Zinshöhenschranke im Regierungsentwurf des Wachstumschancengesetztes
Hintergrund
Am 30.08.2023 hat das Bundeskabinette den Regierungsentwurf des Wachstumschancengesetz beschlossen (siehe Deloitte Tax-News). Dem war ein BMF-Entwurf vom 12.07.2023 voraus gegangen. Die Regierung plant in dem Entwurf die Einführung einer Zinshöhenschranke als neuen § 4l EStG. Der Betriebsausgabenabzug von Zinsen aus Konzerndarlehen soll damit beschränkt werden. Ziel ist die Missbrauchsbekämpfung.
Regelungsinhalt der Zinshöhenschranke
§ 4l Satz 1 EStG-E sieht vor, dass "Zinsaufwendungen nicht abziehbar [sind], soweit diese auf einem über dem Höchstsatz liegenden Zinssatz beruhen". Als Höchstsatz gilt der um 2% erhöhte Basiszinssatz nach § 247 BGB. Bezugsgröße dieses Basiszinssatzes ist der Refinanzierungszinssatz der Europäischen Zentralbank.
Die Definition von Zinsaufwendungen entspricht § 4h Absatz 3 Satz 2 EstG, wonach Vergütungen für Fremdkapital, die den maßgeblichen Gewinn mindern, umfasst sind. Mit dem Regierungsentwurf zum Wachstumschancengesetz soll jedoch auch die Definition der Zinsaufwendungen angepasst werden. Künftig sollen Zinsaufwendungen sämtliche "wirtschaftlich gleichwertige Aufwendungen und sonstige Aufwendungen im Zusammenhang mit der Beschaffung von Fremdkapital im Sinne des Artikels 2 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates vom 12. Juli 2016“ sein.
Unter diese weitgefasste Begriffsbestimmung fallen u.a. "Zahlungen im Rahmen von Beteiligungsdarlehen, kalkulatorische Zinsen auf Instrumente wie Wandelanleihen und Nullkuponanleihen, Beträge im Rahmen von alternativen Finanzierungsmodalitäten, im Bilanzwert eines zugehörigen Vermögenswerts enthaltene kapitalisierte Zinsen, oder die Amortisation kapitalisierter Zinsen, gegebenenfalls Beträge, die durch Bezugnahme auf eine Finanzierungsrendite im Rahmen von Verrechnungspreisregelungen gemessen werden, Beträge fiktiver Zinsen im Rahmen von Derivaten oder Hedging-Vereinbarungen im Zusammenhang mit dem Fremdkapital eines Unternehmens, bestimmte Wechselkursgewinne und -verluste auf Fremdkapital und Instrumente im Zusammenhang mit der Beschaffung von Kapital, Garantiegebühren für Finanzierungsvereinbarungen, Vermittlungsgebühren und ähnliche Kosten im Zusammenhang mit der Aufnahme von Fremdkapital".
Der Basiszinssatz wird halbjährlich jeweils zum 01.01. und 01.07. aktualisiert. Unter Zugrundelegung des derzeit gültigen Basiszinssatzes von 3,12% ergibt sich inklusive des 2%-Aufschlags ein Höchstsatz von aktuell 5,12%.
Die vorgesehene Neuregelung ist ausschließlich auf Zinsaufwendungen anzuwenden, denen eine Geschäftsbeziehung zwischen nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 AStG zugrunde liegt, d.h. der Anwendungsbereich umfasst sowohl grenzüberschreitende als auch innerdeutsche Sachverhalte.
§ 4I Satz 2 EStG-E sieht eine "Escape-Klausel" vor. Nach der Zinshöchstsatzregel kann abgewichen werden, wenn ein Nachweis erbracht wird, dass sowohl der Gläubiger und die oberste Konzerngesellschaft die Finanzierung bei ansonsten identischen Umständen selbst nur zu einem den Höchstsatz überschreitenden Zinssatz hätten erhalten können. Als Höchstsatz gilt jener Zinssatz, der vom Gläubiger oder der Konzernmutter im günstigsten Fall hätte erzielt werden können (sogenannter "Zinssatz-Escape"). Angebote von Banken oder sonstigen potenziellen Darlehensgebern werden als nicht ausreichender Nachweis erachtet. Stattdessen kann der Nachweis über den tatsächlichen Refinanzierungssatz der obersten Muttergesellschaft oder im Wege von Datenbankstudien auf Ebene der obersten Muttergesellschaft zum Zeitpunkt des Abschlusses der zu untersuchenden Finanzierungsbeziehung erfolgen.
