Bundestag beschließt Strommarktgesetz - Weg frei für den Strommarkt 2.0
Update: Das Strommarktgesetz ist am 30. Juli 2016 in Kraft getreten (BGBl. Jahrgang 2016 Teil I Nr. 37, S. 1786).
Der Deutsche Bundestag hat am 23.06.2016 den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Weiterentwicklung des Strommarktes in der Ausschussfassung verabschiedet. Damit steht dem Strommarkt 2.0, der neben der Garantie der freien Preisbildung weitergehende Eingriffe in den Erzeugungsmarkt vorsieht (u.a. neue Vergütungsregelungen zum Redispatch, Kapazitätsreserve, Stilllegung bestimmter Braunkohlekraftwerke, Schaffung einer Transparenzplattform), nichts mehr im Wege.
Mit dem Strommarktgesetz verfolgt die Bundesregierung das Ziel, die Versorgungssicherheit in der Stromversorgung und die Synchronisierung von Einspeisung und Verbrauch in der Übergangsphase des Strommarktes weg von der Kernenergie hin zu mehr erneuerbaren Energien zu gewährleisten.
Im Zentrum des Strommarktgesetzes stehen Regelungen zur Stromerzeugung und die korrespondierenden Rechte und Pflichten der Übertragungsnetzbetreiber („ÜNB“) im Rahmen ihrer Systemverantwortung. Die wichtigsten Eckpunkte des Artikelgesetzes, das neben den Vorschriften des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) auch solche des EEG, GWB und diverser EnWG-Verordnungen ändert, sind Folgende:
- Eine „Garantie“ der freien Strompreisbildung ohne regulatorische Eingriffe. Im Kern wird damit der bereits der Liberalisierung der Energiewirtschaft zugrunde liegende sog. „energy only market“ deklaratorisch manifestiert (§ 1a Abs. 1 EnWG n.F.).
- Die (Gefahrenabwehr-)Aufgaben der ÜNB im Rahmen ihrer Systemverantwortung werden detaillierter und umfangreicher: Die ÜNB sind maßgeblich verantwortlich für Bildung und Einsatz der Kapazitäts- und Netzreserve (§§ 13 ff. EnWG n.F.). Spiegelbildlich werden insoweit die Pflichten der Kraftwerksbetreiber geregelt. Insbesondere wird nunmehr auch die umstrittene Redispatch-Vergütung gesetzlich verankert (§ 13a EnWG n.F.).
- Einführung einer Kapazitätsreserve außerhalb des Strommarktes zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit (§ 13e EnWG n.F.): Die Bildung der Reserve erfolgt durch wettbewerbliche Ausschreibungsverfahren der Übertragungsnetzbetreiber ab 2017. Einzelheiten regelt die Kapazitätsreserveverordnung (§ 13h EnWG n.F.).
- Verlängerung der Netzreserve: Die bisher in der Reservekraftwerksverordnung geregelte Kraftwerksreserve (die aus systemrelevanten, stillzulegenden Kraftwerken gebildet wird), wird in die sog. Netzreserve überführt und über den ursprünglichen Zeitraum (ehemals befristet bis 31.12.2017) hinaus zur Überbrückung von Netzengpässen und zur Gewährleistung des sicheren Netzbetriebs (§ 13d EnWG n.F.) weitergeführt. Die Reservekraftwerksverordnung wird in Netzreserveverordnung umbenannt.
- Ermächtigung der Übertragungsnetzbetreiber zur Errichtung von Erzeugungsanlagen als besonderes netztechnisches Betriebsmittel zur Gewährleistung der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems (sog. Netzstabilitätsanlagen, § 13k EnWG n.F.). Zweck dieser Maßnahme ist die Schließung einer eventuellen Versorgungslücke nach Abschaltung der Kernkraftwerke zwischen 2021/2022 und 2025 bis zur Inbetriebnahme der Nord-Süd-Transportleitungen.
- Der teilweise Ausstieg aus der Braunkohleverstromung wird eingeleitet durch die sog. Sicherheitsbereitschaft. Sukzessiv werden 13 % der existierenden deutschen Braunkohlekraftwerke ab 1. Oktober 2016 in die Sicherheitsbereitschaft überführt, die nach Angaben der Bundesregierung zur Sicherstellung der Stromversorgung z.B. bei nicht vorhersehbaren extremen Wettersituationen geschaffen wird (§ 13g EnWG n.F.). Ab 2020 sind betroffene Braunkohlekraftwerke stillzulegen. Für die Sicherheitsbereitschaft und die Stilllegung erhalten die Betreiber eine Vergütung (Näheres zur beihilferechtlichen Genehmigung der EU-Kommission hier).
- Des Weiteren wird die Bundesnetzagentur berechtigt und verpflichtet eine Informationsplattform ab dem 01.07.2017 zu errichten und zu betreiben, die Daten zur Erzeugung, Last, Verfügbarkeit von Kapazitäten sowie zu Strom Im- und Exporten zur Verfügung stellt (§ 111d EnWG n.F.).
Das Strommarktgesetz steht nun (fast) am Ende eines Verfahrens, an dessen Anfang das Grünbuch sowie das Weißbuch des BMWi stand (Näheres zum Weißbuch hier). Gegenstand der 2. und 3. Beratung im Deutschen Bundestag war der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 20.01.2016 (Bundestagsdrucksache 18/7317) in der Fassung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie vom 22.06.2016 (Bundestagsdrucksache 18/8915). Als nächstes wird sich der Bundesrat in einem weiteren Durchgang mit dem nicht zustimmungsbedürftigen Gesetz befassen. Danach steht die beihilferechtliche Genehmigung der EU-Kommission an.
Die Einzelheiten des Gesetzes und die Folgen für die Energiewirtschaft werden wir zeitnah ausführlicher für Sie auswerten. Bei Rückfragen sprechen Sie uns jederzeit gerne an!