Indischer APA-Report 2023: Zunehmender Austausch zwischen deutschen und indischen Steuerbehörden
Zwischen Indien und Deutschland besteht seit Mai 2000 eine strategische Partnerschaft, die 2011 durch die Aufnahme von Regierungskonsultationen weiter gestärkt und seither kontinuierlich ausgeweitet wurde. Der nunmehr zunehmende Austausch zwischen deutschen und indischen Steuerbehörden gibt Anlass zur Hoffnung auf Vermeidung und Lösung von Steuerkonflikten.
Bilaterale Beziehungen Indien-Deutschland
Indien gehört zu einer ausgewählten Gruppe von Ländern, mit denen Deutschland einen sehr engen Dialog unterhält. Die 6. Regierungskonferenz zur weiteren Intensivierung der strategischen Partnerschaft fand am 02. Mai 2022 in Berlin statt. Als viert- bzw. fünftgrößte Volkswirtschaften der Welt verbindet Deutschland und Indien eine solide wirtschaftliche und entwicklungspolitische Partnerschaft.
Deutschland ist der zwölftgrößte Handelspartner und der neuntgrößte ausländische Direktinvestor ("FDI") in Indien im Jahr 2023. Dies zeigen auch die Zahlen des Statistischen Bundesamtes (Destatis). So erreichte das Handelsvolumen mit Indien im Jahr 2023 ein Allzeithoch von 32,56 Mrd. US$, wobei die Exporte aus Indien 15,99 Mrd. US$ (ein Wachstum von +18 %) und die Importe aus Deutschland nach Indien 16,57 Mrd. US$ (ein Wachstum von +13 %) betrugen. Die Zahlen für den Gesamthandel zwischen Indien und Deutschland sowie für die Exporte und Importe haben in den Jahren 2022 und 2023 ihre bislang höchsten Werte erreicht.
Zu den wichtigsten indischen Ausfuhren nach Deutschland gehören elektrische Erzeugnisse und Kraftfahrzeuge/Autoteile, Textilien und Bekleidung, Chemikalien, Arzneimittel, Metall bzw. Metallerzeugnisse, Nahrungsmittel sowie Getränke und Tabak sowie Leder bzw. Lederwaren. Zu den wichtigsten Ausfuhren aus Deutschland nach Indien gehören Maschinen, Kraftfahrzeuge sowie Autoteile, Chemikalien, Datenverarbeitungsgeräte und elektrische Geräte.
Ein maßgeblicher Treiber der erfolgreichen Zusammenarbeit von Deutschland und Indien und den in den Ländern ansässigen Unternehmen ist u. a. das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Indien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 19. Juni 1995 (DBA Indien) sowie die immer erfolgreichere Kooperation der Steuerbehörden beider Länder.
Wendepunkt der Zusammenarbeit bei Verrechnungspreisfällen
In der Vergangenheit war es für in Deutschland ansässige Unternehmen schwierig, bei grenzüberschreitenden Verrechnungspreissachverhalten mit Indien vorab verbindliche Einigungen zu erzielen, die tatsächlich die Doppelbesteuerung vermieden – letztlich war dies nur durch abgestimmte unilaterale Verfahren in beiden Ländern möglich. War bei deutsch-indischen Verrechnungspreissachverhalten die Vermeidung von Doppelbesteuerung zwischen Deutschland und Indien im Vorhinein damit zwar kompliziert, aber doch indirekt bei entsprechend gutem Management der parallelen Verfahren möglich, standen für die nachträgliche Beseitigung oder zumindest Minderung entstandener Doppelbesteuerungen bei Verrechnungspreissachverhalten nur die klassischen unilateralen Maßnahmen zur Verfügung, in Indien damit regelmäßig Klageverfahren oder Verfahren vor der sog. Settlement Commission.
Hintergrund dieses Umstandes waren das Alter des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Indien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 19. Juni 1995 (DBA Indien) und dessen damit einhergehende Auslegung seitens Indiens. Dem Alter des Abkommens geschuldet, weicht dieses von einigen Regelungen ab, die auf Grundlage des OECD-Musterabkommens 2008 bzw. jüngerer Versionen in vielen jüngeren Doppelbesteuerungsabkommen verankert wurden. So enthält das DBA Indien keine mit Art. 9 Abs. 2 OECD-MA vergleichbare Regelung, was bis 2017 von offizieller indischer Seite so interpretiert wurde, dass Verständigungsverfahren für Verrechnungspreisfälle auf Basis des DBA nicht möglich seien.
