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12.12.2016
Transfer Pricing

Erfahrungen mit Funktionsverlagerungen in Betriebsprüfungen: Gutachten des BZSt und Praxiswerte

Der Beitrag fasst ein Gutachten des BZSt zum Umgang der Betriebsprüfungsstellen mit Funktionsverlagerungen zusammen. Erkenntnisse aus der Praxis ergänzen diese Zusammenfassung. Praxisempfehlungen werden abgeleitet. Ferner wird auf ein aktuelles Handbuch zum Thema „Funktionsverlagerung und Verrechnungspreise“ hingewiesen und ein Inhaltsüberblick gegeben.

Hintergrund

Das Bundesministerium der Finanzen hat in Absprache mit den obersten Finanzbehörden der Länder das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) beauftragt, die Regelungen der Funktionsverlagerungen zu evaluieren. Der entsprechende Bericht ist im Februar 2016 erschienen (vgl. auch für die folgenden Ausführungen BZSt (2016), Evaluation zu den Erfahrungen mit der Funktionsverlagerung, Erkenntnisse aus Betriebsprüfungsfällen, Drucksacke 153/16). Hintergrund war eine Bitte des Bundesrates an die Bundesregierung, die Erfahrungen der Unternehmen und der Finanzverwaltung mit den Regelungen der Funktionsverlagerung zu evaluieren. Ursprünglich war diese Bitte auf das Jahr 2013, d.h. fünf Jahre nach Aufnahme des Funktionsverlagerungsbesteuerung in das AStG (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 9ff AStG) sowie den Erlass der Verwaltungsanweisung (BMF v. 13.10.2010 - IV B 5 - S 1341/08/10003 BStBl 2010 I S. 774, Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung) avisiert. Auf Grund fehlender Erfahrungen in 2013 wurde die Evaluation auf 2015 vertagt.

Der vorliegende Newsletter fasst die wesentlichen Befunde des Abschlussberichts dieser Evaluation zusammen und gibt gleichermaßen einen Überblick über unsere Erfahrungen in Betriebsprüfungen mit dem Tatbestand der Funktionsverlagerung, um so auch die Beratersicht zu ergänzen. Abschließend wird auf eine aktuelle Publikation eines Sammelbandes hingewiesen.

Die Anpassung des § 1 Abs. 3 AStG hat den Begriff der Funktionsverlagerung eingeführt. Sofern keine zumindest eingeschränkt vergleichbaren Transaktionen zu beobachten sind (tatsächlicher Fremdvergleich) oder eine Escapeklausel, d.h. dann eine Bewertung nach Einzelverrechnungspreisen, einschlägig ist, ist für das entsprechende Transferpaket regelmäßig der hypothetische Fremdvergleich durchzuführen. Hierbei ist der Mindestpreis des Leistenden und der Höchstpreis des Leistungsempfängers zu bestimmen (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 9 i. V. m Satz 5 AStG).

Zusammenfassung Gutachten BZSt

Der folgende Abschnitt gibt einen Überblick über die wesentlichen Ergebnisse des Gutachtens. Für Details wie auch als Quelle sei auf das Gutachten verwiesen. In der Evaluation des BZSt wurden Fragebögen zu 119 Betriebsprüfungsfällen mit insgesamt 133 Funktionsverlagerungen zwischen verbundenen Unternehmen ausgewertet. Die Fragebögen wurden von den Betriebsprüfungsstellen beantwortet. Es wurden Fragebögen berücksichtigt, die bis zum 30. Juni 2015 beim BZSt vorlagen.

73 der 133 gemeldeten Funktionsverlagerungen erfassten Verlagerungen innerhalb der EU. Funktionsverlagerungen werden am häufigsten in der Produktion und dann im Vertrieb beobachtet. In 55 der gesamten Fälle bedient sich die Bewertung einer Einzelverrechnungspreisanalyse, d.h., dass kein Transferpaket insgesamt zu bewerten war, weil mindestens eine Escape-Klausel Anwendung gefunden hat. Es überwiegen hier die Einzelverrechnungspreisanalyse auf Grund von fehlenden immateriellen Wirtschaftsgütern bzw. sonstigen Vorteilen (Escape-Klausel 1) oder aber weil die wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter genau benannt wurden (Escape-Klausel 3) (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG).

