FG Berlin-Brandenburg: Festsetzung eines Verzögerungsgeldes
Mit Urteil vom 24.04.2014, IV R 25/11, hat der BFH die Auffassung des FG Berlin-Brandenburg bestätigt, nach der das FA das Verzögerungsgeld ermessensfehlerhaft festgesetzt hat. Der BFH bejahte ebenso wie das FG einen Ermessensfehler hinsichtlich des Auswahlermessens. Außerdem habe das FA auch sein Entschließungsermessen fehlerhaft ausgeübt.
BFH, Urteil vom 24.04.2014, IV R 25/11, siehe Deloitte Tax-News
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FG Berlin-Brandenburg (Vorinstanz):
Das Finanzamt kann ein Verzögerungsgeld festsetzen, um den Steuerpflichtigen zur fristgerechten Vorlage von Unterlagen im Rahmen der Betriebsprüfung anzuhalten. Bei der Ausübung seines Ermessens bzgl. der Höhe (Auswahlermessen) kann es entscheidend auf die Dauer der Fristüberschreitung abstellen. Dabei dürfen aber Zeiten nicht eingerechnet werden, in denen ein (behördlicher oder gerichtlicher) AdV-Antrag läuft bzw. AdV gewährt worden ist.
Sachverhalt
Die Klägerin legte im Dezember 2008 gegen die Anordnung einer Außenprüfung Einspruch ein und beantragte deren Aussetzung der Vollziehung (AdV). Nach ablehnender Einspruchsentscheidung wurde Klage eingelegt und ein gerichtlicher AdV-Antrag gestellt. Beide Verfahren wurden eingestellt, da die Einspruchsentscheidung aufgrund einer zwischenzeitlichen Umwandlung der Klägerin nicht wirksam bekannt gegeben worden war. Mit Schreiben vom 09.12.2009 teilte das Finanzamt der Klägerin mit, dass mit der Außenprüfung am 11.01.2010 begonnen werde und forderte dazu die relevanten Unterlagen an. Für den Fall des Nichtvorliegens der Unterlagen bis zum 11.01.2010 drohte das Finanzamt die Festsetzung eines Verzögerungsgelds an.
Die Klägerin legte Anfang Januar 2010 Einspruch „gegen die geänderte Prüfungsanordnung vom 09.12.2009“ ein und beantragte AdV. Das Finanzamt lehnte den AdV-Antrag mit Bescheid vom 28.01.2010 ab und setzte mit Bescheid vom 03.03.2010 ein Verzögerungsgeld in Höhe von Euro 4.800 fest. Dabei wurde ein Tagessatz von Euro 100 für den Zeitraum 11.01.2010 bis 01.03.2010 zugrundegelegt. Die Beteiligten streiten über die Festsetzung eines Verzögerungsgelds.
Entscheidung
Der Bescheid über die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes in Höhe von Euro 4.800 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Zwar ist der Bescheid über die Festsetzung des Verzögerungsgeldes formell rechtmäßig und auch die materiellen Voraussetzungen des § 146 Abs. 2b AO sind erfüllt. Denn nach dieser Norm kann ein Verzögerungsgeld unter anderem dann festgesetzt werden, wenn der Steuerpflichtige einer Aufforderung der zuständigen Finanzbehörde zur Vorlage von Unterlagen im Rahmen einer Außenprüfung nicht innerhalb einer ihm bestimmten angemessenen Frist nachkommt, wobei keine Verbindung mit einer Verlagerung der Buchführung in das Ausland erforderlich ist (vgl. dazu Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 01.02.2011). Das Finanzamt hat jedoch sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt.
Ein Ermessen ist sowohl für die Frage, ob ein Verzögerungsgeld festgesetzt werden soll (Entschließungsermessen), als auch für die Höhe eines Verzögerungsgeldes (Auswahlermessen) eröffnet. Es kann offen gelassen werden, ob das Finanzamt im Streitfall sein Entschließungsermessen fehlerhaft ausgeübt hat, denn in jedem Fall fand eine fehlerhafte Ausübung des Auswahlermessens statt. Für eine ermessensgerechte Bestimmung der Höhe des Verzögerungsgeldes ist von dem Zweck des § 146 Abs. 2b AO auszugehen. Wegen der zugleich repressiven Zielsetzung der Vorschrift sind die Dauer der Fristüberschreitung, die Höhe des zu erwartenden Mehrergebnisses, die aus der verspäteten Mitwirkung gezogenen Vorteile, der Umfang der nicht vorgelegten Unterlagen sowie das Verschulden und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen. Dabei ist es nicht zu beanstanden, dass das Finanzamt unter Betonung des Sanktionscharakters des Verzögerungsgelds maßgeblich auf die Fristüberschreitung abgestellt hat.