Im November 2017 hatte Indien angekündigt, seine restriktive Haltung hinsichtlich Verständigungsverfahren und APAs mit Deutschland zu ändern und somit einer effektiven Lösung bzw. Vermeidung von Besteuerungskonflikten bei Verrechnungspreissachverhalten den Weg ebnen zu wollen (siehe auch Deloitte Tax News). Die Entwicklung in den gut fünf Jahren nach dieser Ankündigung zeigt, dass diese auch in der Praxis umgesetzt wurde. Die Umsetzung dieser grundlegend veränderten Haltung Indiens hinsichtlich Verständigungsverfahren mit Deutschland wird sowohl in den aktuellen OECD-Statistiken zu Verständigungsverfahren als auch in den Statistiken über die allgemeinen Handelsbeziehungen zu Indien deutlich. Gab es Ende 2018 zwischen den beiden Staaten zwei anhängige Verständigungsverfahren im Bereich Verrechnungspreise/ Betriebsstättengewinnabgrenzung, waren es Ende 2019 schon 19 und Ende 2022 sogar 30 Fälle.
Die geänderte Haltung Indiens führte auch zur Akzeptanz einer Reihe von Anträgen bilateraler Vorabverständigungsverfahren mit Deutschland. Aus der Zusammenarbeit mit unseren Kollegen von Deloitte Indien können wir im deutsch-indischen Korridor einige wichtige und durchweg positive Entwicklungen vermelden, insbesondere eine Zunahme an unilateralen, aber auch bilateralen Vorabverständigungsverfahren mit Deutschland, sog. „Advance Pricing Agreements" – APAs.
Diese positiven Entwicklungen sind insbesondere für die Steuerpflichtigen zu begrüßen und zeigen, dass der Austausch zwischen den deutschen und indischen Finanzverwaltungen deutlich zunimmt.
Aktuelle Entwicklung und Ausblick
Wie eingangs erwähnt, hat Indien erfreulicherweise von seiner restriktiven Haltung bei Verständigungsverfahren mit Deutschland Abstand genommen. Somit wird in dem Fehlen einer DBA-Regelung entsprechend Art. 9 Abs. 2 OECD-MA im DBA Indien mittlerweile kein Grund mehr gesehen, die Einleitung von Verständigungsverfahren in Folge von Verrechnungspreisanpassungen abzulehnen. Dies spiegelt sich in der Tatsache wider, dass bis Ende 2022 die Zahl der laufenden Verständigungsverfahren im Bereich Verrechnungspreise/ Betriebsstättengewinnabgrenzung zwischen Deutschland und Indien von null auf dreißig stieg und Indien zu diesem Zeitpunkt nur mit den USA und Japan mehr Verständigungsverfahren anhängig hatte.
Das DBA Indien sieht keinen Anspruch auf ein Schiedsverfahren bei Uneinigkeit oder dem Erreichen definierter Verfahrensdauern vor. Ein Einigungszwang durch die Möglichkeit des Schiedsverfahrens ist daher nicht gegeben. Aus der OECD-Statistik könnte man auf den ersten Blick schließen, dass erste Verfahren mit Deutschland trotzdem überdurchschnittlich schnell gelöst wurden. Allerdings zeigt der zweite Blick, dass sich die drei im Zeitraum 2016 bis 2022 beendeten Verfahren durch Rücknahme der Anträge durch den Steuerpflichtigen erledigt haben.
Die Tatsache, dass in diesem Zeitraum keine deutsch-indischen Verständigungsverfahren in Verrechnungspreis-/ Gewinnabgrenzungsfällen mit der Beseitigung der Doppelbesteuerung erfolgreich abgeschlossen werden konnten, sollte jedoch nicht überinterpretiert werden. Denn erstens waren nach der geänderten Position Indiens die ersten beiden Anträge erst in 2018 gestellt worden und zweitens erschwerte relativ kurz danach die COVID-Pandemie weltweit die Verhandlungen zwischen den Finanzverwaltungen und insbesondere den gerade zu Beginn einer sich intensivierenden Zusammenarbeit für den Vertrauensaufbau so wichtigen persönlichen Austausch.