Nahezu 85% der Transferpaketbewertungen (insg. 57) erfolgten durch den hypothetischen Fremdvergleich. Die restlichen Fälle wurden durch Rückgriff auf eingeschränkt oder uneingeschränkt vergleichbare Transaktionen bewertet. Bei Transferpaketbewertungen erfolgt in der Regel eine Vorlage der Analyse durch das Unternehmen wobei etwa 50% der Analysen von externen Gutachtern angefertigt wurden. Bei einer relativ hohen Anzahl (22 von 57) von Transferpaketbewertungen wurden Mängel festgestellt, und zwar zumeist auf Grund von Unvollständigkeit oder auf Grund von unrichtigen Annahmen. Unverständlichkeit wurde sechs Mal durch die Betriebsprüfungsstellen moniert. Mängel sowohl in der Einzel- als auch der Transferpaketbewertung sowie fehlende Analysen führten in 42 der 133 Fälle zu einer Schätzung.

Im Ergebnis wurde der Wert der Funktionsverlagerung in 77 Fällen durch die Betriebsprüfung erhöht und nur in 4 Fälle verringert. Die folgende Graphik (vgl. Graphik 6 des Gutachtens) zeigt die Erhöhungsbeträge. Auch wenn häufig Beträge bis zu 1 Mio. Euro festzustellen sind, so liegt doch der durchschnittliche Wert mit 4,2 Mio. Euro deutlich drüber. Dies zeigt eine hohe Streuung.

Auch wenn das Gutachten nur bedingt Aussagen zu den Gründen von Schätzungen vornimmt und mithin konkrete Kritikpunkte der Betriebsprüfungen unklar bleiben, so lassen sich doch einige Aspekte aus dem Gutachten für die Praxis ableiten:

  • Der Tatbestand der Funktionsverlagerung ist regelmäßig Gegenstand von Betriebsprüfungen. Ob bei einer Umstrukturierung eine Funktionsverlagerung vorliegt und wie sie bewerten werden kann, sollte nicht nur auf Grund der Verpflichtung zur zeitnahen Dokumentation bei außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen bereits bei der Umstrukturierung analysiert werden (vgl. § 90 Abs. 3 AO). Eine frühzeitige Analyse hilft auch dabei die Unterlagen verlässlich zusammen zu tragen und etwaige Gestaltungsmöglichkeiten zu prüfen.
  • Die hohe Anzahl der Schätzungen mit wesentlichen Hinzurechnungsbeträgen gründet oftmals in nicht nachvollziehbarer Dokumentationslage oder aber in nicht plausiblen Annahmen. Dies unterstreicht die Notwendigkeit frühzeitig und überlegt die Bewertungen durchzuführen, die Annahmen hinreichend zu begründen und den gesamten Sachverhalt nachvollziehbar zu dokumentieren.
  • In einer verhältnismäßig großen Anzahl der Fälle wurde die Ermittlung des Verrechnungspreises für die Funktionsverlagerung mit Einzelverrechnungspreisen ermittelt. Mithin sollte regelmäßig geprüft werden, ob eine der drei Escapeklauseln (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG) anwendbar ist, um Gestaltungsspielraum zu nutzen.
  • In ca. 15% der Fälle wurde ein tatsächlicher Fremdvergleich durchgeführt, weil zumindest eingeschränkt vergleichbare Transaktionen zu beobachten waren. Auf Grund der Methodenhierarchie als auch um den etwaigen Bewertungsaufwand zu reduzieren, sollte die Verfügbarkeit von zumindest eingeschränkt vergleichbaren Transaktionen geprüft werden.

Dieser Zusammenfassung einer eher quantitativen Analyse aus Sicht der Betriebsprüfungsstellen soll nun eine Zusammenfassung von qualitativen Befunden aus der eigenen Betriebsprüfungspraxis folgen.

Erfahrungen aus der Praxis

In der Betriebsprüfungspraxis sind verschiedene Fallgruppen im Kontext der Funktionsverlagerung zu beobachten. Um die Anonymität der Fälle zu gewährleisten, wird auf eine Beschreibung der Fälle verzichtet. Vielmehr werden die wesentlichen Aspekte in Fallgruppen zusammengefasst. Die formulierten Empfehlungen können nur eine Indikation bieten und sind im Einzelfall zu prüfen.

