BFH: Verlustausgleichsvolumen durch Einlagen trotz sog. Mehrentnahmen in Vorjahren
Bei der Ermittlung der Höhe des verrechenbaren Verlustes des Kommanditisten gemäß § 15a EStG sind dessen im Verlustentstehungsjahr erbrachte Einlagen auch dann in voller Höhe zu berücksichtigen, wenn die Mittel hierfür bei wirtschaftlicher Betrachtung aus Entnahmen stammen, die der Kommanditist in Vorjahren getätigt hat. Eine Minderung der Einlagen um einen (negativen) außerbilanziellen Korrekturposten "Rückführung Mehrentnahmen" kommt nicht in Betracht.
BFH, Urteil vom 10.10.2024, IV R 10/22
Sachverhalt
Strittig war, ob der verrechenbare Verlust gemäß § 15a EStG zutreffend berechnet wurde.
Die Kläger, zwei Kommanditisten einer GmbH & Co. KG, hatten in den Vorjahren Entnahmen getätigt, die ihre Einlagen überstiegen hatten (sog. „Mehrentnahmen“). Dadurch entstanden negative Kapitalkonten zum Ende des Vorjahres. Im Streitjahr ergab sich ein positiver Saldo aus den Einlagen und Entnahmen. Ohne Berücksichtigung der Mehrentnahmen aus den Vorjahren waren die Verluste im Streitjahr größtenteils ausgleichsfähig.
Das Finanzamt vertrat die Ansicht, dass hinsichtlich der Entnahmen/ Einlagen eine wirtschaftsjahrübergreifende Betrachtung zu erfolgen habe und folglich die im Streitjahr getätigte Einlage, lediglich eine Rückführung einer Mehrentnahme aus den Vorjahren darstellt, und deswegen nicht zu einem Verlustausgleichsvolumen i.S.d. § 15a EStG führt. Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung kam das FG zu dem Schluss, dass bei der Ermittlung des verrechenbaren Verlustes die in den Vorjahren getätigten Mehrentnahmen nicht zu berücksichtigen sind.
Entscheidung
Auch der BFH kommt zu dem Ergebnis, dass bei der Ermittlung des verrechenbaren Verlustes die in den Vorjahren getätigten Mehrentnahmen nicht zu berücksichtigen sind.
Gesetzliche Grundlagen
Nach § 15a Abs. 1 S. 1 EStG darf der einem Kommanditisten zuzurechnende Anteil am Verlust einer KG weder mit anderen Einkünften aus Gewerbebetrieb noch mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen oder abgezogen werden, soweit ein negatives Kapitalkonto des Kommanditisten entsteht oder sich erhöht. Ob diese gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, bestimmt sich nach § 15a Abs. 1 S. 1 EStG durch einen Vergleich des Kapitalkontos zum Bilanzstichtag des Veranlagungsjahres mit dem Kapitalkonto zum Bilanzstichtag des Vorjahres (stichtagsbezogener Kapitalkontenvergleich).
Die über die Höhe des Kapitalkontos hinausgehenden Verluste, die lediglich mit zukünftigen Gewinnen aus der Beteiligung an der KG verrechnet werden dürfen, werden als sog. verrechenbare Verluste i.S.d. § 15a Abs. 2 EStG bezeichnet und sind nach § 15 Abs. 4 EStG gesondert festzustellen.
Stichtagsbezogener Kapitalkontenvergleich
Der BFH stellt heraus, dass grundsätzlich nur Einlagen und Entnahmen, die im Wirtschaftsjahr der Verlustentstehung erfolgen, Einfluss auf die Höhe des Kapitalkontenstands am Ende des Wirtschaftsjahres der Verlustentstehung haben. Begründet wird dies durch das sog. Prinzip des stichtagsbezogenen Kapitalkontenvergleichs (vgl. auch BFH-Urteil vom 14.10.2003, VIII R 32/01). Ob ein negatives Kapitalkonto entsteht oder sich erhöht, bestimme sich wie § 15a Abs. 1 EStG zeigt durch einen Vergleich des Kapitalkontenstands am Ende des Wirtschaftsjahres der Verlustentstehung mit demjenigen am Ende des vorangegangenen Wirtschaftsjahres. Folglich erhöhen auch die vom Kläger im Streitjahr geleisteten Einlagen den Kapitalkontenstand zum Ende des Streitjahres und mindern entsprechend die Höhe der verrechenbaren Verluste des Klägers.
