BFH: Wirtschaftliches Eigentum an zur Sicherheit übereigneten Aktien
Zur Sicherheit übereignete Aktien sind dem Sicherungsnehmer als Inhaber der Aktien zuzurechnen, wenn dieser die wesentlichen mit den Aktien verbundenen Rechte (insbesondere Veräußerung und Ausübung von Stimmrechten) rechtlich und tatsächlich ab dem Eigentumsübergang unabhängig vom Eintritt eines Sicherungsfalls ausüben kann. Nicht relevant ist, ob der Inhaber dieser Rechte sie subjektiv auch wahrnehmen möchte.
BFH, Urteil vom 13.11.2024, I R 3/21
Sachverhalt

Im Streitfall hatte eine AG (Klägerin) mit ihrer Bank im Streitjahr 2006 zeit- und betragsgleiche, gegenläufige Wertpapierpensions- und Wertpapierdarlehensgeschäfte abgeschlossen.
Für die Dauer der Wertpapierdarlehen erhielt sie als Sicherheit börsennotierte britische Aktien von ihrer Bank gegen Zahlung einer Gebühr. Über diese Aktien konnte sie uneingeschränkt verfügen und mit ihnen verbundene Stimmrechte ausüben. Bei Beendigung der Wertpapierdarlehen musste sie Aktien gleicher Art und Menge zurückübertragen. Ausgeschüttete Dividenden hatte sie zeit- und betragsgleich an ihre Bank weiterzuleiten. Da bezogene Dividenden nach damaliger Rechtslage steuerfrei waren, die Weiterleitung der Dividenden jedoch steuerlich als Betriebsausgabe abziehbar war, ergab sich in Höhe der bezogenen Dividenden ein steuerlicher Verlust. Diesen Verlust maximierte die AG, indem sie Aktien, deren Ausschüttungen sie bereits empfangen hatte, vorzeitig gegen solche austauschte, bei denen die Ausschüttung noch anstand.
Das Finanzamt sah hierin einen Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 AO) und erhöhte den Gewinn der Klägerin um die bezogenen Dividenden.
Die dagegen gerichtete Klage blieb erfolglos. Das FG rechtfertigte die Gewinnerhöhungen damit, dass die britischen Aktien im Zeitpunkt des Dividendenbezugs steuerlich nicht der AG, sondern ihrer Bank zuzurechnen seien, so dass es auf einen Gestaltungsmissbrauch nicht ankam.
Entscheidung
- Dem widerspricht der BFH und kommt entgegen der Ansicht des FG, zu dem Ergebnis, dass die Aktien der AG im Zeitpunkt der Dividendenausschüttung gem. § 39 AO steuerrechtlich zuzurechnen sind.
- Dementsprechend hat das FG die in der Konsequenz seiner Rechtsauffassung offen gelassene Frage, ob die vereinbarte Sicherheitengestellung in Form der britischen Aktien im konkreten Streitfall eine missbräuchliche Gestaltung darstellt, im zweiten Rechtsgang aufzuklären.
Gesetzliche Grundlage
- Bei der Ermittlung des Einkommens bleiben nach § 8b Abs. 1 S. 1 KStG Bezüge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung außer Ansatz.
Diese grundsätzlich auf die AG anwendbare Steuerbefreiung von Dividenden setzt jedoch voraus, dass ihr die Dividenden steuerrechtlich zuzurechnen sind (BFH-Urteile vom 16.04.2014, I R 2/12 und vom 14.08.2019, I R 44/17). - § 39 Abs. 1 AO bestimmt, dass Wirtschaftsgüter dem Eigentümer zuzurechnen sind. "Eigentümer" im Sinne dieser Regelung ist grundsätzlich der zivilrechtliche Eigentümer (Inhaber des Wirtschaftsguts). Abweichend von § 39 Abs. 1 AO bestimmt § 39 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AO, dass die Zurechnung an diejenige Person erfolgt, die die tatsächliche Herrschaft über das Wirtschaftsgut in der Weise ausübt, dass sie den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann (sog. wirtschaftliches Eigentum). Nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 AO sind die Wirtschaftsgüter beim Sicherungseigentum dem Sicherungsgeber zuzurechnen.
Wirtschaftliches Eigentum erlangt der Erwerber von Anteilen an Kapitalgesellschaften dann, wenn er alle mit der Beteiligung verbundenen wesentlichen (Verwaltungs- und Vermögens-)Rechte (insbesondere Gewinnbezugs- und Stimmrechte) ausüben kann und die mit den Wertpapieren gemeinhin verbundenen Kursrisiken und -chancen auf ihn übergegangen sind (BFH-Urteile vom 02.02.2022, I R 22/20 und vom 23.11.2022, I R 36/19).
Kein Sicherungseigentum
Auch wenn die Übertragung der britischen Aktien im Streitfall als Sicherheitengestellung bezeichnet wird, liegt kein Fall des in § 39 Abs 2 Nr. 1 S. 2 AO beispielhaft aufgezählten typischen Sicherungseigentums vor. Denn die AG als Sicherungsnehmerin konnte und durfte die Sicherheit jederzeit auch ohne Eintritt eines Sicherungsfalls veräußern.