Die fehlerhafte Ermessensausübung folgt jedoch daraus, dass der Beklagte unzutreffend von einer relevanten Verzögerung ab 11.01.2010 ausging. Denn nach Auffassung des erkennenden Senats dürfen in die Dauer der Fristüberschreitung keine Zeiten eingerechnet werden, in denen ein (behördlicher oder gerichtlicher) AdV-Antrag läuft bzw. AdV gewährt worden ist (z. B. hinsichtlich der Prüfungsanordnung, der Bestimmung des Prüfungsbeginns oder der Aufforderung zur Vorlage von Unterlagen). Dies gebietet das Erfordernis eines umfassenden und effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG, da die Vorlage von Unterlagen nicht wieder rückwirkend beseitigt werden kann. Außerdem ist nicht zu befürchten, dass dem Steuerpflichtigen dadurch die Möglichkeit eröffnet wird, durch wiederholte AdV-Anträge den Zweck des Verzögerungsgeldes auszuhebeln. Denn ein Aufschub des relevanten Verzögerungszeitraums setzt nach Auffassung des erkennenden Senats einen zulässigen AdV-Antrag voraus. Diese Voraussetzung ist beispielsweise dann nicht erfüllt, wenn die Finanzbehörde nach Beendigung eines AdV-Verfahrens lediglich eine wiederholende Verfügung erlässt, in der aktualisierte Termine für den tatsächlichen Beginn der Prüfung bzw. für die Frist zur Vorlage der angeforderten Unterlagen genannt werden (vgl. BFH-Beschluss vom 04.03.2008; BFH-Urteil vom 25.02.1997).
Im Streitfall begann die relevante Verzögerung demnach erst mit Bekanntgabe der ablehnenden Entscheidung des Finanzamts hinsichtlich des AdV-Antrags gegen die „geänderte Prüfungsanordnung“ vom 09.12.2009, d. h. am 31.01.2010.
Betroffene Norm
§ 146 Abs. 2b AO
Streitjahr 2010
Anmerkungen
Im Rahmen eines AdV-Verfahrens hat der BFH die mehrfache Festsetzung eines Verzögerungsgeldes wegen fortdauernder Nichtvorlage derselben Unterlagen als zweifelhaft angesehen. BFH, Beschluss vom 16.06.2011, IV B 120/10, siehe Deloitte Tax-News. Das Hauptsacheverfahren ist beim Finanzgericht Sachsen-Anhalt anhängig: 3 K 1235/10.
Der BFH hat in seinem Beschluss offengelassen, ob eine Vervielfältigung des Verzögerungsgeldes erlaubt ist, wenn mehrere Unterlagen angefordert, mehrere Mitwirkungspflichten eingefordert oder bestimmte Pflichten fortdauernd verletzt werden. Das Hessische Finanzgericht lehnt im AdV-Verfahren die Vervielfachung des Mindestbetrages nach der Anzahl der Pflichtverletzungen ab. Allerdings soll die Anzahl der Pflichtverletzungen bei der Festsetzung der Höhe des Verzögerungsgeldes berücksichtigt werden. Hessisches Finanzgericht, Beschluss vom 08.08.2011, 8 V 1281/11, rechtskräftig, EFG 2011, S. 1949.
Fundstelle
BFH, Urteil vom 24.04.2014, IV R 25/11, siehe Deloitte Tax-News
Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.05.2011, 13 K 13246/10, EFG 2011, S. 1945, BFH-anhängig: IV R 25/11
Weitere Fundstellen
Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, Urteil vom 01.02.2011, 3 K 64/10, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Beschluss vom 04.03.2008, VII B 13/07, BFH/NV 2008, S. 1104
BFH, Urteil vom 25.02.1997, VII R 129/95, BFH/NV 1997, S. 542