Wortgetreue Auslegung des § 15a Abs. 1 EStG
Auch die wortgetreue Auslegung des § 15a Abs. 1 EStG schließe die Berücksichtigung eines Korrekturbetrags „Rückführung Mehrentnahmen“ aus. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 15a Abs. 1 S. 1 EStG sei die Frage, ob ein negatives Kapitalkonto entsteht oder sich erhöht, allein anhand eines stichtagsbezogenen Vergleichs des Kapitalkontenstands am Ende des Wirtschaftsjahres der Verlustentstehung mit demjenigen am Ende des vorangegangenen Wirtschaftsjahres zu beantworten. Die Anknüpfung an die Kapitalkontenentwicklung des Wirtschaftsjahres der Verlustentstehung mache deutlich, dass nach der gesetzlichen Konzeption Entnahmen des Vorjahres für die Ermittlung des verrechenbaren Verlustes des Wirtschaftsjahres der Verlustentstehung grundsätzlich unbeachtlich sind und der Einlagebegriff in § 15a Abs. 1 EStG die im Wirtschaftsjahr der Verlustentstehung erbrachte Einlage meint.
Auch keine teleologische Reduktion des Einlagebegriffs in § 15 Abs. 1 S. 1 EStG
Nach dem BFH kommt auch eine teleologische Reduktion des Einlagebegriffs in § 15a Abs. 1 S. 1 EStG dahingehend, dass Verlustausgleichsvolumen nicht durch Einlagen aus der Rückführung sogenannter Mehrentnahmen geschaffen werden darf, nicht in Betracht. Die wortgetreue Auslegung des § 15a Abs. 1 EStG führt in den Fällen der Rückführung sogenannter Mehrentnahmen nicht zu einem sinnwidrigen Ergebnis, so der BFH. Die ungekürzte Berücksichtigung der Einlagen entspricht nach dem BFH sowohl der stichtagsbezogenen Systematik des § 15a Abs. 1 EStG als auch dem Ziel des Gesetzgebers, die Regelung einfach handhabbar zu gestalten.
Der Umstand, dass in den Fällen der Rückführung sogenannter Mehrentnahmen für den Kommanditisten ein jedenfalls aus Sicht der Finanzverwaltung ungerechtfertigter Vorteil entsteht und aus diesem Grund die Berücksichtigung eines negativen außerbilanziellen Korrekturpostens für die Rückführung sogenannter Mehrentnahmen unter Umständen "(sach-)gerechter" wäre, lasse die Regelung möglicherweise als rechtspolitisch fehlerhaft erscheinen. Eine Rechtfertigung für eine teleologische Reduktion des § 15a Abs. 1 EStG ergibt sich hieraus aus Sicht der BFH jedoch nicht. Vielmehr stellt der BFH klar, dass eine gesetzliche Regelung (ähnlich wie in § 15a Abs. 3 EStG für die Fälle der sog. Einlagenminderung) erforderlich wäre, wenn der Gesetzgeber in den Fällen der Rückführung sog. Mehrentnahmen vom Grundkonzept des stichtagsbezogenen Kapitalkontenvergleichs abweichen und den Begriff der Einlage einschränken will.
Auch keine teleologische Extension des § 15a Abs. 3 EStG auf den Fall der Rückführung sog. Mehrentnahmen
Nach dem BFH kann – entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung – eine Minderung der im Streitjahr erbrachten Einlagen um sog. Mehrentnahmen auch nicht aus § 15a Abs. 3 EStG hergeleitet werden.
Zwar erachte das Gesetz einen Verlustausgleich des Kommanditisten als nicht gerechtfertigt, wenn das am Ende des Wirtschaftsjahres der Verlustentstehung bestehende Eigenkapital der Gesellschaft alsbald wieder entzogen wird. § 15a Abs. 3 EStG mache daher den Verlustausgleich rückgängig. Insoweit komme es in den Fällen der Einlageminderung zu einer gewissen Einschränkung des Prinzips des stichtagsbezogenen Kapitalkontenvergleichs. Allerdings regelt § 15a Abs. 3 EStG dem Wortlaut nach nur die Fälle der Einlage- und Haftungsminderung, nicht hingegen den Fall der Rückführung sog. Mehrentnahmen, so der BFH.
Auch eine teleologische Extension des § 15a Abs. 3 EStG dahingehend, dass sogenannte Mehrentnahmen aus Vorjahren bei der Berechnung des verrechenbaren Verlustes zu berücksichtigen sind, kommt nach dem BFH nicht in Betracht. Die Regelung des § 15a Abs. 3 EStG sei nicht lückenhaft.
Kein Missbrauch nach § 42 AO
Nach dem BFH hat der Kläger den in § 15a Abs. 1 EStG festgeschriebenen Grundsatz des stichtagsbezogenen Kapitalkontenvergleichs nicht in rechtsmissbräuchlicher Weise durch gegenläufige Entnahmen und Einlagen in zeitlicher Nähe zum Jahreswechsel ausgenutzt. Folglich liege auch kein Missbrauch nach § 42 AO vor.
Betroffene Norm
§ 15a EStG
Streitjahr 2016
Vorinstanz
Finanzgericht Münster, Urteil 13.04.2022, 13 K 141/20 F, EFG 2022, S. 1448, siehe Deloitte Tax-News
Fundstelle
BFH, Urteil vom 10.10.2024, IV R 10/22
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 14.10.2003, VIII R 32/01, BStBl. II 2004, S. 359