Im Streitfall ist die Sicherungsabrede vielmehr mit einem Wertpapierdarlehen vergleichbar. Denn die AG erhielt nach der getroffenen Vereinbarung, wie der Darlehensnehmer eines Wertpapierdarlehens, uneingeschränktes (Voll-)Eigentum an den britischen Aktien und schuldete bei Beendigung des abgesicherten Geschäfts die Rückübertragung gattungsgleicher Aktien (und keine Rückgabe der nämlichen Aktien).
Für Wertpapierdarlehen hat der BFH bereits entschieden:
- Das wirtschaftliche Eigentum an Wertpapieren kann ausnahmsweise beim Darlehensgeber verbleiben, wenn die Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls ergibt, dass dem Darlehensnehmer lediglich eine formale zivilrechtliche Rechtsposition verschafft werden sollte (s. z.B. BFH-Urteil vom 18.08.2015, I R 88/13).
- Wirtschaftliches Eigentum ist anzunehmen, wenn die mit den Aktien verbundenen Kurschancen und Kursrisiken auf den Darlehensnehmer übergegangen sind, weil er an einer Verfügung über die Wertpapiere weder rechtlich noch faktisch gehindert ist und er folglich eine Änderung des Kurswerts durch Veräußerung der Aktien am Markt und spätere Wiederbeschaffung von Aktien der gleichen Gattung realisieren könnte (BFH-Urteil vom 29.09.2021, I R 40/17).
- Bedeutsam dafür, ob bei einem Wertpapierdarlehen wirtschaftliches Eigentum im Sinne des § 39 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AO übergeht, ist insbesondere der Umstand, ob der Darlehensnehmer rechtlich und tatsächlich über die überlassenen Wertpapiere verfügen kann (wirtschaftliche Dispositionsbefugnis, vgl. BFH vom 02.02.2022, I R 22/20).
AG ist wirtschaftliche Eigentümerin nach § 39 AO
- Bei der Bestimmung des wirtschaftlichen Eigentums nach § 39 AO ist zu prüfen, wem die wesentlichen mit dem Vollrecht verbundenen Rechte objektiv und in tatsächlicher Hinsicht zustehen (BFH-Urteil vom 29.09.2021, I R 40/17).
- Nicht relevant ist hingegen die subjektive Absicht, rechtlich und tatsächlich bestehende Befugnisse auch wahrnehmen zu wollen.
- Entscheidend ist vielmehr, ob der AG die Ausübung der mit den Aktien verbundenen Stimmrechte und die Möglichkeit zur Realisation einer Kursänderung der Aktien rechtlich zugestanden haben und ihr auch tatsächlich möglich gewesen sind.
Ergebnis: Da dies den Feststellungen des FG zufolge der Fall war, war die AG nicht nur zivilrechtliche Eigentümerin der britischen Aktien, die Aktien waren ihr auch nach § 39 AO steuerrechtlich zuzurechnen.
Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO ist noch zu prüfen
Der BFH hat an das FG zurückverwiesen. Dieses hat nun zu prüfen, ob die vereinbarte Sicherheitengestellung in Form der britischen Aktien im konkreten Streitfall eine missbräuchliche Gestaltung nach § 42 AO darstellt.
Für diese Würdigung hat der BFH dem FG folgende Hinweise gegeben:
- Für die Bestimmung des wirtschaftlichen Eigentums nicht relevant sind subjektive Absichten, bestehende Befugnisse auch wahrnehmen zu wollen. Solche Motive könnten jedoch bei einer Prüfung des Vorliegens eines Gestaltungsmissbrauchs beachtlich sein.
- Als außersteuerlicher Grund, der gegen einen Missbrauch von Gestaltungen nach § 42 AO spricht, hatte die AG vorgetragen, dass die von ihr abgeschlossenen Geschäfte (Wertpapierpensionsgeschäfte, gegenläufige Wertpapierdarlehensgeschäfte sowie Sicherheitengestellung), wenn man sie gemeinsam betrachtet, einen handelsrechtlichen Gewinn erzielt haben. Das sieht der BFH anders: Auch bei verbundenen Geschäften könne jedes Geschäft einzeln auf das Vorliegen eines Missbrauchs der Gestaltungsmöglichkeiten untersucht werden.
Betroffene Norm
§ 39 AO
Streitjahr 2006
Anmerkungen
Der Streitfall betrifft zwar teilweise eine alte Rechtslage. Die hier in den Fokus genommenen Aussagen des BFH zur Frage des wirtschaftlichen Eigentums sind aber weiterhin von Bedeutung.
Vorinstanz
Finanzgericht München, 14.12.2020, 7 K 899/19
Fundstelle
BFH, Urteil vom 13.11.2024, I R 3/21
BFH, Pressemitteilung vom 27.03.2025, Nr. 020/25
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 16.04.2014, I R 2/12, BFH/NV 2014, S. 1813, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 14.08.2019, I R 44/17, BFHE 267, S. 1, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 18.08.2015, I R 88/13, BStBl. II 2016, S. 961
BFH-Urteil vom 02.02.2022, I R 22/20, BStBl. II 2022, S. 324, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 23.11.2022, I R 36/19, GmbHR 2023, S. 624
BFH, Urteil vom 29.09.2021, I R 40/17, BStBl. II 2023, S. 127
BVerfG, Beschluss vom 12.10.2010, 1 BvL 12/07, siehe Deloitte Tax-News
