BFH: Zufluss nicht ausgezahlter Tantiemen bei beherrschendem Gesellschafter-Geschäftsführer
Tantiemeforderungen, die in den festgestellten Jahresabschlüssen nicht ausgewiesen sind, fließen dem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer nicht zu, auch wenn eine dahingehende Verbindlichkeit nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung in den (festgestellten) Jahresabschlüssen hätte gebildet werden müssen (entgegen Auffassung der Finanzverwaltung im BMF-Schreiben vom 12.05.2014).
Sachverhalt
Der Kläger ist alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der GmbH. Nach dem Gesellschaftsvertrag erhält er zusätzlich zu seinem monatlichen Bruttogehalt eine Tantieme in Höhe von 20% des Jahresgewinns, die einen Monat nach Feststellung des Jahresabschlusses zu zahlen war.
In den Streitjahren wurden die Tantiemen allerdings weder dem Gesellschafter-Geschäftsführer ausgezahlt noch hatte die GmbH in den Jahresabschlüssen entsprechende Passivposten gebildet.
Das Finanzamt war der Auffassung, dass die nicht ausgezahlten Tantiemen als Arbeitslohn zu versteuern sind. Hingegen vertrat das FG die Ansicht, dass vereinbarte, aber nicht ausgezahlte Tantiemen auch einem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer nicht zufließen, wenn bei der Gesellschaft keine entsprechende Verbindlichkeit passiviert worden ist und sich die Tantiemen weder in den Streitjahren noch in späteren Zeiträumen auf das Einkommen der Gesellschaft ausgewirkt haben.
Entscheidung
Der BFH kommt entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung zu dem Ergebnis, dass Tantiemeforderungen, die in den festgestellten Jahresabschlüssen nicht ausgewiesen sind, dem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer nicht zufließen, auch wenn eine dahingehende Verbindlichkeit nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung in den (festgestellten) Jahresabschlüssen hätte gebildet werden müssen.
Gesetzliche Grundlage
Tantiemen gehören zum steuerpflichtigen Arbeitslohn (vgl. § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG). Ihre Besteuerung setzt allerdings voraus, dass sie als sonstiger Bezug dem Arbeitnehmer zugeflossen sind (vgl. § 11 Abs. 1 S. 4 i.V.m. § 38a Abs. 1 S. 3 EStG).
Zuflussfiktionen bei beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführern
Bei beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführern geht der BFH in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass ein Zufluss von Einnahmen auch ohne Zahlung oder Gutschrift bereits früher vorliegen kann, nämlich mit Fälligkeit der Forderung. Denn ein beherrschender Gesellschafter habe es regelmäßig in der Hand, sich geschuldete Beträge auszahlen zu lassen, wenn der Anspruch eindeutig, unbestritten und fällig ist. Allerdings werden von dieser Zuflussfiktion nur Gehaltsbeträge und sonstige Vergütungen erfasst, die die Kapitalgesellschaft den sie beherrschenden Gesellschaftern schuldet und die sich bei der Ermittlung des Einkommens der Kapitalgesellschaft ausgewirkt haben (vgl. BFH-Urteil vom 12.07.2021, VI R 3/19; a.A. BMF-Schreiben vom 12.05.2014). Fällig werde der Anspruch auf Tantiemen erst mit der Feststellung des Jahresabschlusses, sofern die Vertragsparteien nicht zivilrechtlich wirksam und fremdüblich eine andere Fälligkeit im Anstellungsvertrag vereinbaren (vgl. BFH-Urteil vom 28.04.2020, VI R 44/17).
(Nicht) fällige Tantiemeansprüche
Der BFH bestätigt, dass dem Kläger die Tantiemen in den Streitjahren nicht zugeflossen sind. In seiner Begründung führt der BFH Folgendes aus: Die GmbH hat die Tantiemeforderungen des Gesellschafter-Geschäftsführers in ihren Jahresabschlüssen nicht als Verbindlichkeit abgebildet. Diese Jahresabschlüsse hat die Gesellschafterversammlung der GmbH entsprechend (unverändert) festgestellt. Folglich waren die streitigen Tantiemeansprüche nicht fällig, so der BFH.
Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. BMF-Schreiben vom 12.05.2014) ist nach dem BFH insoweit unerheblich, ob die Tantiemeverbindlichkeiten nach den Grundsätzen der ordnungsgemäßen Buchführung hätten passiviert werden müssen. Denn ein dahingehender Pflichtenverstoß vermag laut dem BFH die Fälligkeit einer im festgestellten Jahresabschluss nicht enthaltenen Tantiemeforderung nicht zu begründen. Deshalb sei insoweit auch ohne Bedeutung, ob die fehlende Passivierung einer Verbindlichkeit einem Buchungsfehler geschuldet war, oder ob eine Bilanzierung aus anderen Gründen von vornherein nicht in Betracht kam, etwa weil die Tantiemezusage vor der Entstehung der darin vereinbarten Tantiemeansprüche einvernehmlich aufgehoben worden ist.
Vorliegen einer verdeckten Einlage (?)
Nach dem BFH reichen die Feststellungen des FG nicht aus, um entscheiden zu können, ob dem Kläger die Forderungswerte der Tantiemeansprüche zugeflossen sind, weil er durch einen Verzicht auf seine Tantiemeansprüche eine verdeckte Einlage in die GmbH erbracht hat. Demnach fehle an Feststellungen, warum die Tantieme nicht ausgezahlt bzw. entsprechende Forderungen des Klägers nicht als Verbindlichkeit passiviert worden sind. Insbesondere sei aus den Akten nicht zu erkennen, ob der Kläger einvernehmlich mit der GmbH die Tantiemezusage vor der Entstehung der Tantiemeansprüche zum jeweiligen Jahresende aufgehoben habe, oder ob der Kläger auf die bereits entstandenen Tantiemeansprüche verzichtet habe, wodurch im letzteren Fall eine verdeckte Einlage der Forderungswerte der Tantiemeansprüche in die GmbH zu bejahen wäre.
Der BFH weist die Sache an das FG zurück. Das FG wird im zweiten Rechtsgang festzustellen haben, ob und falls ja, wann der Kläger auf die in dem Geschäftsführervertrag vereinbarten Tantiemeansprüche gegenüber der GmbH verzichtet hat.
Betroffene Norm
§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG
Streitjahre: 2015-2017
Vorinstanz
Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 30.06.2022, 12 K 58/20, EFG 2023, S. 193
Fundstelle
BFH, Urteil vom 05.06.2024, VI R 20/22
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 12.07.2021, VI R 3/19
BFH, Urteil vom 28.04.2020, VI R 44/17, BStBl. II 2021, S. 392, siehe Deloitte Tax-News
inhaltsgleich:
BFH, Urteil vom 28.04.2020, VI R 45/17, BStBl. II 2021, S. 392, siehe Deloitte Tax-News
BMF, Schreiben vom 12.05.2014, IV C 2 S 2743/12/10001, BStBl. I 2014, S. 860