Einordnung dem Grunde nach
Es sind mehrere Betriebsprüfungen zu beobachten, in denen die Prüfer eine Funktionsverlagerung unterstellte obwohl die Tatbestandsmerkmale nicht erfüllt waren. Der Gesetzgeber sieht den Tatbestand einer Funktionsverlagerung dann als erfüllt, wenn eine Funktion mit ihren dazugehörigen Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteilen sowie Chancen und Risiken an eine nahestehende Person grenzüberschreitend übertragen wird (vgl. § 1 Abs. 1 i. V. m. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG). Ohne die Verlagerung einer Funktion kann mithin keine Funktionsverlagerung stattfinden. Eine reine Werkschließung aus betriebswirtschaftlichen Gründen ohne Übertragung insb. von immateriellen Wirtschaftsgütern oder aber die Aufnahme der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in einem anderen Land bei gleichzeitiger Einstellung der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in Deutschland ohne Übertragung von insbesondere immateriellen Wirtschaftsgütern stellt regelmäßig keine Funktionsverlagerung dar. Eine dezidierte Funktions- und Risikoanalyse sowie Beschreibung der Verteilung der Wirtschaftsgüter vor und nach der Funktionsverlagerung ist mithin unerlässlich.

Detaillierte Analyse der Inputvariablen
Es sind eine Reihe von Prüfungen zu beobachten, in denen die Betriebsprüfer detailliert die Bewertungen und die damit verbundenen Inputvariablen untersuchen. Hierzu verfügen verschiedene Betriebsprüfungsstellen über Fachprüfer für Unternehmensbewertungen zum Teil als Quereinsteiger aus Industrie oder Beratung. So wurde z. B. in der Hamburger Bürgerschaft 2011 der Vorschlag diskutiert Quereinsteiger mit einem betriebswirtschaftlichen Studium (mindestens Bachelor) einzustellen (vgl. Anlage 1 der Stellungnahme des Senats zu dem Ersuchen der Bürgerschaft vom 23. Juni 2011
„Stärkung der steuerlichen Betriebsprüfung“ (Drucksache 20/742 und Ergänzungsantrag – Drucksache 20/848), Drucksache20/2509). Dies wurde in der Folge umgesetzt.

In den Betriebsprüfungen wurden beispielhaft Plandaten, Kapitalisierungszeiträume und Diskontfaktoren detailliert untersucht. Bei der Bewertung einer Funktionsverlagerung sollten die Inputvariablen mithin gut begründet werden. Die hohe Relevanz der Plandaten und die damit verbundene Verantwortung für ihre Plausibilität durch die Führungsebene haben auch verschiedene Urteile bei Rechtsstreitigkeiten bestätigt. So betonte das OLG Düsseldorf bereits 2008, dass die Prognosen „Ergebnis der jeweiligen unternehmerischen Entscheidung der für die Geschäftsführung verantwortlichen Personen“ sein müssen. Die unternehmerischen Entscheidungen müssten hierbei „auf zutreffenden Informationen und daran orientierten, realistischen und widerspruchsfreien Annahmen aufbauen“ (vgl. OLG Düsseldorf v. 07.05.2008 – I 26 W 16/06). Es ist ratsam bereits bei der Bewertung die Sensitivität der Inputvariablen auf die Ergebnisse in den Blick zu nehmen. Besonders kritische Inputvariablen für die Analyse sind besonders gut zu begründen. Die Praxis zeigt, dass bei Verwerfung einzelner Annahmen z. B. des Diskontsatzes oder eines unendlichen statt endlichen Kapitalisierungszeitraums schnell hohe Beträge im Raum stehen.

Dokumentationslage
In verschiedenen Betriebsprüfungen wurden Informationen nicht als geschlossenes Dokument sondern fragmentiert an den Betriebsprüfer ohne hinreichende Erläuterung übergeben. Dies hat zu langwierigen Prüfungen geführt. Dem Prüfer konnte nicht das Gefühl gegeben werden, dass er den Sachverhalt vollständig versteht. Auch wenn es letztlich Aufgabe des Betriebsprüfers ist, sich in den Sachverhalt einzuarbeiten und die ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen zu würdigen, so zeigt die Praxis, dass eine gut nachvollziehbare Dokumentation die Prüfung positiv beeinflussen kann.

