FG Niedersachsen: Verfassungsmäßigkeit der Zinshöhe bei der Schuldzinsenkürzung
Bei einer Personengesellschaft sind die Überentnahmen im Sinne des § 4 Abs. 4a EStG im Gesamthands- und Sonderbetriebsvermögen unter gemeinsamer Betrachtung zu ermitteln und zu saldieren. Das FG Niedersachsen ist nicht von der Verfassungswidrigkeit der Zinssatzhöhe von 6% für die Berechnung der nichtabzugsfähigen Schuldzinsen im Streitjahr 2018 überzeugt.
FG Niedersachsen, Gerichtsbescheid vom 17.08.2023, 9 K 10136/21; BFH-anhängig: VIII R 27/23
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine GbR mit zwei Gesellschafter (A und B) mit einer Beteiligung von je 50%. In dem für die Gesamthand ermittelten Steuerbilanzgewinn waren Schuldzinsen berücksichtigt worden.
Das Finanzamt rechnete der GbR den auf den Gesellschafter B entfallenden Einkünften aus selbständiger Tätigkeit nicht abziehbare Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a EStG hinzu.
Entscheidung
Das FG kommt in Übereinstimmung mit dem Finanzamt zu dem Ergebnis, dass der Schuldzinsenabzug gemäß § 4 Abs. 4a EStG zu begrenzen ist. Bei einer Personengesellschaft sind die Überentnahmen im Sinne des § 4 Abs. 4a EStG im Gesamthands- und Sonderbetriebsvermögen unter gemeinsamer Betrachtung zu ermitteln und zu saldieren. Der Zinssatz in Höhe von 6% für die Berechnung der nichtabzugsfähigen Schuldzinsen ist im Streitjahr 2018 auch verfassungsgemäß.
Gesetzliche Grundlage
Gemäß § 4 Abs. 4a EStG sind Schuldzinsen nicht abziehbar, wenn Überentnahmen getätigt wurden. Eine Überentnahme ist der Betrag, um den die Entnahmen die Summe des Gewinns und der Einlagen des Wirtschaftsjahres übersteigen. Die nicht abziehbaren Schuldzinsen werden typisiert mit 6 % der Überentnahme des Wirtschaftsjahres zzgl. der Überentnahmen vorangegangenen Wirtschaftsjahren und abzgl. der Beträge, um die in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren der Gewinn und die Einlagen die Entnahmen überstiegen haben (Unterentnahmen) ermittelt; bei der Ermittlung der Überentnahme ist vom Gewinn ohne Berücksichtigung der nach Maßgabe dieser Regelung nicht abziehbaren Schuldzinsen auszugehen. Der sich dabei ergebende Betrag, höchstens jedoch der um 2.050 € verminderte Betrag der im Wirtschaftsjahr angefallenen Schuldzinsen (sog. Sockelbetrag oder Mindestabzug), ist dem Gewinn hinzuzurechnen.
Nach der Rechtsprechung des BFH ist die Einschränkung des Abzugs von Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a EStG in zwei Stufen zu prüfen. In einem ersten Schritt ist zu klären, ob und inwieweit Schuldzinsen überhaupt zu den betrieblich veranlassten Aufwendungen gehören. Handelt es sich um betrieblich veranlasste Aufwendungen, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob der Betriebsausgabenabzug im Hinblick auf Überentnahmen durch § 4 Abs. 4a EStG eingeschränkt ist.
Ermittlung der Überentnahmen im Gesamthands- und Sonderbetriebsvermögen unter gemeinsamer Betrachtung
Nach dem FG stellen im Streitfall die Schuldzinsen unstrittig betrieblich veranlasste Aufwendungen dar. Auch die Berechnung des konkreten Hinzurechnungsbetrags sei korrekt erfolgt.
Hervorzuheben ist, dass es zwar bei isolierter Betrachtung weder im Gesamthands- noch im Sonderbetriebsvermögen zu Überentnahmen im Sinne des § 4a Abs. 4a S. 2 EStG gekommen ist. Allerdings vertritt das FG in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH-Urteil vom 29.03.2007, IV R 72/02) die Auffassung, dass die Überentnahmen unter gemeinsamer Betrachtung von Gesamthands- und Sonderbetriebsvermögen zu ermitteln sind.
Keine verfassungsrechtlichen Zweifel an Zinssatzhöhe gemäß § 4 Abs. 4a S. 3 EStG
Die ermittelten Überentnahmen sind nach dem FG dem typisierten Zinssatz von 6% zu unterwerfen. Das FG ist auch nicht von der Verfassungswidrigkeit der Zinssatzhöhe gemäß § 4 Abs. 4a S. 3 EStG überzeugt.
