BFH: Pflicht zur Erstellung einer Verrechnungspreisdokumentation ist unionsrechtskonform
Die Pflicht des Steuerpflichtigen bei Auslandssachverhalten Aufzeichnungen über Art und Inhalt seiner Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen zu erstellen und diese auf Verlangen der Finanzbehörde vorzulegen, ist mit der Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 AEUV vereinbar. Dies hat der Bundesfinanzhof mit seinem Urteil vom 10.04.2013 entschieden.
Hintergrund
Nach § 90 Absatz 3 Sätze 1 und 7 i.V.m. § 97 Absatz 1 AO hat der Steuerpflichtige bei Sachverhalten, die Vorgänge mit Auslandsbezug betreffen, über die Art und den Inhalt seiner Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 AStG Aufzeichnungen zu erstellen („Verrechnungspreisdokumentation“) und diese auf Verlangen der Finanzbehörde vorzulegen. Gemäß § 90 Absatz 3 Satz 2 AO umfasst die Aufzeichnungspflicht auch die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen für eine den Grundsatz des Fremdvergleichs beachtende Vereinbarung von Preisen und anderen Geschäftsbedingungen mit den Nahestehenden. Somit bezieht sich die Aufzeichnungspflicht insbesondere auf die Dokumentation der mit den Nahestehenden vereinbarten sogenannten Verrechnungspreise. Einzelheiten der Dokumentation regelt die Finanzverwaltung in der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung („GAufzV“).
Die Finanzbehörde soll die Vorlage von Aufzeichnungen in der Regel nur für die Durchführung einer Außenprüfung verlangen (§ 90 Absatz 3 Satz 6 AO). Auf Anforderung hat die Vorlage der Aufzeichnungen innerhalb von 60 Tagen zu erfolgen (§ 90 Absatz 3 Satz 8 AO). Kommt der Steuerpflichtige seinen Dokumentationspflichten nicht oder nur unvollständig nach, ermöglicht § 162 Absatz 3 AO eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen zu seinem Nachteil. Außerdem erlaubt § 162 Absatz 4 AO für solche Fälle einen "Strafzuschlag" zur festgesetzten Steuer von mindestens 5.000 Euro, bei verspäteter Vorlage der Aufzeichnungen sogar bis zu 1 Mio. Euro.
Der Steuerpflichtige muss lediglich für Auslandssachverhalte eine entsprechende Verrechnungspreisdokumentation erstellen, Inlandssachverhalte sind von der Dokumentationspflicht dagegen nicht erfasst.
Sachverhalt
In dem Fall, über den der BFH in seinem Urteil vom 10.04.2013 zu entscheiden hatte, streiten die Beteiligten darüber, ob die Anforderung einer Verrechnungspreisdokumentation gemäß § 90 Absatz 3 AO rechtmäßig ist. Fraglich ist, ob der Tatbestand des "Nahestehens" bereits durch die Möglichkeit, wechselseitig auf die Entscheidung eines anderen zumindest mittelbar Einfluss zu nehmen, gegeben ist. Daneben ist strittig, ob die Dokumentationspflicht vor dem Hintergrund der unionsrechtlich verbürgten Grundfreiheiten gerechtfertigt ist.
Die BFH-Richter führen in ihren Entscheidungsgründen dazu Folgendes aus:
Eine Person steht einem Steuerpflichtigen im Sinne von § 1 Absatz 2 Nr. 2 Alternative 1 AStG nahe, wenn eine dritte Person am Grund- oder Stammkapital sowohl der Person als auch des Steuerpflichtigen unmittelbar oder mittelbar wesentlich beteiligt ist. Beschränkungen im Innenverhältnis aufgrund einer Treuhand sind hierbei ebenso unbeachtlich wie Stimmrechtsbeschränkungen. Gleiches gilt im Ergebnis für die Annahme eines Nahestehens im Zusammenhang mit dem Vorliegen einer verdeckten Gewinnausschüttung („vGA“).
§ 90 Absatz 3 AO greift zwar in den Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV ein, da die Vorschrift lediglich auf grenzüberschreitende Sachverhalte anzuwenden ist. Diese Ungleichbehandlung ist jedoch aufgrund zwingender Gründe des Allgemeininteresses - dem Erfordernis einer wirksamen Steueraufsicht - gerechtfertigt. Der Eingriff ist auch verhältnismäßig, da eine effektive Sachverhaltsaufklärung ohne Vorlage einer Verrechnungspreisdokumentation nicht möglich wäre. Dies kann nicht allein mit Mitteln der zwischenstaatlichen Amtshilfe gewährleistet werden.
Praxis-Hinweise
Dem Urteil kommt nicht zuletzt vor dem Hintergrund der derzeitigen Diskussionen über die "Steuerflucht" in sog. Steueroasen, auch solche innerhalb der Europäischen Union, Bedeutung zu.
Der BFH ließ allerdings offen, ob die nach der GAufzV geforderten Bestandteile einer Verrechnungspreisdokumentation über das hinausgehen, was zu einer effektiven Sachverhaltsaufklärung erforderlich ist. Diese Frage war nicht Gegenstand des Verfahrens, in dem es zur Rechtmäßigkeit der Dokumentationspflichten dem Grunde nach ging und ließe sich erst in einem Klageverfahren gegen eine (mögliche) nachfolgende Hinzuschätzung im Steuerbescheid bzw. eine etwaige Festsetzung eines „Strafzuschlags” behandeln.
Fundstelle
BFH, Urteil vom 10.04.2013, I R 45/11