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25.06.2015
Verfahrensrecht

BFH: Schlichtes Vergessen keine grobe Fahrlässigkeit bei elektronischer ESt-Erklärung

Der Begriff des Verschuldens i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist bei elektronisch gefertigten Steuererklärungen zwar in gleicher Weise auszulegen wie bei schriftlich gefertigten Erklärungen, allerdings sind bei der Beurteilung des individuellen Verschuldens Besonderheiten der elektronischen Steuererklärung hinsichtlich ihrer Übersichtlichkeit zu beachten. Das schlichte Vergessen eines Übertrags von vorab selbst ermittelten Besteuerungsgrundlagen in die Steuererklärung ist nicht als grob fahrlässig zu werten.

Sachverhalt

Der Kläger war an einer GmbH beteiligt, aus deren Auflösung er einen steuerlich berücksichtigungsfähigen Verlust erzielte, worauf er seinen Steuerberater hinwies. Dieser ermittelte den Auflösungsverlust, vergaß jedoch den Betrag in die elektronische Steuererklärung für das Streitjahr 2007 einzutragen. Folglich berücksichtige das Finanzamt den Verlust nicht. Im Jahr 2011 beantragte der Kläger erfolglos die nachträgliche Berücksichtigung des Auflösungsverlustes für das Streitjahr. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

Entscheidung

Mangels ausreichender Feststellungen des FG könne der BFH nicht entscheiden, ob den Steuerberater des Klägers ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden des Auflösungsverlusts treffe, welches sich der Kläger zurechnen lassen müsse.

Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.

Der Begriff des Verschuldens i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sei bei elektronisch gefertigten Steuererklärungen in gleicher Weise auszulegen wie bei schriftlich gefertigten Erklärungen. Allerdings seien Besonderheiten der elektronischen Steuererklärung hinsichtlich ihrer Übersichtlichkeit bei der Beurteilung des individuellen Verschuldens ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass am Computerbildschirm ein Überblick über die ausfüllbaren Felder der elektronischen Steuererklärung mitunter schwieriger zu erlangen sei, als in einer Steuererklärung in Papierform (vgl. BFH-Urteil vom 20.03.2013).

Im Streitfall bestand die Nachlässigkeit, die dazu geführt habe, dass der Verlustbetrag nicht in die entsprechende Anlage zur Einkommensteuererklärung eingetragen wurde, lediglich darin, dass der steuerliche Berater des Klägers es "schlicht vergessen" habe, den errechneten Verlust in das elektronische Formular zu übertragen. Das im Streitfall maßgebliche Versäumnis stelle einen unbewussten – rein mechanischen – Fehler dar, der jederzeit bei der Verwendung eines Steuerprogramms unterlaufen kann. Solche bloßen Übertragungs- oder Eingabefehler zählen zu den Nachlässigkeiten, die üblicherweise vorkommen und mit denen immer gerechnet werden müsse. Sie seien nicht als grob fahrlässig zu werten, wenn sie selbst bei sorgfältiger Arbeit nicht zu vermeiden seien (vgl. BFH-Urteil vom 13.09.1990).

Es sei nur dann von einer groben Fahrlässigkeit auszugehen, wenn der Steuerpflichtige bzw. sein steuerlicher Berater in Steuerformularen gestellte Fragen bewusst nicht beantworte oder klare und ausreichend verständliche Hinweise und Angaben bewusst unbeachtet lasse (vgl. BFH-Urteil vom 09.08.1991).

Betroffene Norm

§ 173 Abs.1 Nr. 2 AO
Streitjahr 2007

Anmerkung

Die Finanzverwaltung vertritt möglicherweise eine etwas strengere Sichtweise als der BFH. Sie stellt zwar in Tz. 5.6 AEAO zu § 173 AO ebenfalls fest, dass nicht zwischen Steuererklärungen auf Papier und elektronisch erstellten Steuererklärungen zu unterscheiden sei. Im Gegensatz zum BFH wird dieser Grundsatz durch die Finanzverwaltung aber nicht dahingehend weiter eingeschränkt, dass bei der Beurteilung des "individuellen Verschuldens" Besonderheiten der elektronischen Steuererklärung hinsichtlich ihrer Übersichtlichkeit zu berücksichtigen seien. Folglich bleibt abzuwarten, ob die Finanzverwaltung das Urteil des BFH anwenden wird.

Vorinstanz

FG Münster, Urteil vom 23.01.2014, 8 K 2198/11 F, EFG 2014, S. 1748

Fundstelle

BFH, Urteil vom 10.02.2015, IX R 18/14, BStBl II 2017 Seite 7

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 20.03.2013, VI R 9/12

BFH, Urteil vom 09.08.1991, III R 24/87, BStBl. II 1992, S. 65

BFH, Urteil vom 13.09.1990, V R 110/85, BStBl. II 1991, S. 124

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