Verfassungsrechtliche Zweifel an der Zinssatzhöhe scheiden dabei nicht bereits deswegen aus, weil das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17) für den Zeitraum 2014 bis 2018 trotz Unvereinbarkeit der Regelung über die Nachzahlungszinsen gemäß § 233a i. V. m. § 238 AO mit Art. 3 Abs. 1 GG dessen Fortgeltung bis zum 31. 12. 2018 angeordnet hat und auch der Streitzeitraum im hiesigen Fall in den Zeitraum der Fortgeltungsanordnung fällt. Dennoch lasse sich der o.g. Beschluss nicht unmittelbar auf die ebenfalls mit 6% typisierte Zinssatzhöhe der Schuldzinsenhinzurechnung gemäß § 4 Abs. 4a EStG übertragen. Bereits das Bundesverfassungsgericht hatte die Erstreckung der Unvereinbarkeitserklärung auch nur auf die übrigen auf § 238 AO verweisenden (Teil-)Verzinsungstatbestände unter Verweis u. a. darauf verneint, dass die Verwirklichung des Zinstatbestands in diesen Fällen (§§ 234, 235 und 237 AO) grundsätzlich auf einen Antrag der Steuerpflichtigen zurückzuführen ist oder jedenfalls von ihnen bewusst in Kauf genommen wird. Entsprechendes gilt nach dem FG erst Recht in den Fällen des § 4 Abs. 4a EStG, in denen die Entscheidung, dem Betrieb mehr Liquidität zu entziehen, als er erwirtschaftet oder eingelegt hat (vgl. BFH-Urteil vom 17.08.2010, VIII R 42/07) ebenso zur Disposition des Steuerpflichtigen steht wie die alternative Entscheidung, diesen Hinzurechnungstatbestand in Höhe der fiktiven Zinsen von 6 % nicht zu verwirklichen.
Hinzu komme, dass § 4 Abs. 4a EStG auch bereits keine mit § 233a i.V.m. § 238 AO vergleichbaren Sachverhalte regele. Zunächst sei § 4 Abs. 4a EStG anders als die auf § 238 AO verweisenden Zinstatbestände nicht - bzw. zumindest nicht vordergründig - auf den Ausgleich eines konkreten Liquiditätsvorteils gerichtet, sondern solle die Rechtsprechung (vgl. BFH-Beschluss vom 08.12.1997, GrS 1-2/95) zum steuerlichen Abzug von Schuldzinsen, die einzig auf die tatsächliche Verwendung der Darlehensmittel abstellte und damit gewisse Gestaltungsspielräume eröffnete, korrigieren.
Betroffene Norm
§ 4 Abs. 4a S. 4 EStG
Streitjahr: 2018
Anmerkungen
Zur Vollverzinsung von Steueransprüchen mit jährlich 6%
Das Bundesverfassungsgericht hatte mit Beschluss vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, siehe Deloitte Tax-News) die Regelungen für die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen ab 2014 in ihrer Höhe von monatlich 0,5 % für verfassungswidrig erklärt. Nach dem Bundesverfassungsgericht war der Zinssatz von jährlich 6% in dem sich verfestigenden Niedrigzinsniveau offensichtlich nicht mehr in der Lage, den durch eine späte Heranziehung zur Steuer entstehenden Vorteil hinreichend abzubilden. Eine übergangsweise Weiteranwendung der Verzinsungsregelung wurde für bis einschließlich in das Jahr 2018 fallende Verzinsungszeiträume zugelassen (Fortgeltungsanordnung).
Mit dem „Zweiten Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung“ vom 12.07.2022 (BGBl. I 2022, S. 1142) wurde der Zinssatz – rückwirkend für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 - für Zinsen nach § 233a AO auf 0,15% pro Monat gesenkt (siehe Deloitte Tax-News).
Zinssatz für Aussetzungszinsen möglicherweise auch verfassungswidrig
Mit Beschluss vom 08.05.2024 (VIII R 9/23, siehe Deloitte Tax-News) hat der BFH nun auch den gesetzlichen Zinssatz von 6% p.a. für sog. Aussetzungszinsen (Zeitraum: 01.01.2019 bis zum 15.04.2021) für verfassungswidrig erklärt und das Bundesverfassungsgericht angerufen.
Fundstelle
Finanzgericht Niedersachsen, Gerichtsbescheid vom 17.08.2023, 9 K 10136/21; BFH-anhängig: VIII R 27/23
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 29.03.2007, IV R 72/02, BStBl. II 2008, S. 420
BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 17.08.2010, VIII R 42/07, BStBl. II 2010, S. 1041, siehe Deloitte Tax-News
Großer Senat des BFH, Beschluss vom 08.12.1997, GrS 1-2/95, BStBl. II 1998, S.193
