BFH: AdV bei verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Höhe der Aussetzungszinsen
Aussetzung der Vollziehung wegen verfassungsrechtlicher Zweifel an der Höhe des Aussetzungszinssatzes ist nur für Zinszeiträume ab dem 01.01.2019 und lediglich in Höhe der gesetzlichen Spreizung der Aussetzungszinsen und der Nachzahlungszinsen von 0,35 Prozent für jeden Monat zu gewähren.
BFH, Beschluss vom 24.10.2024, VI B 35/24 (AdV)
Sachverhalt
Strittig ist die Rechtmäßigkeit der Festsetzung von Aussetzungszinsen.
Auf Antrag des Antragstellers gewährte das Finanzamt Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Einkommensteuerbescheids für 2002, da gegen diesen Klage erhoben worden war. Nach Klagerücknahme setzte das Finanzamt Aussetzungszinsen jeweils nach dem Zinssatz von einhalb Prozent je vollem Monat für die Zeit vom 22.01.2008 bis zum 27.03.2023 fest. Dagegen legte der Antragsteller Einspruch ein und begehrte AdV. Das Finanzamt lehnte den Antrag auf AdV ab. Den daraufhin erhobenen Antrag auf gerichtliche AdV hat das FG abgelehnt.
Entscheidung
Entgegen der Ansicht des FG kommt der BFH zu dem Ergebnis, dass AdV hinsichtlich der für den Zeitraum vom 01.01.2019 bis 27.03.2023 festgesetzten Aussetzungszinsen zu gewähren ist, allerdings nur in Höhe eines Differenzzinssatzes von 0,35 Prozent je Monat. Der Zinssatz von 0,35 Prozent errechnet sich aus der Differenz zwischen dem derzeit geltenden Aussetzungszinssatz von 0,5 Prozent und dem Zinssatz für Nachzahlungszinsen von 0,15 Prozent pro Monat.
Gesetzliche Grundlage
Nach § 128 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 S. 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel können auch verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm sein (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 28.10.2022, VI B 15/22 (AdV)).
Nach § 237 Abs. 1 S. 1 AO ist, soweit ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage keinen Erfolg gehabt hat, der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt wurde, zu verzinsen. Die Zinsen betragen für jeden Monat einhalb Prozent (§ 238 Abs. 1 S. 1 AO).
Beschluss zur Verfassungswidrigkeit des Zinssatzes für Aussetzungszinsen
Der BFH hat dem BVerfG mit Beschluss vom 08.05.2024 (VIII R 9/23) die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 237 i.V.m. § 238 Abs. 1 S. 1 AO seit dem 01.01.2019 insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als der Zinsberechnung für die Zinsen bei AdV ein Zinssatz von einhalb Prozent pro Monat zugrunde gelegt wird.
AdV ist nur in Höhe von 0,35 Prozent pro Monat zu gewähren
Allerdings rechtfertigt dieser Beschluss die AdV im Streitfall nach Ansicht des BFH nicht in voller Höhe. Denn die vom BFH dort angeführten Argumente im Hinblick auf die Verfassungswidrigkeit der Zinshöhe (Niedrigzinsphase/Ungleichbehandlung im Vergleich zu den Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO in Höhe von nur noch 0,15 Prozent pro Monat) greifen letztlich nur im Hinblick auf die gesetzliche Spreizung der Zinssätze bei AdV-Zinsen und Nachzahlungszinsen und damit in Höhe von 0,35 Prozent für jeden Monat.
Betroffene Normen
§ 238 Abs. 1 S. 1 AO
Streitjahr 2002
Fundstelle
BFH, Beschluss vom 24.10.2024, VI B 35/24 (AdV)
Weitere Fundstellen
BFH, Vorlagebeschluss vom 08.05.2024, VIII R 9/23, BVerfG-anhängig: 1 BvL 8/24, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Beschluss vom 28.10.2022, VI B 15/22 (AdV), BStBl. II 2023, S. 12, siehe Deloitte Tax-News