§4l Satz 4 ESTG-E normiert zusätzlich einen "Substanz-Escape". Demnach findet die Zinshöhenschrankenregelung keine Anwendung, sofern der Darlehensgeber in dem Staat, in dem er seinen Sitz oder seine Geschäftsleitung hat, in Bezug zum konkreten Finanzierungsgeschäft eine wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Als wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit wird auf die Definition gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 AStG abgestellt, wonach vorausgesetzt wird, dass der Darlehensgeber über ausreichende sachliche und personelle Kapazität zur Ausübung der Tätigkeit verfügt, die Risiken kontrollieren und tragen kann und die Tätigkeit durch hinreichend qualifiziertes Personal selbständig und eigenverantwortlich ausübt. Ebenso wird mit Verweis auf § 8 Absatz 2 Satz 5 AStG klargestellt, dass der Substanz-Escape nicht gelingt, soweit der Darlehensgeber die wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit in Bezug zum Finanzierungsgeschäft überwiegend durch Dritte erbringen lässt. Outsocuring-Fälle werden damit ausgeschlossen. Der Substanz-Escape soll nicht greifen, sofern der Darlehensgeber in einer Steueroase sitzt bzw. der Staat keine Amtshilfe leistet.
Die Neuregelung der Zinshöhenschranke soll bereits ab dem 01.01.2024 in Kraft treten. Aufgrund des Fehlens einer eigenständigen Regelung leitet sich der Zeitpunkt des Inkrafttretens aus dem allgemeinen Schlussartikel des Gesetzesentwurfs ab (Artikel 46 Abs. 5 i.V.m. Artikel 5 des RefE).
Praxisfolgen
Die mit dem Entwurf des Wachstumschancengesetztes vorgesehene Neueinführung einer Zinshöhenschranke ist als klassische Missbrauchsbekämpfungsvorschrift zu werten. Sie dürfte zunächst insb. die Darlehen treffen, die sich aus einem schlechten Rating und mithin einem hohen Zinssatz ergeben. Die mit der Zinshöhenschranke einhergehende Eingrenzung der maximal steuerlich abzugsfähigen Zinshöhe erfolgt losgelöst von dem jeweiligen durch das Bonitätsrating ausgedrückten Risikograd der darlehensnehmenden Gesellschaft und damit gleichbedeutend losgelöst vom Fremdvergleichsgrundsatz nach § 1 AStG.
Dem Gedanken der jüngsten BFH-Rechtsprechung (BFH Urteil 18. Mai 2021, I R 4/17 – FG Münster (13 K 4037/13 K,F),nach welcher bei der Beurteilung der Höhe eines fremdüblichen Zinssatzes auf die Bonität des Darlehensnehmers abzustellen ist, wird damit nicht gefolgt.
Mit den Ausweichregelungen in Form des Zinssatz-Escape und dem Substanz-Escape entgegnet die Zinshöhenschrankenregelung den jüngsten BFH-Rechtsprechungen, wonach es zur Beurteilung eines fremdüblichen Zinssatzes nicht auf die Kapitalkraft und Substanz der darlehensgebenden Gesellschaft (BFH v. 18.5.2021 - I R 4/17 Rz. 52) und der Konzernmutter (BFH v. 9.6.2021 - I R 32/17 Rz. 55) ankommen sollte.
Wie auch schon bei der Fremdüblichkeitsanalyse ist auch für den Betriebsausgabenabzug der Zinsen auf die Substanz abzustellen. Steuerpflichtige sollten die entsprechenden Nachweise über die Personalfunktionen vorhalten ujnd die Kontrolle belegen.
Unternehmen sollten insb. bei folgenden Voraussetzungen prüfen, ob sie von dem Abzugsverbot betroffen sind:
- Das Kreditrating des in Deutschland ansässigen Darlehensnehmers impliziert einen marktüblichen Zinssatz oberhalb der Zinsobergrenze. Gleichzeitig impliziert das Rating des Gläubigers einen marktüblichen Zinssatz unterhalb der Zinsobergrenze. Im Falle einer Unternehmensgruppe liegt der marktübliche Zinssatz, der durch das Rating der obersten Muttergesellschaft impliziert wird, ebenfalls unterhalb der Zinsobergrenze. (vollständige Nichtabzugsfähigkeit in Höhe der Differenz zwischen dem vertraglich vereinbarten Darlehenszinssatz und der Zinsobergrenze), oder
- Das Kreditrating des in Deutschland ansässigen Darlehensnehmers impliziert einen marktüblichen Zinssatz oberhalb der Zinsobergrenze. Das Kreditrating des Darlehensgebers oder im Falle einer Unternehmensgruppe das Kreditrating der obersten Konzernmutter impliziert gleichzeitig einen marktüblichen Zinssatz oberhalb der Zinsobergrenze und unterhalb des marktüblichen Zinssatzes des Darlehensnehmers. (Nichtabzugsfähigkeit in Höhe der Differenz zwischen dem vertraglich vereinbarten Darlehenszinssatz und dem niedrigeren Wert aus dem marktüblichen Zinssatz der Muttergesellschaft und dem marktüblichen Zinssatz des Gläubigers).
