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15.03.2023
Verfahrensrecht

BFH: Kein Drittanfechtungsrecht der Gesellschafter bei Feststellungsbescheiden zum steuerlichen Einlagekonto

Der Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft ist nicht befugt, den gegen die Kapitalgesellschaft ergangenen Bescheid über die gesonderte Feststellung des Bestands des steuerlichen Einlagekontos anzufechten.

Sachverhalt

Eine AG dänischen Rechts (Klägerin) war Gesellschafterin einer inländischen GmbH. Die GmbH gab 2008 eine Erklärung zur gesonderten Feststellung des steuerlichen Einlagekontos zum 31.12.2007 ab, in der der Bestand des Einlagekontos mit 0 € angegeben wurde. Dabei wurde eine im Streitjahr 2007 in die Kapitalrücklage geleistete Zahlung i.H.v. ca. 800.000 € versehentlich nicht berücksichtigt. Das Finanzamt stellte den Bestand des steuerlichen Einlagekontos erklärungsgemäß mit 0 € fest.

Die Gesellschafterin (hier: die AG) legte Einspruch gegen den Feststellungsbescheid ein und beantragte, den richtigen Bestand des steuerlichen Einlagekontos zu erfassen.

Finanzamt und FG waren der Auffassung, die Gesellschafterin sei aufgrund eines fehlenden Drittanfechtungsrechts nicht gem. § 40 Abs. 2 FGO befugt, den gegenüber der GmbH ergangenen Feststellungsbescheid anzufechten.

Entscheidung

Der BFH kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass der Gesellschafterin kein Drittanfechtungsrecht zusteht und sie daher nicht befugt ist, den gegenüber der GmbH ergangenen Feststellungsbescheid anzufechten.

Adressatin des Feststellungsbescheids ist klagebefugt

Nach Auffassung des BFH ist die Kapitalgesellschaft (hier: die GmbH) als Adressatin des Feststellungsbescheids - ungeachtet der vorrangig anteilseignerbezogenen Wirkungen des Bescheids - klagebefugt.
Der Feststellungsbescheid des § 27 Abs. 2 KStG richtet sich nach der BFH-Rechtsprechung ausschließlich gegen die dort genannte Kapitalgesellschaft (hier: die GmbH). Obgleich dem steuerlichen Einlagekonto für die eigene Ertragsbesteuerung der Kapitalgesellschaft keine unmittelbare Bedeutung zukommt, hat der BFH dieser die Befugnis anerkannt, gegen den Feststellungsbescheid außergerichtlich und gerichtlich vorzugehen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 30.01.2013, I R 35/11).

Materiell-rechtliche Bindungswirkung des Feststellungsbescheids für den Gesellschafter

Der Feststellungsbescheid entfalte über § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG materiell-rechtliche Bindungswirkung auch für die Anteilseigner. Nach dieser Vorschrift gehören Bezüge aus Anteilen an einer Körperschaft nicht zu den Einnahmen aus Kapitalvermögen, soweit für diese Eigenkapital i.S. des § 27 KStG als verwendet gilt. Materielles Tatbestandsmerkmal des § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG ist nach Ansicht des BFH damit der im Bescheid nach § 27 Abs. 2 KStG ausgewiesene Bestand. Gilt danach das steuerliche Einlagekonto für die Leistung der Körperschaft als verwendet, ist diese Verwendungsfiktion auch auf der Ebene der Gesellschafter zu beachten. Ein Gesellschafter kann sich deshalb in einem die eigene Besteuerung betreffenden Verfahren nicht mit Erfolg darauf berufen, das steuerliche Einlagekonto sei im Bescheid über die Feststellung des steuerlichen Einlagekontos unzutreffend ausgewiesen (vgl. BFH-Urteil vom 19.05.2010, I R 51/09).

Keine Begründung eines Drittanfechtungsrechts für den Gesellschafter

Trotz der materiell-rechtlichen Tatbestandswirkung des Feststellungsbescheids für den Gesellschafter (hier: die AG) der Kapitalgesellschaft wird laut dem BFH kein Drittanfechtungsrecht begründet.

Der BFH grenzt den Streitfall von anderen Fallkonstellationen, welche ein Drittanfechtungsrecht begründen ab. So könne zwar der Einbringende den Körperschaftsteuerbescheid des aufnehmenden Unternehmens mit der Begründung anfechten, der dort zugrunde gelegte Wertansatz für das eingebrachte Vermögen sei zu hoch bemessen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 08.06.2011, I R 79/10). Im letztgenannten Fall sei allerdings die aufnehmende Körperschaft rechtlich auch gar nicht in der Lage den Körperschafsteuerbescheid erfolgreich anzufechten, weil sie selbst durch einen zu hohen Wertansatz nicht beschwert ist. Im Streitfall bestehe aber keine vergleichbare Situation, so der BFH. Denn die Körperschaft (hier: die GmbH) könne den Feststellungsbescheid vollumfänglich außergerichtlich und gerichtlich überprüfen lassen.

