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15.07.2011
Verfahrensrecht

BFH: Keine Anlaufhemmung bei Antragsveranlagung zur Einkommensteuer

Für Antragsveranlagungen gilt die dreijährige Anlaufhemmung (§ 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO) nicht. Die daraus resultierende Ungleichbehandlung derjenigen Steuerpflichtigen, die nur auf Antrag zu veranlagen sind, gegenüber denjenigen, für die eine Veranlagungspflicht besteht, ist verfassungsrechtlich unbedenklich.

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) haben in den Streitjahren 2002 und 2003 ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt. Am 13.11.2008 reichten sie beim Finanzamt Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre ein. Das Finanzamt lehnte die Durchführung der Antragsveranlagung mit der Begründung ab, dass die Abgabefrist von zwei Jahren versäumt und auch bis zum 28.12.2007 keine Steuererklärung eingereicht worden sei. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Entscheidung

Besteht das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen bereits ein Steuerabzug vorgenommen worden ist (Lohnsteuerabzug), so wird eine Veranlagung auf Antrag des Steuerpflichtigen durchgeführt (§ 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG). Dies erfolgt durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung.

Durch das Jahressteuergesetz 2008 (BGBl I 2007, S. 3150) ist die Voraussetzung, dass der Antrag bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahres zu stellen war, entfallen. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG n.F. ist erstmals für den Veranlagungszeitraum 2005 anzuwenden und in Fällen, in denen über einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer am 28.12.2007 noch nicht bestandskräftig entschieden ist. So liegt der Fall hier. Eine bestandskräftige Ablehnung eines Antrags der Kläger auf Durchführung der Einkommensteuer-Veranlagungen für die Streitjahre lag nicht vor. Es ist nicht erforderlich, dass Anträge auf Veranlagung für Veranlagungszeiträume vor 2005 bereits vor dem 28.12.2007 bei den Finanzbehörden eingegangen sind (BFH-Urteil vom 12.11.2009).

Im Streitfall steht der Veranlagung jedoch der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegen (BFH-Urteil vom 12.11.2009). Die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer beträgt vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO). Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO). Die Einkommensteuer für 2002 verjährte demnach mit Ablauf des Jahres 2006, diejenige für 2003 mit Ablauf des Jahres 2007. Der Ablauf der Festsetzungsfrist war vorliegend nicht gehemmt (§ 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO), weil keine Steuererklärung einzureichen war.

Gleichheitsrechtliche Bedenken dagegen, dass die Anlaufhemmung nur für diejenigen Steuerpflichtigen gilt, für die eine Veranlagungspflicht besteht, nicht jedoch für diejenigen, die nur auf Antrag zu veranlagen sind, bestehen nicht. Denn Art. 3 Abs. 1 GG verlangt lediglich nach der Gleichbehandlung nämlicher Sachverhalte. Zwischen Pflicht- und Antragsveranlagung bestehen jedoch Sachunterschiede, die eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf eine Anlaufhemmung rechtfertigen. Denn die Anlaufhemmung (§ 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO) soll nach der Rechtsprechung des BFH verhindern, dass durch eine späte Einreichung der Steuererklärung die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit verkürzt wird (BFH-Urteil vom 06.06.2007). 

Betroffene Normen

§ 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO, § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG i.d.F. des JStG 2008, § 52 Abs. 55j S. 2 EStG i.d.F. des JStG 2008
Streitjahre 2002 und 2003

Vorinstanz

Finanzgericht Baden-Württemberg, Entscheidung vom 04.05.2010, 4 K 478/10, EFG 2010, S. 1611 (zu VI R 53/10) 

Fundstelle

BFH, Urteil vom 14.04.2011, VI R 53/10, BStBl II 2011, S. 746 

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 12.11.2009, VI R 1/09, BStBl II 2010, S. 406
BFH, Urteil vom 06.06.2007, II R 54/05, BStBl II 2007, S. 954 
 

BFH-Urteile vom 14.04.2011, vom 06.10.2011 und vom 18.10.2012

Der BFH hat in weiteren Urteilen entschieden, dass die Anlaufhemmung bei Antragsveranlagung keine Anwendung findet..

Vorinstanzen 
Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 28.02.2011, 10 K 3092/08, EFG 2011, S. 1228 (zu VI R 16/11)
Finanzgericht Münster, Urteil vom 28.02.2011, 11 K 3311/10 E (zu VI R 17/11
Finanzgericht Münster, Urteil vom 21.05.2010, 12 K 794/09 E, EFG 2011, S. 538 (zu VI R 86/10)

Fundstellen 
BFH, Urteil vom 18.10.2012, VI R 16/11, nicht amtlich veröffentlicht
BFH, Urteil vom 06.10.2011, VI R 17/11 
BFH, Urteil vom 14.04.2011, VI R 86/10, nicht amtlich veröffentlicht

Siehe auch BFH, Urteil vom 14.04.2011, VI R 77/10, nicht amtlich veröffentlicht.

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