Körperschaft identisch ist, die den Verlust erlitten hat. Einer Kapitalgesellschaft fehlt die wirtschaftliche Identität, wenn - erstens - bezogen auf das gezeichnete Kapital mehr als die Hälfte der Geschäftsanteile übertragen werden, - zweitens - überwiegend neues Betriebsvermögen zugeführt und - drittens - der Geschäftsbetrieb mit diesem neuen Betriebsvermögen fortgeführt oder wieder aufgenommen wird. Unter Betriebsvermögen i.S. des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 2002 ist ausschließlich das Aktivvermögen zu verstehen. In die Vergleichsrechnung ist jedoch dann das Umlaufvermögen einzubeziehen, wenn entweder die Branche gewechselt oder der bisherige Geschäftsgegenstand erheblich erweitert wird. Als Aktivvermögen anzusetzen sind auch immaterielle Wirtschaftsgüter, und zwar sowohl bei der Bestimmung des eingebrachten Vermögens als auch bei der Bewertung des vorhandenen Vermögens, selbst wenn die immateriellen Wirtschaftsgüter bei der steuerlichen Gewinnermittlung nicht angesetzt werden dürfen. Überwiegend neues Betriebsvermögen liegt vor, wenn im Zeitpunkt der Übertragung der Anteile das zugegangene Aktivvermögen den Bestand des vorher vorhandenen Restaktivvermögens übersteigt. Maßgeblich ist jeweils der Teilwert des Aktivvermögens. 

Im Streitfall wurden mit Vertrag vom 02.01.2002 mehr als 50 % der Anteile der Klägerin auf die L-GmbH übertragen. Der Klägerin ist mit der nachfolgenden Verschmelzung der L-GmbH auf sie neues Betriebsvermögen zugeführt worden. In die Vergleichsrechnung ist im Streitfall auch das Umlaufvermögen einzubeziehen, da der Geschäftsgegenstand erheblich ausgeweitet wurde. Das FG hat die Buchwerte des Aktivvermögens der Klägerin einerseits und diejenigen des zugeführten Aktivvermögens der L-GmbH andererseits gegenübergestellt und diese miteinander verglichen. Somit kann nicht beurteilt werden, ob das durch die Verschmelzung der L-GmbH auf die Klägerin zugeführte Betriebsvermögen oder das zuvor vorhandene Aktivvermögen der Klägerin überwiegt, da das FG keine Feststellungen zu den Teilwerten der jeweiligen Aktivvermögen getroffen hat. 

Das im Wege der Verschmelzung der Tochterunternehmen auf die Klägerin übergegangene Aktivvermögen ist nicht in die Vergleichsrechnung einzubeziehen. Es mangelt am erforderlichen sachlichen Zusammenhang der Zuführung neuen Betriebsvermögens mit dem Anteilswechsel. Es genügt nicht, wenn die einzelnen Teilschritte, derer es bedarf, um die fehlende wirtschaftliche Identität beispielhaft zu belegen, lediglich unverbunden und zufällig nebeneinanderstehen. Aus dem Zweck des § 8 Abs. 4 KStG 2002, missbräuchliche Gestaltungen zu verhindern, folgt vielmehr, dass zwischen der Übertragung der Gesellschaftsanteile und der Zuführung neuen Betriebsvermögens ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht. Der notwendige sachliche Zusammenhang lässt sich zwar regelmäßig bei Vorliegen eines zeitlichen Zusammenhangs vermuten. Dies gilt jedoch nicht, wenn im zeitlichen Zusammenhang mit dem Anteilswechsel Tochterkapitalgesellschaften, deren Anteile vom Mutterunternehmen bereits vor dem Anteilsübergang gehalten wurden, auf die Muttergesellschaft verschmolzen werden. Hierdurch wird der Muttergesellschaft zwar neues Aktivvermögen zugeführt. Es fehlt aber an einem sachlichen Zusammenhang mit dem Anteilswechsel, weil es sich um eine Änderung der Unternehmensstruktur handelt, die auch ohne zeitlichen Zusammenhang mit einer Anteilsübertragung innerhalb des Konzerns aus eigener Wirtschaftskraft möglich gewesen wäre.

Betroffene Norm

§ 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 2002

Vorinstanz

Sächsisches Finanzgericht, Urteil vom 18.06.2009, 2 K 783/08, EFG 2010, S. 1528, siehe Zusammenfassung in den Deloitte Tax-News

Fundstelle

BFH, Urteil vom 12.10.2010, I R 64/09

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