FG Münster: Neu entstandene Beweismittel sind keine neuen Tatsachen
Beweismittel, die erst nach der abschließenden Zeichnung des zu ändernden Bescheids entstehen, sind nicht nachträglich bekannt geworden. Ein nachträgliches Bekanntwerden setzt voraus, dass die Beweismittel bei Erlass des Steuerbescheids bereits vorhanden, aber dem Finanzamt nicht bekannt waren. Daher kann ein Steuerbescheid nicht wegen neu entstandener Beweismittel nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO geändert oder aufgehoben werden.
Sachverhalt
Der Kläger beantragte im Oktober 2008 Kindergeld. Das Finanzamt forderte den Kläger daraufhin auf, verschiedene Unterlagen zum Nachweis des Grades der Behinderung des Kindes innerhalb einer vorgegebenen Frist vorzulegen. Nach Ablauf dieser Frist lehnte das Finanzamt mit Bescheid vom 11.08.2009 den Kindergeldfestsetzungsantrag ab, da der Kläger keinerlei Unterlagen vorgelegt hatte. Mangels Einlegung eines Einspruches wurde dieser Bescheid bestandskräftig.
Im Oktober 2010 erfolgte ein erneuter Antrag des Klägers auf Gewährung von Kindergeld. Der Kläger legte einen Bescheid des zuständigen Versorgungsamtes vom 12.01.2010 vor, in dem der Grad der Behinderung ab 16.03.2009 bescheinigt wird. Das Finanzamt lehnte die Kindergeldfestsetzung bis zum Monat der Bekanntgabe des Erstbescheids vom 11.08.2009 ab und gewährte erstmalig Kindergeld rückwirkend ab September 2009.
Streitig ist, ob der Bescheid vom 11.08.2009 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern und das Kindergeld damit auch für den Zeitraum vor September 2009 zu gewähren ist.
Entscheidung
Das Finanzamt hat zu Recht die Änderung des bestandskräftigen Bescheids vom 11.08.2009 mangels Änderungsnormen abgelehnt. Insbesondere kommt eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht in Betracht.
Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 AO). Der Bescheid des Versorgungsamtes vom 12.01.2010 ist ein Beweismittel i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, da hiermit die Behinderung nachgewiesen wird. Dieses Beweismittel ist dem Finanzamt aber nicht nachträglich bekannt geworden. Tatsachen oder Beweismittel werden nachträglich bekannt, wenn sie zum Zeitpunkt der abschließenden Zeichnung des zu ändernden Bescheides vorhanden, aber dem Finanzamt bzw. dessen zuständigen Sachbearbeiter nicht bekannt waren. Im Streitfall ist der Bescheid des Versorgungsamtes als Beweismittel erst im Januar 2010 entstanden und stellt daher kein beim Erlass des ursprünglichen Kindergeldablehnungsbescheides vom 11.08.2009 vorhandenes aber unbekanntes Beweismittel dar.
Selbst wenn der Bescheid des Versorgungsamtes ein nachträglich bekannt gewordenes Beweismittel wäre, träfe den Kläger ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden dieses Beweismittels. Denn der Kläger hat es schuldhaft unterlassen, dem Finanzamt mitzuteilen, dass noch kein Bescheid des Versorgungsamtes vorliegt und ein solcher aktuell beantragt wird. Ebenfalls hat er es unterlassen, gegen den Kindergeldablehnungsbescheid Einspruch einzulegen.
Das Änderungsbegehren der Klägerin kann im Übrigen auch nicht auf § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO gestützt werden, da der Bescheid des Versorgungsamtes kein rückwirkendes Ereignis ist. Er dient ausschließlich dazu, eine steuerrechtlich relevante Tatsache zu belegen, und hat als solches keinen Eingang in eine materielle Steuerrechtsnorm gefunden (vgl. BFH, Urteil vom 06.03.2003)
Die Revision wurde nicht zugelassen. Der Kläger hat Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt (Az. V B 101/12).
Betroffene Norm
§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO
Streitjahr 2009
Fundstelle
Finanzgericht Münster, Urteil vom 27.08.2012, 12 K 2574/11 Kg, EFG 2013, S. 96, NZB eingelegt: V B 101/12
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 06.03.2003, XI R 13/02, BStBl II 2003, S. 554