Im Einzelfall ist der Umfang der Dokumentation abzuwägen. Es kann sich ein zweigestufter Dokumentationsansatz empfehlen. In einem ersten Dokument kommt der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten nach und gibt dem Prüfer die Möglichkeit den Sachverhalt zu würdigen. Wesentliche Annahmen aber auch Besonderheiten wie eine untypische Margenentwicklung sind hierbei zu begründen. In weiteren Dokumenten werden ergänzende Unterlagen auf Anfrage zur Verfügung gestellt wie z. B. die Ableitung der Plandaten. In vereinzelten Fällen war es zur Steigerung der Rechtssicherheit ratsam, bereits während der Verlagerung das Gespräch mit dem Prüfer zu suchen und den Sachverhalt zu diskutieren.

Fehlende Einarbeitung durch die Betriebsprüfung
Vereinzelt hat sich die Betriebsprüfung aus Sicht des Steuerpflichtigen nicht hinreichend in den Sachverhalt eingearbeitet und ist vorschnell zu einem Urteil gekommen. Einzelne Annahmen wurden unbegründet verworfen und durch nicht hinreichend begründete Annahmen ersetzt. Dem Steuerpflichtigen obliegt die Vorlage einer Dokumentation auf Anfrage für die Funktionsverlagerung oftmals innerhalb von 30 Tagen (vgl. § 90 Abs. 3 AO). Eine unzureichende Würdigung der vorgelegten Unterlagen und eine mangelhafte Analyse durch die Betriebsprüfung sind nicht akzeptabel. Soweit die vorgelegten Unterlagen nicht unverwertbar sind, liegt die Beweislast bei der Finanzverwaltung.

Aktuelle Veröffentlichung zum Thema Funktionsverlagerung und Umstrukturierungen

Vor dem Hintergrund der zunehmenden Relevanz der Funktionsverlagerung erscheint Anfang 2017 ein Sammelband als Handbuch für Praktiker (vgl. Heidecke / Schmidtke / Wilmanns (Hrsg.) (2017), Funktionsverlagerung und Verrechnungspreise: Rechtsgrundlagen, Bewertungen, Praxistipps, Springer). In 17 Kapiteln beleuchten über 20 Autoren (Ökonomen, Steuerberater und Rechtsanwälte) auf ca. 550 Seiten typische Themen bei Umstrukturierungen aus Verrechnungspreisperspektive sowie angrenzende Fragestellungen. Ein Schwerpunkt bildet die Frage, wie eine Funktionsverlagerung identifiziert und bewertet werden kann. Darüber hinaus werden folgende Themen diskutiert:

  • Gründe und Abläufe von konzerninternen Umstrukturierungen
  • Typische Verrechnungspreisthemen bei Umstrukturierungen
  • Bewertungsmethoden mit Praxisbeispielen
  • Ermittlung des Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB
  • Einsatz einer Multiplikatoranalyse
  • Bewertungen für bilanzielle Zwecke
  • Dokumentationsvorschriften bei Umstrukturierungen
  • Typische Industriebeispiele und Wertschöpfungsketten
  • Aktuelle BEPS-Entwicklungen
  • Betriebsstättenthemen bei Umstrukturierungen
  • Interviews mit Vertretern aus Industrie und Verwaltung
  • Umsatzsteuerliche Besonderheiten bei Umstrukturierungen
  • Zivilrechtliche Aspekte bei Umstrukturierungen

Ihre Ansprechpartner

Jobst Wilmanns
Partner

jwilmanns@deloitte.de
Tel.: 069 75695-6243

Dr. Richard Schmidtke
Partner

rschmidtke@deloitte.de
Tel.: 089 29036-8690

Dr. Björn Heidecke
Senior Manager

bheidecke@deloitte.de
Tel.: 040 32080-4953

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Jobst Wilmanns
Partner

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Tel.: 069 75695-6243

Dr. Richard Schmidtke
Partner

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Senior Manager

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