(Andernfalls) Verstoß gegen Gebot der Rechtssicherheit

Mit der Zuerkennung eines Drittanfechtungsrechts des Gesellschafters würde jederzeit auch für weit zurückreichende Besteuerungszeiträume die jeweils maßgebliche Höhe des Einlagekontos in Zweifel gezogen werden können. Denn die Gesellschafter wären bei Zuerkennung eines eigenen Anfechtungsrechts wegen fehlender Bekanntgabe des Feststellungsbescheids an sie jederzeit befugt, die Feststellung mit dem Einspruch anzugreifen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 06.07.2011, II R 44/10). Auch die Verjährungsvorschriften würden ein etwaiges Anfechtungsrecht des Gesellschafters nicht eingrenzen, da § 181 Abs. 5 S. 1 AO eine „faktische“ Unverjährbarkeit bewirke. Dieses Ergebnis wäre aus Sicht des BFH mit dem das steuerliche Verfahrensrecht prägenden Gebot der Rechtssicherheit nicht vereinbar.

Vereinbarkeit mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG

Die Versagung eines eigenen Drittanfechtungsrechts für den Gesellschafter ist nach Ansicht des BFH auch mit der Rechtsschutzgarantie gem. Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar, da der Kapitalgesellschaft (hier: der GmbH) umfassende Anfechtungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Zu berücksichtigen sei auch, dass Gesellschaft und Gesellschafter gesellschaftsvertraglich miteinander verbunden und die Gesellschafter ihre hieraus resultierenden Befugnisse (z.B. Informationsrechte) einsetzen können, um die Kapitalgesellschaft zur Einlegung von Einsprüchen gegen vermeintlich rechtswidrige Feststellungsbescheide zu veranlassen.

Betroffene Normen

§ 27 KStG; § 40 Abs. 2 FGO

Streitjahr 2007

Anmerkungen

BFH-Beschluss vom 10.12.2019, I B 35/19

Mit Beschluss vom 10.12.2019 (I B 35/19, siehe Deloitte Tax-News) hatte der BFH bereits entschieden, dass ein Gesellschafter einer GmbH die Rechtswidrigkeit eines bereits unanfechtbar gewordenen Feststellungsbescheids, der eine unzutreffende Höhe des Bestands des steuerlichen Einlagekontos aufweist, nicht im Wege eines Drittanfechtungsrechts geltend machen kann. Dies hat der BFH in seiner hier dargestellten Entscheidung vom 21.12.2021 (I R 53/19) bekräftigt.

Praxishinweise

Das Urteil des BFH vom 21.12.2022 (I R 53/19) bestätigt erneut, dass die Feststellungserklärungen über den Bestand des steuerlichen Einlagekontos gemäß § 27 Abs. 2 S. 4 KStG und die Bescheinigungen über Leistungen des steuerlichen Einlagekontos gemäß § 27 Abs. 3 KStG äußerst sorgfältig zu erstellen bzw. die entsprechenden Feststellungsbescheide sorgfältig zu prüfen sind, da ansonsten ggfs. „nichts mehr zu retten“ ist.

Vorinstanz

Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, Urteil vom 19.09.2019, 1 K 73/18

Fundstellen

BFH, Urteil vom 21.12.2022, I R 53/19, BStBl II 2023, S. 504, BVerfG-anhängig: 1 BvR 1060/23

Pressemitteilung Nr. 17/23 vom 09.03.2023

Weitere Fundstellen

BFH, Beschluss vom 10.12.2019, I B 35/19, BStBl. II 2020, S. 517, siehe Deloitte Tax-News

BFH, Urteil vom 30.01.2013, I R 35/11, BStBl. II 2013, S. 560, siehe Deloitte Tax-News 

BFH, Urteil vom 19.05.2010, I R 51/09, BStBl. II 2014, S. 937, siehe Deloitte Tax-News 

BFH, Urteil vom 08.06.2011, I R 79/10, BStBl. II 2012, S. 421, siehe Deloitte Tax News 

BFH, Urteil vom 06.07.2011, II R 44/10, BStBl. II 2012, S. 5, siehe Deloitte Tax News

 

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