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09.06.2015
Transfer Pricing

EuGH: Unionsrechtskonformität der deutschen Entstrickungsregelungen bestätigt

Der EuGH hat mit seinem Urteil Verder LabTec GmbH & Co. KG (Rechtsache C-657/13) die Unionsrechtskonformität der deutschen Entstrickungsregelungen vor und nach SEStEG im Wesentlichen bestätigt.

Sachverhalt

Im zugrunde liegenden Streitfall hatte die Verder Lab Tec GmbH & Co. KG („LabTec“), deren einziger Geschäftszweck zu diesem Zeitpunkt die Verwaltung von Patent-, Marken- und Gebrauchsmusterrechten war, am 25.05.2005 diese Rechte auf ihre niederländische Betriebsstätte übertragen. Die Betriebsprüfung vertrat die Ansicht, dass die Übertragung dieser Rechte gemäß Tz. 2.6.1. des Betriebsstätten-Erlasses unter Aufdeckung der stillen Reserven zum Fremdvergleichspreis im Zeitpunkt der Übertragung zu erfolgen hatte. Der Wert der stillen Reserven betrug unstrittig 4.710.456 Euro. Um eine Sofortbesteuerung des Unterschiedsbetrags zwischen dem Buchwert der Rechte und ihrem Marktwerkt zu vermeiden, wurde aus Billigkeitsgründen und auf der Basis des Betriebsstätten-Erlasses in seiner damaligen Fassung die Besteuerung des Unterschiedsbetrags mittels eines Merkpostens gestreckt, der linear über einen Zeitraum von zehn Jahren gewinnerhöhend aufzulösen war. Nach erfolglosem Einspruch gegen den so erlassenen Änderungsbescheid erhob die LabTec Klage vor dem FG Düsseldorf. Das FG Düsseldorf legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob die Besteuerung der stillen Reserven bei Übertragung eines Wirtschaftsgut von einer inländischen Betriebsstätte in eine ausländische, in einem anderen EU-Mitgliedsstaat belegene Betriebsstätte desselben Unternehmens mit dem Unionsrecht vereinbar ist unter besonderer Berücksichtigung der Regelung der Steuerverteilung über zehn Wirtschaftsjahre.

Entscheidung

Der EuGH kam nun zu dem Schluss, dass die Aufdeckung der stillen Reserven bei der grenzüberschreitenden Übertragung der Rechte innerhalb des Einheitsunternehmens gegen die Niederlassungsfreiheit des Art. 49 AEUV verstößt, da diese steuerliche Behandlung einen Auslandsfall gegenüber einem identischen Inlandsfall diskriminiert, bei dem es nicht zur sofortigen Besteuerung der stillen Reserven im Übertragungsjahr käme (siehe Rz. 39 des Urteils).

Nach dem gefestigten Schema seiner Rechtfertigungslehre prüfte der EuGH sodann, ob die Verletzung der Niederlassungsfreiheit ggf. aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Neben einem solchen legitimen Ziel muss eine Maßnahme, die die Grundfreiheiten verletzt, zum einen zur Zielerreichung geeignet sein und darf zum anderen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des Ziels erforderlich ist (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz). Der EuGH bestätigt in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten als tragenden Rechtsfertigungsgrund. Aufgrund der Freistellung der Einkünfte der niederländischen Betriebsstätte in Deutschland stellen die deutschen Entstrickungsregelungen die Steuerhoheit Deutschlands über die bis zur Übertragung entstandenen stillen Reserven sicher. Damit ist diese Regelung zur Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis geeignet (vgl. in diesem Zusammenhang bereits das Urteil in der Rechtssache DMC, C-164/12).

