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20.09.2012
Verfahrensrecht

BFH: Bindungswirkung einer Billigkeitsentscheidung

Das Finanzamt trifft eine verbindliche Entscheidung für die Steuerfestsetzung, wenn es aufgrund des Antrags eines Steuerpflichtigen, aus Billigkeitsgründen eine abweichende Steuer festzusetzen, erklärungsgemäß veranlagt. Die Billigkeitsentscheidung ist von der Steuerfestsetzung abzugrenzen. Sie wird durch einen Verwaltungsakt getroffen, der mit Blick auf die Steuerfestsetzung als Grundlagenbescheid eine Bindungswirkung auslöst. Der Vorbehaltsvermerk erstreckt sich nicht auf den gewährten Billigkeitserweis.

Sachverhalt
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), betrieb die Erzeugung und Vermarktung von landwirtschaftlichen Produkten aller Art und hatte ihr Feldinventar (d.h. die aufgrund der Feldbestellung auf den Feldern vorhandenen Pflanzenbestände) bilanziert. In der Bilanz zum 31.12.2007 setzte die Klägerin den Wert des Feldinventars mit 0 Euro an und fügte als Erläuterung den Hinweis bei, dass sie im Berichtsjahr erstmalig vom Wahlrecht der Nichtaktivierung des Feldinventars Gebrauch gemacht hat (R 131 Abs. 2 S. 3 EStR 2001, R 14 Abs. 2 S. 3 EStR 2005). Das Finanzamt veranlagte erklärungsgemäß und unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 S. 1 AO). Nach einer Außenprüfung vertrat das Finanzamt die Auffassung, dass das Feldinventar bilanziert werden müsse und stützte den Änderungsbescheid auf § 164 Abs. 2 S. 1 AO. Mit diesem Bescheid, der keine Ausführungen zur Billigkeitsregelung enthält, hob das Finanzamt zugleich den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Das Finanzgericht gab der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage statt, das Finanzamt legte Revision ein.

Entscheidung
Die Revision ist unbegründet. Das Finanzamt hatte im Ursprungsbescheid eine verbindliche Entscheidung dahingehend getroffen, der Klägerin im Wege der Billigkeit einen einkommensmindernden Abzug des bisherigen Werts des Umlaufvermögens (Feldinventar) zu gewähren. Der Änderungsbescheid konnte nicht auf § 164 Abs. 2 S. 1 AO gestützt werden.

Die ursprüngliche Veranlagung des Streitjahres erging rechtswirksam unter Nachprüfungsvorbehalt. Das Finanzamt konnte einen Änderungsbescheid grundsätzlich auf den Vorbehalt der Nachprüfung stützen (§ 164 Abs. 2 S. 1 AO). Eine Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme (§ 163 AO) wird durch Verwaltungsakt getroffen. Auch wenn dieser Verwaltungsakt gemäß § 163 S. 3 AO mit der Steuerfestsetzung verbunden wird, ändert das nichts daran, dass es sich hierbei um eine gesonderte Entscheidung handelt. Mit Blick auf die Steuerfestsetzung ist dieser Verwaltungsakt Grundlagenbescheid, der eine Bindungswirkung auslöst (vgl. BFH-Urteile vom 21.01.1992, 08.08.2001, 16.03.2004, 14.04.2011). Der Verwaltungsakt muss klar, eindeutig und widerspruchslos erkennen lassen, welche Rechtswirkungen er entfalten soll. Einer Billigkeitsentscheidung des Finanzamts muss zu entnehmen sein, ob und in welchem Umfang von der an sich gesetzlich vorgesehenen Steuerfestsetzung abgewichen worden ist; es kann genügen, dass sich die abweichende Steuerfestsetzung aus der Höhe der festgesetzten Steuer ermitteln lässt.

Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin aus dem ursprünglichen Steuerbescheid habe ableiten können und dürfen, dass das Finanzamt dem Billigkeitsantrag in vollem Umfang stattgegeben hat. Denn die Klägerin hatte mit der Steuererklärung ausdrücklich einen Antrag auf Gewährung der Billigkeitsmaßnahme gestellt und das Finanzamt hat die Steuer erklärungsgemäß festgesetzt. Für den Steuerpflichtigen war also ersichtlich, dass die Steuer, wie von ihm beantragt, aus Billigkeitsgründen abweichend festgesetzt worden ist. Eines ausdrücklichen Hinweises auf den Billigkeitserweis bedurfte es in Anbetracht dessen nicht.

Dem steht nicht entgegen, dass das Finanzamt die (erklärungsgemäße) Festsetzung mit der Nebenbestimmung des § 164 Abs. 1 S. 1 AO versehen hat. Der Vorbehaltsvermerk erstreckt sich nicht auf die Billigkeitsentscheidung. Sie ist von der eigentlichen Steuerfestsetzung abzugrenzen. Der Nachprüfungsvorbehalt bezieht sich auf sämtliche (anderen) Besteuerungsgrundlagen der Festsetzung des Streitjahres und lediglich der Billigkeitserweis wird davon ausgespart. Die Klägerin musste damit aus der Existenz der Nebenbestimmung nicht darauf schließen, dass die Billigkeitsentscheidung noch ausstehe.

Betroffene Norm
§ 163 AO, § 164 AO
Streitjahr 2007

Vorinstanz
Sächsisches Finanzgericht, Urteil vom 16.03.2011, 2 K 1833/10, EFG 2011, S. 1758

Fundstelle
BFH, Beschluss vom 12.07.2012, I R 32/11

Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 21.01.1992, VIII R 51/88, BStBl II 1993, S. 3
BFH, Urteil vom 08.08.2001, I R 25/00, BStBl II 2003, S. 923
BFH, Urteil vom 16.03.2004, VIII R 33/02, BStBl II 2004, S. 927
BFH, Urteil vom 14.04.2011, IV R 15/09, BStBl II 2011, S. 706

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