Erste empirische Analysen deuten darauf hin, dass bei Darlehenslaufzeiten von 5 Jahren für ein Kreditrating des Darlehensnehmers (inklusive einzelfallabhängig zu berücksichtigendem Konzernrückhalt) von BB+ und schlechter eine eindeutige Relevanz bzgl. der steuerlichen Wirksamkeit der Neuregelung vorliegen sollte. Dies gilt analog bei 10-jährigen Laufzeiten bereits für entsprechende Ratingeinstufen von BBB- und schlechter. Gleichwohl wurden in einem Beobachtungszeitraum der vergangenen 10 Jahre, marktübliche Zinssätze für sehr gute Bonitätsratings im Bereich A und besser stichtagsabhängig marktübliche Zinssätze oberhalb des jeweils gemäß Zinshöhenschranke geltenden Höchstsatzes beobachtet. Demzufolge erschließt sich die Antwort auf die Frage der Relevanz im Einzelfall, regelmäßig jedoch für Unternehmen mit einem Kreditrating von BB oder schlechter.
Eine weitere empirische Analyse zeigte anhand einer Häufigkeitsverteilung über die öffentlich verfügbaren Ratingeinstufungen der DAX-40, dass der Zinssatz-Escape vielfältig nicht anwendbar sein dürfte und sofern Anwendbarkeit existiert, der Höchstsatz in vielen Fällen nicht wesentlich überschritten würde. Der Zinssatz-Escape findet Anwendung bei Darlehensnehmern, welche Bestandteil einer Unternehmensgruppe sind. Hier wird maximal der den Höchstsatz überschreitende Refinanzierungssatz der obersten Konzernmutter als steuerlich abzugsfähig angesehen.
Da der Gesetzesentwurf in Bezug auf die Regelung der Zinshöhenschranke keine Ausführungen hinsichtlich eines Bestandsschutz für die vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens geltenden Rechtsvorschriften (sog. "Grandfathering") beinhaltet, würde die Neuregelungen auch sämtliche laufenden Finanzierungstransaktionen treffen, welche vor dem 01.01.2024 abgeschlossen wurden.
Der Gesetzesentwurf lässt zudem gänzlich offen, welcher Basiszinssatz für die Beurteilung der Zinsabzugsfähigkeit im Einzelfall für Finanzierungstransaktionen mit fixem Zins maßgebend ist: Mit dem zum Vergabezeitpunkt geltenden Basiszins (ökonomisch sinnvollster Ansatz) oder mit den zwei aktuellen Basiszinssätzen des jeweiligen Veranlagungszeitraums. In letztgenannter Fallkonstellation würde dies implizieren, dass die Bezugsgröße für die Bemessung der steuerlichen Abzugsfähigkeit dynamischen Entwicklungen im Zeitablauf unterliegen könnte, während der tatsächlich vereinbarte Zinssatz einen fixierten Wert aufweist, der unter Zugrundelegung der zum Vergabezeitpunkt gültigen Marktkonditionen abgeleitet sein sollte. Eine solch ungleiche ökonomischen Grundlage der Vergleichswerte könnte über die gesamte Darlehenslaufzeit in teils erheblichen Zunahmen der ursprünglichen Differenz zwischen vertraglich vereinbarten Zinssatz und steuerlich abzugsfähigen Zinssatz resultieren.
Ausgehend von diesen Untersuchungen ist zu erwarten das die Anwendbarkeit der Zinshöhenschranke signifikante praktische Relevanz entfalten dürfte und insbesondere bei hohen Darlehenssummen zu wesentlichen steuerlichen Mehrbelastungen resultierend aus zu versteuernden Zinsaufwendungen führen wird.
Detaillierte Analysen, welche die oben genannten Kernaussagen und weitere Aspekte näher evaluieren, werden voraussichtlich im Herbst folgen und an dieser Stelle verlinkt werden.