Ein gewisser Optimismus lässt sich aus der Zahl der in 2022 von Indien mit anderen Vertragspartnern abgeschlossenen Verrechnungspreis-/Gewinnabgrenzungsfällen (103 Fälle) und der diesbezüglichen Erfolgsquote ableiten: Denn bei 52 % der Fälle konnte die Doppelbesteuerung ganz oder teilweise (18 % der abgeschlossenen Fälle) beseitigt werden. Die meisten Fälle mit den USA, Japan und Großbritannien, mit denen diesbezüglich schon länger funktionierende Kooperationen bestehen. Aber auch mit Südkorea, mit dem Indien aufgrund eines zum DBA mit Deutschland vergleichbaren Abkommens ebenfalls erst seit Kurzem Verständigungsverfahren in Verrechnungspreisfällen verhandelt, konnte 2022 in einem Drittel der anhängigen Fälle die Doppelbesteuerung beseitigt werden.
Darüber hinaus zeigt sich Indien auch bei Vorabverständigungsverfahren (APAs) für Verrechnungspreissachverhalte mit Deutschland deutlich aufgeschlossener.
Abbildung 1 zeigt neben den anhängigen Verständigungsverfahren die aktuell angestoßenen bilateralen Vorabverständigungsverfahren Indiens mit Mitgliedsstaaten der OECD. Hiernach befindet sich Deutschland mit Indien aktuell in zehn bilateralen Vorabverständigungsverfahren. Diese Entwicklung ist vor dem beschriebenen Hintergrund zu begrüßen.
Abbildung 1: Indo-German BAPAs and MAPs
Zusätzlich zu den bilateralen Vorabverständigungsverfahren mit Deutschland sind aktuell weitere acht unilaterale Verfahren in Indien mit Sachverhaltsbezug zu Deutschland anhängig. Bereits drei Verfahren konnten in der Vergangenheit abgeschlossen werden. Die Ausweitung der Vorabverständigungsverfahren, sowohl unilateral als auch bilateral, ist ein positives Signal an die wirtschaftliche Zusammenarbeit beider Länder.
Fazit
Insgesamt ist ein zunehmendes Bemühen Indiens hinsichtlich einer stärkeren Zusammenarbeit der indischen und deutschen Finanzverwaltungen zu beobachten. Vor dem Hintergrund der weiterhin streitanfälligen indischen Verrechnungspreispraxis empfiehlt es sich jedoch insbesondere bei signifikanten, komplexen grenzüberschreitenden Transaktionen, mit erheblichem Konfliktpotential, die Durchführung von APAs in Erwägung zu ziehen, um Rechtssicherheit und die Vermeidung von Strafen in einem proaktiven Verfahren anzustreben.
Für betroffene Unternehmen nicht zu unterschätzen ist mit Blick auf Indien die notwendige Vorlaufzeit für das Anstoßen eines Vorabverständigungsverfahrens. Es ist daher zu raten, sich frühzeitig mit geplanten konzerninternen Geschäftsbeziehungen nach Indien und dem dazugehörigen Verrechnungspreissystem auseinanderzusetzen, um das Risiko einer Doppelbesteuerung möglichst gering zu halten und die eigene Liquidität durch eine vermeidbare Doppelbesteuerung nicht unnötig zu belasten.
Für Fälle einer bereits eingetretenen Doppelbesteuerung bei Verrechnungspreissachverhalten bleibt zu hoffen, dass die intensivierte Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Indien ebenfalls zur erfolgreichen Lösung dieser Sachverhalte in Verständigungsverfahren beiträgt.
Die in der Vergangenheit kontinuierlich intensivierten Handelsbeziehungen sowie der stetig verbesserte und ausgeweitete Informationsaustausch der Steuerbehörden Deutschlands und Indiens lassen darauf hoffen, dass auch zukünftig die strategische Partnerschaft der beiden Länder weiter ausgebaut werden wird und beide Länder ermutigt sind, weitere Anreize zur Erleichterung langanhaltender Handelsbeziehungen sowie zur Beseitigung und Vermeidung etwaiger Steuerkonflikte zu schaffen.
Fundstellen
Government of India, German Federal Government: India-Germany Bilateral Brief as on August 16, 2023