Die Festsetzung der Steuer zum Zeitpunkt der Überführung erscheint dem EuGH auch verhältnismäßig, da mit Überführung die Steuerbefugnis Deutschlands in Bezug auf diese Wirtschaftsgüter endet. Gleichwohl muss dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht verbleiben zwischen der sofortigen Zahlung der Steuer und einer angemessenen Stundung, wobei im letzteren Fall – wie im Urteil National Grid Indus (C-371/10) angedeutet – eine Sicherheitenstellung notwendig sein könnte, wenn es konkrete Hinweise auf ein gesteigertes Nichteinbringungsrisiko gibt. Da der EuGH in der Rechtssache DMC bereits eine Verteilung der Steuerlast über einen Zeitraum von nur fünf Jahren als verhältnismäßig angesehen hat, müsse dies nach Ansicht des EuGH für den im Urteilsfall angewandten, längeren Zeitraum von zehn Jahren zwangsläufig gleichermaßen gelten. Der EuGH hatte eine solche Zahlungsstreckung weder in seiner älteren Rechtsprechung zu Wegzugssteuern natürlicher Personen (Rs. C-9/12, Hughes de Lasteyrie du Saillant und C-470/04, N) noch im Grundsatzurteil in der Rechtssache National Grid Indus erwähnt. Nicht abschließend geklärt ist daher, ob die Möglichkeit einer gestreckten Steuerzahlung auch dann dem vom EuGH geforderten Wahlrecht zwischen Sofortzahlung und Stundung gleichkommt, wenn nur einzelne Wirtschaftsgüter, die keiner Abnutzung unterliegen und deren stille Reserven nur durch echte Realisation aufgedeckt werden (Beteiligungen bzw. im Fall National Grid Indus eine Fremdwährungsforderung), entstrickt werden.

Anmerkung

Mit diesem Urteil schafft der EuGH weitgehend Klarheit in Bezug auf die europarechtliche Beurteilung der deutschen Entstrickungsregelungen vor und nach SEStEG. Die steuerliche Behandlung der Übertragung der Wirtschaftsgüter in eine ausländische Betriebsstätte vor SEStEG beruhte auf der vom BFH entwickelten Theorie der finalen Entnahme, die jahrzehntelang gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung darstellte (siehe bereits BFH v. 16.07.1969, I 266/65). Noch bevor der BFH seine Auffassung zur Beschränkung des Besteuerungsrechts im Zuge der grenzüberschreitenden Übertragung eines Wirtschaftsguts im Einheitsunternehmen änderte und damit die Theorie der finalen Entnahme aufgab (siehe BFH v. 17.07.2008, I R 77/06), war im Rahmen des SEStEG bereits § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG eingeführt worden, der gemäß § 52 Abs. 8b Satz 2 EStG bei Freistellungsbetriebsstätten auch für Wirtschaftsjahre anwendbar ist, die vor dem 01.01.2006 geendet haben.

In Reaktion auf die Rechtsprechungsänderung des BFH führte der Gesetzgeber in § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG das sog. Regelbeispiel ein, nachdem ein Ausschluss oder eine Beschränkung des Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts insbesondere vorliegt, wenn ein bisher einer inländischen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen zuzuordnendes Wirtschaftsgut einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist. Die rückwirkende Anwendung dieses vom Gesetzgeber als „Klarstellung“ bezeichneten Regelbeispiels sieht das vorlegende FG Düsseldorf nicht als verfassungswidrige Rückwirkung an, da durch die langjährige Rechtsprechung zur Entstrickung kein schutzwürdiges Vertrauen auf eine andere Rechtslage entstanden sein konnte (siehe Verweis auf BFH v. 19.04.2012, BFH VI R 74/10).

Im Zusammenhang mit der Entstrickungsbesteuerung i.S.d. § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG dürfte bereits mit dem Urteil in der Rechtssache DMC bestätigt sein, dass die derzeit geltende Möglichkeit zur Bildung eines Ausgleichspostens in Bezug auf die stillen Reserven von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens gemäß § 4g EStG und dessen Auflösung über fünf Jahre ausreichend ist, um dem Gebot der Verhältnismäßigkeit zu entsprechen.

Ebenso ist mit diesem Urteil geklärt, dass die außensteuerrechtlichen Korrekturvorschriften zur Anwendung des sog. Authorized OECD Approach zur Betriebsstätteneinkünfteabgrenzung, die übereinstimmend bei einer grenzüberschreitenden Übertragung von Wirtschaftsgütern im Einheitsunternehmen den Ansatz des Fremdvergleichspreises erfordern (vgl. § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. § 16 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 BsGaV), nicht gegen Unionsrecht verstoßen. Auch hier wird nämlich der Ansatz eines Ausgleichspostens gemäß § 4g EStG ausdrücklich erlaubt (vgl. § 1 Abs. 5 Satz 6 EStG). Unzulässig dürfte dagegen der bei Umwandlungen mit Verlust oder Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechtes vorgesehene Zwang zum Ansatz des gemeinen Werts ohne Stundungsmöglichkeit sein.

Vorinstanz

Vorlageverfahren beim FG Düsseldorf v. 05.12.2013, 8 K 3664/11 F

Fundstelle
EuGH, Urteil v. 21.05.2015, C‑657/13

 

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